Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Neue Wege in Wolfurt

Juli 2015

Unterricht in Tischgruppen statt klassischem Frontalunterricht: Die Mittelschule Wolfurt nimmt konkrete Anleihen an einer preisgekrönten deutschen Schule. „Ich will das Optimum für meine Schüler“, sagt Direktor Norbert Moosbrugger. Die Schüler sind zufrieden, die Eltern sind es auch – weil Moosbrugger die Eltern den neuen Unterricht selbst testen ließ.

In acht bis zehn Jahren soll in Vorarlberg die gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen flächendeckend eingeführt werden, nach einer Entscheidung der Politik, auf Basis eines umfangreichen Forschungsberichts. Norbert Moosbrugger, der Direktor der Mittelschule Wolfurt, lobt diese „mutige Entscheidung“ ausdrücklich, nennt auch den Zeitrahmen bis zur Umsetzung realistisch. Was in diesem Fall aber nicht heißen soll, dass Moosbrugger so lange warten will: „Das kann ich gar nicht. Es muss in jedem Jahr einfach das Optimum für die Schüler herausgeholt werden.“ Und wo andere deswegen noch debattieren, ob der Weg der Politik denn nun der Richtige ist, hat Moosbrugger zusammen mit engagierten Lehrern in seiner Schule bereits damit begonnen, neue Wege einzuschlagen. Mehr noch: Seine Schule kann für sich in Anspruch nehmen, als erste Vorarlberger Schule bereits ein zentrales Element einer preisgekrönten Gesamtschule in Niedersachsen, der IGS Göttingen, übernommen zu haben – den Unterricht in sogenannten Tischgruppen. Moosbrugger hatte 2014, zuerst alleine, später nochmals mit Lehrern seiner Schule, an zwei von Wirtschaftskammer-Bildungssprecher Christoph Jenny initiierten Exkursionen zur IGS Göttingen teilgenommen. Und was Moosbrugger und seine Lehrer dort sahen, in dieser preisgekrönten niedersächsischen Schule, deren Absolventen zu den besten in ganz Deutschland gehören, das hat die Wolfurter beeindruckt. Dort wird beispielsweise seit den 1970ern der Unterricht in Tischgruppen praktiziert. „Und als wir zurückgekommen sind, haben wir auch in Wolfurt Tischgruppen eingeführt“, sagt Moosbrugger.

Voneinander profitieren

In sechs Klassen wird nun diese Form des Unterrichts praktiziert, der im Gegensatz zum klassischen Frontalunterricht auf einer alternativen Sitzordnung basiert: Jeweils sechs Schüler sitzen an einem Tisch zusammen, stärkere und schwächere, Buben und Mädchen. Der Zusammenstellung der einzelnen Tischgruppen kommt dabei hohe Bedeutung zu, wie Klassenvorstand Daniel Natter berichtet: „Wir schauen, dass Stärken und Schwächen in jeder Tischgruppe gut ausgeglichen sind.“ Stellt der Lehrer nun eine Aufgabe, kommt eine Besonderheit dieses Tischgruppen-Unterrichts zum Tragen: Die Schüler arbeiten zusammen, erklären sich gegenseitig, um was es geht, erarbeiten gemeinsam die Lösung – und profitieren voneinander. Abgeschlossen ist eine solche Aufgabe, wenn sie jeder Einzelne am Tisch verstanden hat. „Indem ein stärkerer Schüler einem schwächeren etwas erklären muss, profitiert auch der stärkere“, sagt Direktor Norbert Moosbrugger. „Das Klassenklima hat sich verändert“, erklärt Natter, „es ist für die Lehrer mit viel Aufwand verbunden, aber es rentiert sich.“

Marina und Baran gehen in die zweite Klasse. Sie mögen den neuen Unterricht. „In meiner Tischgruppe ist einer, den ich vorher nicht kannte. Jetzt verstehen wir uns super“, sagt Baran. Marina ist derselben Ansicht: „Man lernt komplett neue Seiten der Mitschüler kennen, auch welche, die man davor nicht mochte, sind auf einmal voll nett.“ Die beiden Schüler sprechen einen weiteren Vorteil des Tischgruppen-Unterrichts an: Jeder Schüler lernt seine Klassenkameraden genauer kennen. „Das Lernen mit anderen, das Auskommen mit anderen, auch das steht im Vordergrund“, sagt der Direktor, „und es ist wesentlich besser, wenn man das von klein auf kennenlernt und nicht erst im späteren Berufsleben oft auf schmerzhafte Art erfahren muss.“ Und Erfolge, die man im Sozialen schaffe, würden sich später auch in Lernerfolgen niederschlagen.

Was aber sagen die Eltern? Die sind laut Moosbrugger begeistert – auch, weil der tatkräftige Direktor einen etwas ungewöhnlichen Weg der Präsentation wählte. Anstatt die Vorteile des Tischgruppen-Unterrichts theoretisch zu erklären, bat der Direktor die Eltern im Rahmen eines Elternabends, sich an die Tischgruppe ihres Kindes zu setzen. Und dann gab Moosbrugger jedem einzelnen Elterntisch ebenfalls eine gemeinsame Aufgabe zum Lösen. Die Eltern diskutierten, redeten, arbeiteten gemeinsam – und erlebten den Vorteil des neuen Unterrichtsmodells dadurch aus eigener Perspektive. Reaktion nach getaner Arbeit? Moosbrugger kann sich ein Grinsen nicht verkneifen: „Es wurde eigentlich nur gefragt, bis wann sämtliche Klassen in der Mittelschule Wolfurt auf dieses Modell umgestellt sind, weil eigentlich alle Kinder so unterrichtet werden müssten.“

Weitere Schritte sollen folgen

Das Erfolgsmodell Göttingen beruht freilich nicht auf den Tischgruppen alleine – zentral sind dort beispielsweise das hervorragende Verhältnis der Lehrer zu den Schülern oder eine breite Feedback-Kultur, in deren Rahmen Lernentwicklungsberichte erstellt und Eltern breit eingebunden werden. Mit der Übernahme des Tischgruppen-Unterrichts geht Wolfurt allerdings einen ersten konkreten Schritt in Richtung Zukunft. Weitere Schritte werden folgen, auch in den Mittelschulen Höchst, Hard-Markt und Alberschwende will man konkrete Anleihen am Modell Göttingen nehmen. Christoph Jenny, der seit zwei Jahren einen regen Austausch mit Göttingen respektive dessen Direktor Wolfgang Vogelsaenger führt, ist erfreut: „Ziel war, dass wir in den Projektschulen ab diesem Herbst auf das neue pädagogische Konzept umstellen – Wolfurt war so inspiriert, dass sie mit den Veränderungen bereits begonnen haben.“ Ab Herbst werden Experten der Universität Göttingen die Veränderungen in besagten Vorarlberger Schulen übrigens wissenschaftlich begleiten und in regelmäßigen Abständen Evaluierungen vornehmen. „Wir sind dabei, die Schule der Zukunft vor Ort zu implementieren“, sagt Jenny. Apropos Zukunft: Ausschlaggebend für den Erfolg eines jeden Schulmodells sind die Lehrer an der jeweiligen Schule. „Die Haltung der Lehrer zu den Schülern“, sagt Jenny, „ist das Entscheidende.“ Auch Norbert Moosbrugger ist dieser Ansicht. „Wenn sich eine Schule ändern soll“, sagt der Direktor, „dann müssen sich die Lehrer ändern.“

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.