Kurt W. Zimmermann

Chancenlos und ohne Chance

März 2016

Kaum je schrieben die Journalisten derart bizarr an der Realität vorbei wie bei Donald Trump. Besonders genau wusste es der Zürcher „Tages-Anzeiger“: „Trump wird niemals Präsident, er hat nicht mal Aussenseiterchancen.“

Manchmal ist es amüsant, die früheren Wahrheiten der Zeitungen nochmals nachzulesen. Im Fall von Donald Trump ist es nicht nur amüsant, es ist auch ein bisschen bösartig. Es ist ein bisschen bösartig, weil es in der neueren Mediengeschichte kaum einen Fall eines vergleichbaren Kollektiv-Irrtums gibt. Die Präsidentschaftskandidatur von Donald Trump zeigte einen bizarren Realitätsverlust einer gesamten Branche. Bis weit in den Wahlkampf hinein lagen alle Journalisten völlig daneben.

Nicht nur für den „Tages-Anzeiger“ war Trump „ohne jede Chance“. Auch für die „Bild“-Zeitung war er „vollkommen chancenlos“. Die BBC wie die „Süddeutsche Zeitung“ sahen ihn als „chancenlos“. Für die Basler Zeitung war er „grossmäulig wie chancenlos“. Für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ war er „bedeutungslos“. Er war „eine politische Fußnote“ („Die Welt“), ein „nicht ernst zu nehmender Außenseiter“ („Die Zeit“), er hatte, so „The Guardian“, „null Chancen“.

Ich habe wie verrückt in Mediendatenbanken gesucht, um eine Zeitung oder TV-Sendung zu finden, die Trump als nur einigermaßen ernsthaften Kandidaten präsentiert hätte. Fehlanzeige. Es muss für die Journalisten nun eine riesige Erleichterung gewesen sein, dass Trump bei den ersten Vorwahlen in Iowa nur Zweiter wurde.

Dennoch: Wie kann es geschehen, dass gestandene Medienprofis, ansonsten intelligente Berufsleute, sich über Monate derart unisono verhauen können? Wir könnten nun auf das bekannte Lemming-Syndrom verweisen, gemäß dem die Journaille am liebsten im Flusswasser nur abwärts schwimmt. Es ist die Mainstream-Theorie, gemäß der interaktive Systeme wie das Mediensystem störende Heterogenität stets durch harmonische Homogenität ersetzen wollen. Man kann es statt systemisch auch psychologisch sehen. Demnach ist es eine Charakterfrage, also ein persönlichkeitsspezifisches Erklärungsmuster.

Ich bin mittlerweile vierzig Jahre im Mediengeschäft. In dieser Zeit ist mir immer wieder aufgefallen, wie sehr Journalisten davor zurückschrecken, sich zu exponieren. Journalisten sind keine Berufsgruppe, die von individueller Courage befallen wäre. Sie sind in der Regel ängstlich, oft zu ängstlich, um sich öffentlich zu unterscheiden. Journalisten haben darum große Mühe, das Gegenteil zu denken. Das Gegenteil ist unangenehm, weil man sich für diese Abweichung rechtfertigen muss. In der Masse muss man sich nie rechtfertigen.

Journalisten, wie ich nach vierzig Jahren weiß, sind eher mutlose Wesen. Ihr Selbstbewusstsein speisen sie nicht aus der Sicherheit des gefestigten Individuums, sondern aus der Sicherheit der schützenden Gemeinschaft. Nur in der kollektiven Geborgenheit der Branche trauen sie sich, den Mund weit aufzumachen. Journalisten, die das Gegenteil denken, nennt man in der Branche darum schnell einmal Provokateure. Wer Donald Trump für einen denkbaren Präsidenten hielte, wäre ein Provokateur. Das traut sich keiner. Wer in der Flüchtlingskrise die Willkommenskultur kritisiert hätte, wäre ein Provokateur. Das will keiner. Wer künftig den Austritt Großbritanniens aus der EU für eine machbare Idee hielte, wäre ein Provokateur. Es wird es darum keiner schreiben.

Doch irgendwann enden alle publizistischen Blindflüge. Der „Tages-Anzeiger“ schrieb zu Donald Trump schließlich den resignativen Epilog: „Alle haben sich geirrt.“ Alle haben sich geirrt. Das geht nur, wenn sich alle irren wollen.

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