Vanessa Steiner
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Dichtung als Erlebnis

September 2018

Ursprünglich aus der Abendszene Chicagos stammend, ist er mittlerweile nicht mehr aus den Kunstund Kulturszenen – weltweit – wegzudenken: Der Poetry Slam. Er gilt als Aufmacher einer neuen, modernen Literaturszene, die den Puls der Zeit gekonnt einzufangen weiß. Auch in Vorarlberg.

Als Marc Kelly Smith 1986 beschloss, im „Green Mill Jazz Club“ in Chicago einen Abend einzuführen, der sowohl literarisch als auch atmosphärisch was zu bieten hat, durfte ihm das Ausmaß seiner Idee wohl kaum bewusst gewesen sein. Smith, der sein Geld als Bauarbeiter verdiente, schrieb schon als Jugendlicher Gedichte, wobei sich seine Begeisterung für Literatur bis ins Erwachsenenalter hielt. Später besuchte er regelmäßig literarische Veranstaltungen, schien allerdings unzufrieden mit den damaligen Literaturformaten. Er entschloss sich kurzerhand, die einzigartige Atmosphäre der Chicagoer Clubs mit seiner Begeisterung für den literarischen Auftritt zu vereinen und gründete Anfang 1985 die „Get Me High Lounge“. Sattfinden sollten sogenannte „Pong Jams“, welche im Laufe der Zeit immer mehr Menschen anzogen. Jene Abende, an denen Dichter ihre eigenen Werke präsentierten und gegeneinander antreten konnten, wurden immer beliebter. Die neuartige Veranstaltung zog bald in den „Green Mill Jazz Club“, in welchem sich der gängige Poetry Slam entwickelte. Dieser fand seinen Weg, zunächst in die amerikanischen – später auch in Städte auf der ganzen Welt.

Inzwischen ist der Poetry Slam im öffentlichen Bewusstsein angekommen, aber was macht ihn aus? Ein eigens geschriebener Text, alleine und ohne Requisiten vorgetragen – das sind die Rahmenbedingungen eines jeden Poetry Slams. „Es handelt sich dabei um einen modernen Dichterwettstreit“, erklärt die 19-jährige Sophia Juen, selbst Poetin und Organisatorin der U20-Staatsmeisterschaften in Vorarlberg. Der Vortrag darf meist nicht länger als sechs Minuten dauern, wobei das Publikum als Bewertungsinstanz gilt. Die besten Poeten des Abends dürfen im Finale einen weiteren Text vortragen, welcher nochmals bewertet wird. „Das Publikum hat hier nicht nur die Rolle des passiven Zuhörers“, erläutert Juen, „sondern ist aktiv beim Voting des Siegers beteiligt.“ Von ebendieser direkten Kommunikation lebt der Poetry Slam; ein wichtiger Aspekt – auch für Gründer Smith: Dichter sollten sich wieder um die Gunst des Publikums bemühen, wobei dessen Inspiration und Unterhaltung wesentliche Aspekte darstellen. Poesie soll somit allen Menschen zugänglich gemacht werden.

Die Szene Vorarlbergs

Vorarlberg verfügt mittlerweile über eine florierende Slam-Szene, die sich ab 2002 langsam zusammengefunden hat. Den ersten Poetry Slam veranstaltete zu dieser Zeit die Poolbar Feldkirch. 2004 kam der „Kampf der Dichter“ hinzu, welcher im Spielboden in Dornbirn ausgetragen wurde. Eine Vernetzung im Land blieb, laut Thomas Astleitner, Gründer des „LändleSlam“, zunächst aus: Poetry Slam galt als Randerscheinung. Über die Jahre hinweg jedoch erweiterte sich das Angebot kontinuierlich. Sowohl die Einführung des „Jam on Poetry“ als auch die Gründung des Vereines „LändleSlam“ trugen dazu bei, die Szene in Vorarlberg zu festigen. „Durch das Schaffen des ,LändleSlam’ gelang mir zum Teil auch unvorhergesehen, eine großartige Gemeinschaft entstehen zu lassen sowie Geldmittel einzunehmen und Aufträge verteilen zu dürfen“, erklärt Astleitner.

Die 28-jährige Sarah Bonetti aus Hard, mittlerweile eine feste Größe der Szene in Vorarlberg, betont nochmals die Wichtigkeit derartiger Vereine: Es stecke viel harte ehrenamtliche Arbeit dahinter, die tendenziell nicht wahrgenommen werde, jedoch Kooperationen, Förderungen, Finanzierung und Projekte erst ermögliche.

Seither entwickelte sich die Szene zu einem großen Netzwerk an Menschen, die ihre Begeisterung für Literatur, Sprache und Performance teilen. Der Wettbewerbscharakter ist für die Slammer dabei meist zweitrangig, bestätigt auch Astleitner: das Wichtigste der Vortragenden sei es, eine Botschaft zu vermitteln.

Raum für Kritik

Eine Poetry-Slam-Bühne bietet viel Raum für Gesellschaftskritik. Genutzt wird dieser besonders von jungen Poeten. „Bei U20-Slams sind vor allem viele gesellschaftskritische Texte mit dabei, die immer wieder einen Appell an die Zuschauer richten“, bekräftigt Juen. Offenbar bietet die Bühne einen Ort, um öffentlich zu reflektieren und seinem Unmut Luft zu machen. Es werden Probleme angesprochen, analysiert und kritisiert – oftmals auf sehr kreative Weise. Als moderne Kunstform stellt der Poetry Slam somit eine Plattform zur Verfügung, die Aktualität, Kunst und Unterhaltung vereint.

Neben gesellschaftskritischen können jedoch ebenso absurde oder humoristische Texte vorgetragen werden. „Diversität macht Poetry Slam aus“, betont Bonetti. Er biete sich an, einfach, weil beinahe alles erlaubt und möglich sei. Dieses breite Spektrum an Möglichkeiten macht den Poetry Slam zu einer Veranstaltung, die verschiedenste Personen erreichen kann und soll; eine Komponente, die wesentlich zur Popularität des Poetry Slam beiträgt. Nach der Vielfalt und dem Unterhaltungswert ist auch die Authentizität des Textes bedeutend. Das Publikum merke, wenn ein Text unaufrichtig sei, erklärt Juen, auch, da man sich weder hinter Requisiten noch Kostümen verstecken könne.

Texte, mit denen man sich identifizieren kann, kommen beim Publikum grundsätzlich besser an. Die Poeten sind demnach versucht, Emotionen oder zumindest eine Reaktion im Zuschauer zu wecken. Man könne, sagt Bonetti, durch den Poetry Slam auch ein Sprachrohr für eigenes Denken, Empfinden und Handeln finden. Literatur wird dadurch greifbarer.

Poetry Slam ist …

… ein moderner Dichterwettstreit mit Ursprung in den USA. Dabei handelt es sich um einen Abend, an dem in lockerer Atmosphäre eigens geschriebene Texte vorgetragen werden, wobei das Publikum den Sieger bestimmt. Die Veranstaltung lebt von ihrer Vielfalt, Spannung sowie der Inspiration und Reaktion des Publikums.

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