Herbert Motter

Lehre 2024: Ein Mix aus mehreren Faktoren

Januar 2025

Die Lehre ist in Vorarlberg nicht nur im Kampf gegen den Facharbeitermangel und die Arbeitslosigkeit von zentraler Bedeutung. Die aktuellen Lehrlingszahlen zeigen jedoch einen leichten Rückgang. Was ist zu tun? Experten geben Antwort.

Ende 2024 waren in Vorarlberg 6480 Lehrlinge in einem aufrechten Lehrverhältnis. Von den männlichen 15-Jährigen sind 58,15 Prozent in die duale Ausbildung eingetreten - bei den weiblichen 15-Jährigen 29,98 Prozent. Insgesamt haben sich in Vorarlberg 44,53 Prozent der Jugendlichen für eine Lehre entschieden. 2018 lag der Wert noch bei 53,84 Prozent. Woran liegt der Rückgang bei den Lehrlingszahlen? Am Leistungsniveau der Bewerberinnen und Bewerber? An der Schulvorbildung? An der Zurückhaltung der Unternehmen? Es ist wohl eine Mischung aus allem, wie uns Expertinnen und Experten berichten.

Wirtschaftliche Lage
Vor allem die konjunkturellen Entwicklungen wirken sich auf das Angebot der Lehrlingsstellen aus. „Ganz sicher hindert auch die allgemeine wirtschaftliche Lage den einen oder anderen Betrieb daran, im Moment Lehrlinge auszubilden“, betont Gudrun Petz-Bechter, stellvertretende Direktorin in der Wirtschaftskammer Vorarlberg. Das bestätigt auch die Lehrlingsausbilderin beim Dorfinstallateur, Nina Loacker: „Unternehmen zögern aufgrund der unsicheren Marktlage und der wirtschaftlichen Herausforderungen, in schwierigen Zeiten genauso viele Lehrlinge auszubilden, wie in den Jahren zuvor.“ 
Die Lehrlingsstelle der Wirtschaftskammer steht im permanenten Kontakt mit den Ausbildungsbetrieben. Auch deren Leiter Roland Paterno spricht von eindeutigen Botschaften aus den Unternehmen. So sei eine mangelnde Motivation und geringeres Interesse der Jugendlichen an einer Lehrausbildung feststellbar. Man spüre eine abnehmende Leistungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft sowie eine unzureichende Ausbildungsreife.
Ein hoher Zeitaufwand für die Ausbildung, insbesondere bei kleineren Betrieben, schrecke in wirtschaftlich angespannten Zeiten ab. Vor allem erwähnt wird von den Unternehmen die erhöhte Verantwortung seitens der Ausbilderinnen und Ausbilder, auch in erzieherischer Hinsicht. Aber auch administrative Aufwände wie zum Beispiel die Ausbildungsdokumentation oder die Einsatz- und Ausbildungsplanung ist ein Thema, berichtet der Leiter der Lehrlingsstelle in der Wirtschaftskammer, Roland Paterno. Dies bindet in den Betrieben viele Kapazitäten. 
Dass der Rückgang prozentuell in den traditionell starken Ausbildungsbranchen ungewöhnlich hoch war, die Nichtgewerblichen aber die größten Zuwächse verzeichneten, deutet laut BIFO-Geschäftsführer Andreas Pichler auf einen Einfluss der wirtschaftlichen Lage und ein Sicherheitsbedürfnis, entspreche aber einem bundesweiten Trend, der sich schon länger abzeichne. 

Lehre versus Schule
Zudem stünden die Betriebe in Konkurrenz mit den weiterführenden Schulen, die sehr erfolgreich darin sind, Jugendliche anzuziehen. Für Thomas Mayr, Geschäftsführer des Instituts für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw), werden offene Schulplätze leichter besetzt als offene Lehrstellen, vor allem in Klein- und Mittelbetrieben. Er sagt: „Das liegt am politisch und gesellschaftlich transportiertem Image von ,höherer‘ Schulbildung und von Matura. Dazu kommt, dass der Übergang von der Mittelschule/Unterstufe in eine weiterführende Schule/Oberstufe für viele 15-Jährige schlichtweg leichter ist, als die Suche nach einem Lehrbetrieb.“ Für Lehrlingsausbilderin Loacker beeinflusse die zunehmende Zahl an alternativen Bildungswegen, wie etwa Fachhochschulen oder digitale Ausbildungsangebote, die Entscheidung der Jugendlichen, die sich verstärkt an ihren individuellen Karrierevorstellungen orientieren. 

Fehlende Grundkompetenzen
Heimische Betriebe melden regelmäßig zurück, dass Lehrstellensuchende und Lehrlinge nach dem Abschluss der Pflichtschule Schwierigkeiten in den Grundkompetenzen wie sinnerfassendes Lesen, Rechnen und Schreiben haben. „Rund ein Drittel aller Unternehmen und mehr als die Hälfte der Lehrbetriebe würden mehr Lehrlinge ausbilden, wenn sie dafür ausreichend geeignete und interessierte Jugendliche fänden“, bestätigt Thomas Mayr vom ibw. Der Anteil an jungen Leuten, die nach Absolvierung der Schulpflicht nur unzureichend lesen, schreiben und rechnen können, liege in Österreich, „bei mehr als 20 Prozent (Quelle: OECD-PISA). Das ist dramatisch, vor allem wenn man bedenkt, dass die öffentlichen Ausgaben für Schulbildung in Österreich höher sind als in den meisten Ländern in Europa und weltweit.“ 
Der Anteil der gewerblichen Betriebe an den lehrlingsausbildenden Betrieben sinkt. Das führe, erklärt BIFO-Geschäftsführer Andreas Pichler, allerdings zu einer negativen Spirale für die „Kleineren“. „Wenn die Jugendlichen Lehrstellen in größeren Betrieben bekommen können, bleiben für kleinere und Kleinstbetriebe oftmals leistungsschwächere Kandidatinnen übrig. Da gibt der eine oder andere schonmal auf.“
Ein Trend, den es umzukehren gilt. Die Lehrlingsstelle der WKV arbeitet an gezielten Maßnahmen und möchte in einem ersten Schritt die Lehrstellenberatung ausbauen, die Lehrstellenserviceangebote, insbesondere für KMUs weiter erhöhen, Ausbildungsverbünde stärker fördern und Betriebe vom bürokratischen und administrativen Aufwand entlasten. „Wir werden nicht lockerlassen, trotz der aktuellen Herausforderungen, weiterhin die enormen Chancen hervorzuheben. Seitens der Wirtschaftskammer werden wir verstärkt daran arbeiten, auf die Bedeutung und Attraktivität der Lehre sowie die damit verbundenen Karrierechancen hinzuweisen“, betont die stellvertretende WKV-Direktorin Petz-Bechter.
Es sei essenziell gegenzusteuern, um für den nächsten Aufschwung mit entsprechenden Fachkräften gerüstet zu sein, sagt auch BIFO-Geschäftsführer Pichler. Oder wie ein leitender Ausbilder unlängst zu ihm meinte: „Hätten wir vor 15 Jahren manche Jugendliche nicht genommen, würden uns die besten Mitarbeitenden heute fehlen.“ 

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