Christian Seiler

Der Koch.Campus Austria beim Forum Genuss Alpen

Juli 2015

Beim Forum Genuss Alpen 2015 gastierte die renommierte Vereinigung „Koch.Campus Austria“ im Biohotel Schwanen in Bizau. Unter Beteiligung von Vorarlberger Küchenchefs wurden aktuelle Kreationen der „Neuen Alpinküche“ vorgestellt und diskutiert. „Koch.Campus Austria“-Gründungsmitglied Heinz Reitbauer im Interview mit Fachautor und Kolumnist Christian Seiler.

Während den ersten Vorarlberger Genusstagen unter dem Titel „Forum Genuss Alpen – Denken und genießen auf Vorarlberger Art“ waren Spitzenköche des renommierten „Koch.Campus Austria“ (Bild oben, kochcampus.at) zu Gast im Biohotel Schwanen in Bizau. Es galt eine „Neue Alpine Küche“ mit neuen kulinarischen Rezepten zu „befüllen“. Mit dabei waren auch einige der besten Köche Vorarlbergs.
Mitbegründer des „Koch.Campus Austria“ ist der am höchsten ausgezeichnete Koch Österreichs, die aktuelle Nummer 15 der inoffiziellen Weltrangliste „The World’s 50 Best Restaurants 2015“, Heinz Reitbauer, Patron im Restaurant Steirereck im Wiener Stadtpark. Beim Produzenten-Tag in Tschagguns sprach Christian Seiler mit Heinz Reitbauer über die regionale Küche in Österreich.

Herr Reitbauer, wie war das für Sie, als Sie vor gut zehn Jahren vor der Situation gestanden sind, den renommierten Spitzenkoch Helmut Österreicher im elterlichen Restaurant Steirereck im Wiener Stadtpark ersetzen zu müssen? Das Steirereck sollte sich ja nach Vorgabe Ihres Vaters Heinz Reitbauer sen. von einer sehr bewährten, traditionellen Küchenphilosophie verabschieden und etwas „Neues“ wagen …

Heinz Reitbauer: Helmut Österreicher ist ein hervorragender Koch und ein großartiger Mensch, aber er hat damals vielleicht nicht an „das Neue“ geglaubt. Man kann es ihm auch nicht vorwerfen. Es ist in der ersten Phase nach der Übersiedlung des Restaurants Steirereck in den Wiener Stadtpark in unserem Haus ziemlich drunter und drüber gegangen. Meine Frau Birgit und ich haben uns nach der ersten Phase der Orientierungslosigkeit gefragt: Wie finden wir unsere persönliche Identität? Ich habe zuvor schon einige Jahre im Ausland gearbeitet und war auch in meiner Freizeit immer unterwegs und habe mir viele Dinge angesehen. Aber so viele Eindrücke können auch ein Nachteil sein, weil sie einen orientierungslos machen können. Ich war immer „suchend“. Meine Frau und ich haben uns dann – nach Rücksprache mit unserem Team – dazu entschlossen, dem Restaurant Steirereck einen neuen, eigenen „Stempel“, sprich „Fußabdruck“ zu geben.

Woher kam die damalige Entscheidung, sehr stark auf Gemüse zu setzen, was damals nicht Mainstream in den Spitzen­küchen war?

Gemüse war für mich schon immer ein wichtiger Bestandteil einer sehr guten Küche. Gemüse war auch in meiner fast zehnjährigen Küchenchefzeit im Landgasthaus Steirereck am Pogusch in der Steiermark ein zentraler Bestandteil der Speisekarte. Nach dem Wechsel nach Wien ergab sich die große Chance, sich an mehr Quellen als in der Steiermark bedienen zu können. Gerade was Gemüse betrifft, ist das Umland von Wien ein Füllhorn an sehr guten Qualitäten. Es war sehr schnell klar, dass im Steirereck am Stadtpark das Gemüse eines der Kernthemen unserer Küche werden wird. Zudem ernährt sich meine Frau Birgit primär von Gemüse – und von „Sura Kaes“. „Sura Kaes“ ist etwas, das bei uns zu Hause im Kühlschrank nie fehlt.

Immer dann, wenn Konzepte erfolgreich aufgegangen sind, sehen sie wie selbstverständlich aus. War es aber anfangs einfach, auf regionale Lieferanten und auf Produkte aus Wien zu setzen?

Beispielsweise bot uns ein Obstbauer die Ernte von drei Apfelbäumen an. Wir haben dann gesagt, dass das für uns zu viel wäre, wir ihm aber in den nächsten Jahren kontinuierlich die Ernte von ein bis zwei Apfelbäumen abnehmen könnten, wenn die hohe Qualität gleichbleibt. Weil was wir als Köche und Konsumenten einfach lernen müssen, ist, dass der Bauer kein Supermarkt ist! Ich kann nicht zum Bauer hingehen und sagen, heute möchte ich zwei Stück von etwas und morgen vielleicht fünf davon. Das wird nie funktionieren. Wir müssen auf eine sehr langfristige Zusammenarbeit mit den guten Lieferanten und Landwirten setzen. Wir haben vor zehn Jahren in unserem Restaurant in Wien kaum ein Lebensmittel bzw. Gemüse konserviert oder eingelegt. Heute ist es unsere Hauptbeschäftigung! Weil wir natürlich auch die kargen Zeiten während des Jahres kennen, wo wir etwas „Anständiges“ auf den Tisch bringen sollen.

Musstet ihr diese Kulturtechnik im Steirereck erst entwickeln und lernen?

Teilweise. Ich habe es von meiner Großmutter gelernt. Sie hat mir gezeigt, wie man Lebensmittel richtig haltbar macht. Das Wissen darüber wäre ja noch da, zum Teil schlummert es bei unseren älteren Generationen, teilweise ist es leider schon verloren gegangen. Dem weinen wir heute nach.

Sie haben auch schon vorab bei der „Forum Genuss Alpen“-Diskussion gesagt, dass das Besondere nicht immer verfügbar sein muss. Die meisten Gäste in Ihrem Zwei-Sterne-Restaurant in Wien suchen aber das Besondere auf der Speisekarte. Wie schaffen Sie hier den Spagat?

Was ist eigentlich besonders? Mich interessiert die besonders gute Qualität der Produkte. Von diesen Produkten haben wir sehr viele in unserem Umland. Es tut mir immer wieder leid, wenn eine Saisonkarte bei uns ausgetauscht wird und wir noch nicht alle verfügbaren Top-Produkte in der Küche verwenden konnten.

Wie funktioniert der Dialog respektive der Austausch mit ihren Produzenten und Lieferanten? Wie haben Sie Ihre Top-Lieferanten gefunden?

Anfangs habe ich nach den Lieferanten gesucht. Beispielsweise bin ich zu Veranstaltungen gegangen, wo nur Gärtner hingehen. Dort habe ich wiederum Leute kennengelernt, die zur Gastronomie keinen direkten Kontakt hatten. Dort habe ich aber auch jene Spitzenleute kennengelernt, die sich in ihrem Metier weiterbilden und etwas Besonderes machen wollen. In diesen Kreisen lernt man gut die Szene an Top-Bauern und -Lieferanten kennen. Das hat mir ein tolles Netzwerk eröffnet.

Wie kann man sich die „österreichische Küche“ im Steirereck vorstellen?

In unserer Küche arbeiten mehr als 30 Personen. Ein Kernteam von fünf Personen ist in die Entwicklung neuer Gerichte involviert. Für uns ist nicht primär Optik oder Besonderheit des Produkts wichtig, sondern der Geschmack. Oder es ist eine Idee für ein neues Gericht, der wir nachgehen, zum Beispiel aus Omas Mehlspeisenküche. Meine Großmutter wird heuer im August 100 Jahre alt. Sie ist der prägendste Koch in meinem Leben. Das neue Mehlspeisengericht soll eine Hommage an sie und alle Großmütter werden.

Wie ist der „Master-Plan“ für ein neues Steirereck-Gericht?

Ich bin kein Freund von Gerichten, bei denen ich nachdenken muss, wo fange ich da an zu essen? Wie funktioniert das Gericht und welches Besteck muss ich nehmen? Das Gericht muss so selbstverständlich sein, wie wenn ich zu Hause ein Reisfleisch esse. Unsere Gerichte sind relativ einfach zusammengesetzt. Wenn der Findungsprozess abgeschlossen scheint, dann kosten wir es nicht halb im Stehen, sondern probieren es in regulärer Portionsgröße im Sitzen, wie ein Gast bei uns im Haus. Das muss am Tisch passieren und mit Messer und Gabel. Das tun wir so lange, bis das neue Gericht uns überzeugt.

Zu jedem Gang wird in Ihrem Restaurant ein kleines Informationskärtchen gereicht. Was hat es damit auf sich?

Wir wollen den Gast kurz über die Zutaten des Gerichts informieren und damit einen Informations- und Genuss-Mehrwert anbieten. Wir beschreiben beispielsweise die alte Karottensorte und wer sie anbaut. Das ist uns wichtig. Damit schaffen wir im besten Fall Nachfrage beispielsweise nach alten Gemüsesorten und sorgen so für deren Verbreitung.

Früher waren fast nur die Spitzenrestaurants bekannt, spätestens seit den 90er-Jahren sind die Spitzenköche Stars. Welche Möglichkeiten gibt es, diese Bekanntheit einzusetzen?

Ich bin kein Freund des Starkochtrubels. Wenn man allerdings die Möglichkeit hat, in der Öffentlichkeit gehört zu werden, dann hat man als Koch die Pflicht, beispielsweise die Problematik der EU-Saatgutverordnung zu thematisieren. Oder wenn Käseproduzenten gegen neue Verordnungen zur Verwendung von Rohmilch zu Felde ziehen, dann wird ihnen oft zuerst reines Eigeninteresse unterstellt. Wenn Köche diese Käseproduzenten in ihren Anliegen unterstützen, dann können sie das stellvertretend für die Allgemeinheit tun – immer mit dem Hintergedanken, da geht es um den Geschmack und um die Vielfalt. Das Letztere ist auch ein Anliegen der „Arche Noah“, der Gesellschaft für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt und ihrer Entwicklung (arche-noah.at – Anm.).

Immer öfter werden auch die Lebensmittelproduzenten, ähnlich den Wein­Produzenten, namentlich auf den Restaurantkarten angeführt. Wie hoch ist der Stellenwert der Produzenten für die Allgemeinheit?

Österreich ist hinsichtlich der Lebensmittelproduzenten und Biobauern in vielerlei Weise auf einem guten Weg. Biobauern sind heute in Österreich keine Einzelerscheinungen mehr, sondern eine Bewegung. Wobei darauf hingewiesen werden muss, dass auch ein nicht zertifizierter, kleinbäuerlicher Betrieb ein Produzent von hervorragenden, naturnah produzierten Lebensmitteln sein kann.

Wann würden Sie sagen, dass eine Region und die bodenständige Gastronomie dort einen überzeugenden Auftritt haben?

Die Wahrnehmung in den Medien ist eine eigene Sache. Im Alpenraum haben wir bis dato mediale Chancen verpasst. Die europäischen Nordländer haben das sicher viel besser angestellt. Das allein ist aber für mich ganz klar kein Maßstab. Für mich ist ein Maßstab, ob der Großteil der Bevölkerung in der Region hinter den Produzenten und Produkten steht und für regionale, gesunde Lebensmittel einsteht. Für mich ist es wichtig, dass in den Gasthäusern – und dort auch für Kinder – frisch und sehr gut gekocht wird und ob auch traditionelle Speisen, wie hier in Vorarlberg die Käsespätzle und andere Regionalgerichte, in sehr guter Qualität und Auswahl angeboten werden. Dann sind wir am Ziel. Und wenn wir das Wissen der Generationen vor uns wieder in unser Schaffen integrieren, würde das unserer Gesellschaft guttun.

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