Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Von den Jobs der Zukunft und medialen Schreckensszenarien

August 2018

Das Arbeitsmarktservice rechnet bis 2023 mit zusätzlichen 17.200 Beschäftigungsverhältnissen in Vorarlberg. Berufsforscher erklären, welche beruflichen Felder die besten Zukunftsaussichten haben – und warum, quasi als Gegenentwurf zur Digitalisierung, auch das traditionelle Handwerk zu den Gewinnern zählen wird. Österreichische Ökonomen relativieren indes ein medial breit kolportiertes Schreckensszenario.

Behält das Arbeitsmarktservice mit seiner mittelfristigen Beschäftigungsprognose Recht, werden – gerechnet ab 2016 – bis 2023 in Vorarlberg 17.200 zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse entstehen. Prognostiziert wird eine durchaus deutliche Zunahme vor allem an wissenschaftlichen Berufen, an technischen Fachkräften und an Gesundheitsfachkräften. Eine leichte Abnahme wird dagegen bei Hilfskräften etwa in der Produktion, an kaufmännischen Fachkräften und an Personen für die Bedienung stationärer Anlagen und Maschinen vorausgesagt. In Summe, da legt sich das AMS fest, werden bis 2023 in diesen drei Berufsgruppen 800 Jobs verschwunden sein. Geschrieben steht da auch, dass wegfallenden Arbeitsplätzen deutliche Beschäftigungsgewinne in expandierenden Branchen gegenüberstehen; die Beschäftigung soll sowohl im Dienstleistungs- als auch im Produktionsbereich in den kommenden fünf Jahren deutlich über dem Österreichschnitt liegen. Erhoben und berechnet hat die Daten übrigens das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung.

Medien, sagte Matthias Horx einmal, würden alle möglichen Hysterien unterstützen, um daraus „die Währung der Aufmerksamkeit“ zu prägen. „Apokalypse-Entertainment“ nannte das der Zukunftsforscher. Und zu diesem apokalyptischen Entertainment zählt wohl das, was Medien landauf, landab mit der von Frey und Osborne veröffentlichten Studie zur „Zukunft der Beschäftigung“ gemacht hatten. Es bot sich auch an: Die beiden Wissenschaftler hatten 702 Jobs in den USA auf ihre Zukunftstauglichkeit hin überprüft und befunden, dass bis 2030 die Hälfte dieser Tätigkeiten obsolet sein wird. Schuld daran: die Digitalisierung. Keine Studie zu diesem Thema wurde öfter zitiert. Medien berichteten, auch in Österreich: Roboter nehmen uns die Jobs weg. Massenarbeitslosigkeit wird die Folge sein. Apokalypse-Entertainment eben. Die mit den eingangs erwähnten Daten des Arbeitsmarktservices – und anderer – allerdings kaum in Einklang zu bringen ist. „In seiner Berufswahl“, sagt Berufsbildungsforscher Wolfgang Bliem, „sollte man sich von solchen international breit kolportierten Horrorszenarien also tunlichst nicht beeinflussen oder gar abschrecken lassen.“

 

Ein großer Unterschied

Denn in Wahrheit dürften deutlich weniger Jobs bedroht sein. „Es werden sich Tätigkeiten innerhalb der Berufe ändern“, erklärt Bliem, „aber wir werden keinen kompletten Umbruch in der Berufswelt erleben.“ Bliem ist mit seiner Meinung nicht alleine. Ökonom Christian Keuschnigg attestiert Medien in einer aktuellen Studie des Wirtschaftspolitischen Zentrums eine „zutiefst missverständliche Interpretation“. Denn Studien wie die von Frey und Osborne würden bloß darüber etwas aussagen, in welchem Ausmaß bislang von Menschen ausgeübte Tätigkeiten – nach aktuellem Stand der Technik – durch Maschinen oder Computer verrichtet werden könnten. „Sie sagen nichts darüber aus, ob diese Ersetzung tatsächlich stattgefunden hat oder bald stattfinden wird. Das ist ein großer Unterschied!“ Zumal ja auch die Entscheidung, ob Tätigkeiten von Menschen oder Maschinen ausgeübt werden, keine technologische, sondern eine ökonomische sei: „Firmen werden die Produktionstechnologie einsetzen, die langfristig den Unternehmensgewinn maximiert. Und bei diesem Kalkül wird nicht jeder Beruf, der prinzipiell automatisierbar ist, auch tatsächlich automatisiert.“ Das Institut für Höhere Studien hatte im Vorjahr übrigens erforscht, dass in Österreich nur neun Prozent der Arbeitnehmer in Bereichen tätig seien, die – zumindest potenziell – durch neue Technologien ersetzt werden könnten. 360.000 Arbeitsplätze wären dies österreichweit. Die Auswirkungen würden „weniger dramatisch“ sein als bis dato kolportiert, sagte IHS-Chef Martin Kocher, „es werden oft Gespenster an die Wand gemalt“.

Zukunftssichere Felder

Also, weg von den Horrorszenarien, hin zu realistischeren Prognosen – und der Frage, welche Berufe denn Stand 2018 zu den zukunftssicheren zählen werden. Bliem, Wissenschaftler am IBW, dem Bildungsforschungsinstitut der Wirtschaft mit Sitz in Wien, will sich nicht auf bestimmte Berufsbezeichnungen festlegen. Allerdings könne man sehr wohl „gewisse Felder definieren, in denen die Zukunftschancen aller Voraussicht nach gut sein werden“. Bliem nennt folgende Felder: „Definitiv alles, was mit der Analyse von Daten zu tun hat. Definitiv alles im technischen Bereich, was in die Richtung Robotik und Mechatronik geht. Aus demografischen Gründen ziemlich sicher alles, was den Bereich Pflege und daran andockend auch den Sozialbereich betrifft. Und: Das traditionelle Handwerk.“ Das traditionelle Handwerk sei definitiv ein Zuwachsbereich; bedingt durch die Digitalisierung und das in gleich zweifacher Hinsicht: „Zum einen können gerade kleine und mittlere Unternehmen über eine geschickte Nutzung sozialer Medien und des Internets an neue Konsumenten kommen.“ Und zum anderen profitiere traditionelles Handwerk als Gegenentwurf zur Digitalisierung und Globalisierung: „In Zeiten der Massenproduktion und der Vereinheitlichung aller Dinge gibt es eine zunehmende Zahl an Konsumenten, die Individuelles, Maßgeschneidertes, qualitativ hochwertig Gefertigtes wollen.“

Soziale Kompetenz gefragt

Und welche Fähigkeiten werden künftig gebraucht? Clemens Zierler vom Institut für Arbeitsforschung und Arbeitspolitik an der Johannes Keppler Universität Linz geht davon aus, dass in Zeiten zunehmender Digitalisierung natürlich technische Fähigkeiten, aber auch verstärkt soziale Kompetenz gefragt und gefordert sein werden. „Die Vernetztheit der Dinge, aber auch die Vernetztheit der Menschen untereinander wird immer stärker“, sagt Zierler, „und damit wird auch Kommunikation immer wichtiger.“ Arbeitnehmer würden künftig mehr denn je auch über Hierarchieebenen, verschiedene Kompetenzbereiche und über Betriebsgrenzen hinaus kommunizieren können; zudem auch ein gesteigertes, breiteres Verständnis für Zusammenhänge über bestimmte betriebliche Abläufe hinaus haben müssen. Zwei Drittel der potenziell betroffenen neun Prozent haben übrigens laut IHS maximal einen Pflichtschulabschluss. AMS-Chef Bernhard Bereuter sagt, dass die Arbeitslosenquote in Vorarlberg derzeit bei 4,9 Prozent liegt, dieselbe Quote bei Personen mit maximal einem Pflichtschulabschluss aber 13 Prozent beträgt. „Mit einer Lehrausbildung, mit weiterführenden Schulen sind die Chancen auf dem Arbeitsmarkt also ungleich höher. Das ist jetzt schon so, und das wird sich weiter verstärken mit der zunehmenden Automatisierung und Digitalisierung.“ Die Anforderungen an die Arbeitnehmer werden steigen, das frühere Schlagwort vom lebenslangen Lernen wird Realität und immer stärkerer Zukunftstrend sein. Und das wird unabhängig vom jeweiligen Qualifikationsniveau stattfinden: „Wir alle müssen uns laufend an Neues anpassen, egal in welchem Berufsbereich.“ Wer über die Jobs der Zukunft reden will, muss also zwingend auch über die Bildung der Gegenwart sprechen. „Die jungen Menschen von heute sind die Arbeitnehmer von morgen“, ergänzt Zierler, „die einzige Ungewissheit in diesem Satz ist nur, ob es in Zukunft Begriffe wie Arbeitnehmer oder Arbeitgeber überhaupt noch geben wird.“

Kühnheit!

Alwin Toffler, US-amerikanischer Zukunftsforscher und einst Vorreiter seiner Zunft, hatte bereits 1970 in einer Beschreibung der damaligen Gegenwart geschrieben, dass die zunehmende Komplexität und der Einsatz ständig neuer Technologien zunehmend mehr Menschen verunsicherten. Toffler prophezeite weiteren dramatischen Wandel in allen Bereichen, riet aber auch: „In der Beschäftigung mit der Zukunft ist Kühnheit besser angebracht als übergroße Zurückhaltung.“ Und das sollte auch fünf Jahrzehnte später gelten. Wolf Lotter, ein österreichischer Journalist, hatte für dieselbe Sache in einem „Thema Vorarlberg“-Interview saloppere Worte gefunden. „Es ist wie bei Clint Eastwood“, hatte Lotter gesagt, „wir reiten in die Stadt, der Rest ergibt sich.“

 

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