Franzobel

(*1. März 1967 in Vöcklabruck), eigentlich Franz Stefan Griebl, Schriftsteller

(Foto: © Hanna Silbermayr)

Blech und Schwefel

November 2015

Juli 2016. In Österreich herrscht Ausnahmezustand. Die Wiener Ringstraße ist mit begeisterten Fans geflutet, der hupende Autocorso reicht zurück bis Melk, wo die Patres begonnen haben, kleine Fünf- und Sechsecke auf die Hostien zu malen. Überall fahnenschwenkende Menschen mit rotweißroten Aufklebern im Gesicht, der Beilage einer großen Tageszeitung, die „Immer wieder, immer wieder“ und „I am from Austria“ singen. Der ORF bringt die dreitägige Sondersendung „Unser Weg nach Frankreich“. Am Heldenplatz gibt Christl Stürmer ein Konzert, der Bundespräsident springt mit einem Fallschirm von der Bellaria und Marcel Koller wird mit Euros aufgewogen. Österreich ist Europameister! Man hat die Köpfe der Reiterstandbilder von Erzherzog Karl und Prinz Eugen entfernt und durch jene von David Alaba und Mark Janko ersetzt, die die Tore im Finale gegen Deutschland schossen. Präsident Leo Windtner wird in einer goldenen Kutsche durch die Stadt gefahren und sagt: „Dieser Erfolg war nur möglich, weil die Mannschaft wie Blech und Schwefel zusammengehalten hat.“ Alle Spieler werden adelig gesprochen und erhalten ausgedehnte Latifundien. Selbst in der Kapuzinergruft werden ihnen Plätze reserviert. Auf den Speiskarten der Wirtshäuser gibt es den Tafelspitz à la Junuzovic, Harnik-Aspik und den Almer-Ochsenbraten. Die Baumgartner-Höhe in Wien wird in Baumgartlinger umbenannt, Magna Steyr beschließt den Bau eines Geländewagens mit dem Namen Arnautovi´c. Die Gemeinde Großklein verkündet voller Stolz, sich in Zukunft nur noch Klein nennen zu wollen, was in St. Florian zu Unmutsäußerungen führt. Der Fuchs wird unter Artenschutz gestellt, sogar das Kinderlied „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ wird verboten. Barmixer kreieren den Prödl, den Hinteregger und den Sabitzer. Im Juweliergeschäft boomt der Rubin Okotie, und der Großglockner wird in Ruttensteiner umbenannt. Selbst die Statistiker melden ein sonst nur aus Nordkorea bekanntes Phänomen, beschränken sich doch die Namen aller Neugeborenen (auch die der Mädchen) auf David, Mark, Marco und Marcel. Mit einem Wort: Österreich steht Kopf, liegt im kollektiven Freudentaumel. Wildfremde fallen sich um den Hals, busseln sich ab. Wir sind Euro!

Wie? Sie meinen, das wird nie passieren, nicht in Österreich? Gut, mit dem Abbusseln haben Sie recht, da habe ich übertrieben, auch das kollektive Umarmen ist fraglich, aber Europameister werden wir. Das sind schon andere geworden: Tschechien, damals noch im Verbund mit der Slowakei, Dänemark, Griechenland … Während sich die einen Fußballgroßmächte (Deutschland, Spanien, Portugal) im Umbruch befinden, haben sich andere (Niederlande) gleich gar nicht qualifiziert. Italien und England ringen mit sich selbst, und Frankreichs Nationalspieler haben traditionell ein seltsam sadomasochistisches Verhältnis zur équipe tricolore. So kann es durchaus sein, dass einer der Außenseiter ernsthaft um den Titel mitspielt, Island, Wales, Nordirland, Belgien, Albanien oder Österreich.

Natürlich wird das nur der Fall sein, wenn Austrias Stammformation nicht zu viele Ausfälle zu verkraften hat. Zumindest die Achse Almer, Dragovic, Alaba, Junuzovic, Arnautovi´c sollte zur Verfügung stehen und nicht an irgendeinem Zeh oder Knie der Nation laborieren. Außerdem braucht es Glück. An einem guten Tag ist Österreich eine Übermannschaft, die jeden schlagen kann, an einem schlechten aber ist immer auch eine Niederlage möglich.

Mannschaften wie Polen, Tschechien, Kroatien, die Schweiz, Slowenien oder die Türkei befinden sich auf Augenhöhe. Und auch gegen Rumänien, Norwegen oder die Slowakei kann man verlieren. Es ist also durchaus möglich, dass das bei Großereignissen gänzlich unerfahrene Österreich, aufgebläht von einer großartigen Qualifikation, über die eigene Nase stolpert und schon in der Gruppenphase alle Träume platzen lässt. Alleine ein verletzter, kaum zu ersetzender Junuzovic, eine Schiedsrichterfehlentscheidung, etwas Pech und man scheidet sang- und klanglos aus. Fertig.

Oder Alabas Knie macht den Fenninger, Arnautovi´c wirft die Nerven weg, wird für ein halbes Jahr gesperrt, einem anderen läuft die Frau davon, ein Autounfall, Lebensmittelvergiftung, psychische Probleme … Mit dem Körper der Nationalmannschaft kann so viel passieren, dass es ein Wunder ist, wenn er funktioniert. Und selbst wenn er läuft, gilt: Fußball ist Kopfsache. Nichts ist so schnell weg wie das Selbstvertrauen. Ein, zwei unglückliche Aktionen, und schon fängt man zu denken an: Warum hat das früher funktioniert und jetzt nicht mehr? Es geht darum, im Fluss zu bleiben, in der schönen Leichtigkeit des Seins.

Das Schlimmste, was dem Team passieren kann, ist eine zu hohe Erwartungshaltung. Das Ziel muss Achtel-, vielleicht Viertelfinale heißen. Alles andere wäre eine Sensation. Aber träumen wird man ja noch dürfen. Schließlich haben wir fast 40 Jahre lang die dunkelsten Täler der Fußballagonie durchlitten, um nun endlich wieder eine Mannschaft und einen Trainer zu haben, ein Team, das zu sehen Spaß macht, wenn es Ernst macht, dem alles zuzutrauen ist.

Stellt man sich allerdings vor, was los wäre, wenn die Mannschaft tatsächlich den Titel holte, kommen erste Zweifel, ob man sich das wirklich wünschen soll. Über Jahre gäbe es keine Werbung mehr, in der nicht ein Spieler für Autos, Babywindeln, Kredite, Telefontarife oder Käse würbe. Die Gesichter der Euro-Helden wären so omnipräsent wie das der Ajatollahs im Iran. Radio, Fernsehen, Plakate, Zeitungen – der Hype wäre so gewaltig und gnadenlos, bis die Österreicher irgendwann genug hätten und es wie seinerzeit bei Markus Rogan oder Conchita Wurst zu einem Stimmungsumschwung käme. Dem Freudentaumel folgte die Depression. Daher ist es vielleicht besser, wenn wir nicht gewinnen, uns der Hättiwaritäti bleibt. Wir haben das Siegen und den Umgang damit ja noch nicht gelernt.

Eines würde ich mir aber wünschen, dass sich Österreich am Rugby-Team Neuseelands ein Beispiel nähme und statt dem unleidlichen Hymnensingen einen Tanz aufführte, einen österreichischen Haka: Schuhplatteln! Und der Trainerstab sollte dazu jodeln.

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