Herbert Motter

Bildung: Vorsprung durch Wissen

Juni 2025

Wie gut ist unser Schulsystem wirklich? Welche Stärken können wir ausbauen, wo besteht Handlungsbedarf – und wie erkennen wir diesen rechtzeitig? Vorarlberg hat nun als erstes Bundesland in Österreich ein umfassendes Bildungsmonitoring etabliert. Initiatorin und treibende Kraft: die Wirtschafts­kammer Vorarlberg (WKV), die sich damit als strategischer Partner für evidenzbasierte Bildungspolitik positioniert.

Bildung ist weit mehr als nur ein gesellschaftlicher Auftrag – sie ist die Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg, soziale Stabilität und persönliche Zukunftschancen. Doch wie lässt sich Bildung so gestalten, dass sie auch tatsächlich Wirkung entfaltet? Welche Maßnahmen führen zu besseren Lernerfolgen? Und wie kann man erkennen, ob Reformen halten, was sie versprechen? Auf diese Fragen soll es künftig bessere Antworten geben – dank einer Initiative der Wirtschaftskammer Vorarlberg. Mit dem neuen Bildungsmonitoring schafft die WKV in enger Zusammenarbeit mit dem Land Vorarlberg erstmals ein umfassendes Instrument zur systematischen Beobachtung und Steuerung des Bildungssystems. Vorarlberg ist damit das erste Bundesland Österreichs mit einem eigenen, breit angelegten Monitoring – und nimmt österreichweit eine Vorreiterrolle ein. Ziel ist es, das Bildungssystem über alle Altersstufen hinweg datenbasiert zu analysieren, Schwachstellen zu identifizieren und daraus gezielte Maßnahmen abzuleiten.
„Veränderungen im Bildungssystem sind notwendig, aber oft schwer umzusetzen – und noch schwerer zu bewerten“, sagt Karlheinz Kopf, Präsident der Wirtschaftskammer Vorarlberg. „Mit dem Bildungsmonitoring geben wir der Bildungspolitik ein Tool in die Hand, das objektive Orientierung schafft, Entwicklungen sichtbar macht und eine faktenbasierte Steuerung ermöglicht. Denn wir wollen nicht länger im Nebel stochern.“
Schon 2020, noch vor Beginn der Corona-Pandemie, nahm WKV-Direktor Christoph Jenny mit dem deutschen Bildungsexperten Prof. Hans Döbert Kontakt auf. Im Jahr 2021 konkretisierte sich die Idee: Vorarlberg sollte ein eigenes, regionales Bildungsmonitoring entwickeln – unabhängig, umfassend und wissenschaftlich fundiert. Seither wurde intensiv gearbeitet, Daten erhoben, Entwicklungen ausgewertet. Nun liegen erste Ergebnisse vor – und sie zeigen: Der Handlungsbedarf ist real, aber gezielte Lösungen sind möglich.

Die Schule von heute – die Wirtschaft von morgen
Der Bezug zur Wirtschaft ist dabei kein Zufall. Immer wieder berichten Vorarlberger Betriebe von mangelnden Grundkompetenzen bei Schulabgängern, von zu wenig Berufsvorbereitung und teils unrealistischen Erwartungen junger Menschen. Rund 1000 Lehrverträge werden in Vorarlberg jedes Jahr vorzeitig aufgelöst – ein Wert, der seit Jahren auf ähnlichem Niveau liegt. Besonders häufig brechen Lehrlinge in der Probezeit ab oder beenden das Verhältnis einvernehmlich. Ein klarer Hinweis darauf, dass schulische Defizite und mangelnde Berufsorientierung zentrale Ursachen sind. „Eine gute Berufsorientierung ist kein ‚Nice-to-have‘ – sie ist entscheidend für individuelle Bildungsbiografien und den wirtschaftlichen Erfolg des Landes“, betont Jenny. Ohne gezielte Unterstützung ist es für viele schwer, sich im Dschungel der Optionen zurechtzufinden. Eine gute Berufsorientierung hilft, individuelle Interessen, Talente und realistische Möglichkeiten frühzeitig zu erkennen und mit den Anforderungen der Arbeitswelt abzugleichen. Da setzen die Wirtschaftskammer und das BIFO gezielt hat. Ich kann nur appellieren, die vielfältigen Angebote zu nützen.

Wachsende Herausforderungen im Wandel der Gesellschaft
Die Analysen zur Vorbereitung des ersten Monitorings zeigen deutlich, dass sich Vorarlbergs Bildungslandschaft im Spannungsfeld gesellschaftlicher Veränderungen befindet. Seit 2015 ist die Bevölkerung des Landes um rund 25.000 Menschen auf knapp 418.000 gewachsen. Besonders dynamisch entwickelte sich die Zuwanderung: Der Anteil junger Menschen mit nicht-deutschsprachiger Herkunft nahm um 50 Prozent zu. Bis 2040 wird ein weiterer Bevölkerungszuwachs erwartet, bei gleichzeitig steigender Alterung – über 60-Jährige werden dann fast ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Gleichzeitig zeigt sich, dass fast ein Drittel der unter 18-Jährigen in bildungsbenachteiligten Haushalten aufwächst. In über neun Prozent der Familien haben beide Eltern nur einen Pflichtschulabschluss. 65 Prozent der Vorschülerinnen und Vorschüler sprechen nicht Deutsch als Erstsprache. Das Bildungssystem steht also vor immensen Herausforderungen – von Integration über Chancengleichheit bis hin zur sprachlichen Förderung.
Im Hochschulbereich verliert Vorarlberg Studierende an andere Bundesländer: Seit 2015 sank die Zahl der Vorarlbergerinnen und Vorarlberger an Universitäten von 5729 auf 5053. Die Fachhochschule Vorarlberg hingegen verzeichnet mit 1627 Studierenden (2024) ein deutliches Wachstum – vor allem im technischen Bereich.

Investitionen zeigen Wirkung – aber nicht überall
In vielen Bereichen wurden in den vergangenen Jahren Fortschritte erzielt. Die Zahl der Kinderbetreuungseinrichtungen stieg deutlich, ebenso die Zahl der betreuten Kinder. Das Betreuungsverhältnis konnte verbessert, das pädagogische Personal massiv aufgestockt werden. Auch bei den Bildungsausgaben pro Schüler liegt Vorarlberg mit über 8000 Euro über dem Österreichschnitt. Doch bei den Ergebnissen in zentralen Kompetenzbereichen wie Mathematik, Deutsch oder Englisch zeigt sich Verbesserungspotenzial. Besonders die BHS-Matura-Ergebnisse schneiden im Bundesvergleich häufig unterdurchschnittlich ab.
Genau hier soll das Bildungsmonitoring ins Spiel kommen: Es liefert künftig die notwendige Datengrundlage, um Entwicklungen zu verstehen – und daraus wirksame Reformschritte abzuleiten. „Das Monitoring ist weit mehr als eine bloße Datensammlung“, erklärt Barbara Schöbi-Fink, Landesstatthalterin und Bildungslandesrätin. „Es schafft erstmals die Möglichkeit, Entwicklungen im Bildungssystem objektiv zu analysieren, Maßnahmen zu bewerten und Bildung aktiv zu gestalten. Und zwar langfristig.“ Die Ergebnisse sind öffentlich und liefern wertvolle Hinweise für Politik, Verwaltung sowie Pädagoginnen und Pädagogen. „Das ist kein einmaliges Projekt, sondern ein lebendiger Prozess“, sagt Schöbi-Fink: „Nur wer weiß, wo er steht, kann sinnvoll steuern.“
Der entscheidende Mehrwert liegt in der systematischen, dauerhaften Beobachtung. So wird sichtbar, wie Übergänge zwischen Bildungsstufen funktionieren, wie sich soziale und sprachliche Faktoren auf Lernergebnisse auswirken – und wie Maßnahmen tatsächlich greifen. Projektleiter Andreas Kappaurer von der Bildungsdirektion erklärt dazu: „Im Vergleich zum Nationalen Bildungsbericht bietet ein regionales Bildungsmonitoring noch präzisere und gezieltere Informationen, insbesondere für Maßnahmen auf Landesebene. Die ausgewählten Indikatoren und Kennzahlen sind auf die spezifischen Anforderungen Vorarlbergs zugeschnitten, damit sich regionale Bildungsstrategien ableiten lassen.“
Die Wirtschaftskammer hat mit dem Bildungsmonitoring ein Instrument geschaffen, das bundesweit Vorbildcharakter hat. Auch Bildungsminister Christoph Wiederkehr betont: „Vorarlberg nimmt mit diesem Projekt eine Vorreiterrolle ein und kann als Modell für andere Bundesländer dienen. Die systematische und transparente Nutzung von Bildungsdaten ermöglicht faktenbasierte Entscheidungen und gezielte Steuerung.“ 
Lehrkräfte sehen im Bildungsmonitoring eine Chance, gezielt Stärken und Schwächen ihrer Lerngruppen zu erkennen und den Unterricht entsprechend anzupassen. Die Ergebnisse helfen, Unterricht und schulische Organisation systematisch weiterzuentwickeln. Es gibt auch Skepsis, insbesondere wenn Lehrkräfte das Gefühl haben, die Daten seien zu weit von ihrem konkreten Schulalltag entfernt oder würden primär zur Kontrolle und Bewertung genutzt. Widerstand entsteht vor allem, wenn Monitoring mit Schuldzuweisungen oder Versagensängsten verbunden wird. Entscheidend wird eine offene Kommunikationskultur und die Einbindung aller Beteiligten in die Auswertung und Umsetzung der Ergebnisse sein.

Appell: Daten ernst nehmen, Konsequenzen ziehen
Doch ein Monitoring allein genügt nicht. Es braucht auch den politischen Willen, die daraus gewonnenen Erkenntnisse ernst zu nehmen – auch wenn sie unbequem sind. Die Wirtschaftskammer hat geliefert. Nun liegt es an Politik, Verwaltung und Schulträgern, auf dieser Grundlage zu handeln. Wenn Vorarlberg bis 2035 der chancenreichste Lebensraum für Kinder werden will, braucht es eine Bildungspolitik, die auf Evidenz statt Ideologie basiert. Das Bildungsmonitoring ist dafür das Fundament. Jetzt gilt es, es zu nutzen – im Sinne unserer Kinder, unserer Betriebe und unseres Standortes.

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