Michael Hauer

Michael Hauer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter von Academia Superior – Gesellschaft für Zukunftsforschung in Linz. Zuvor arbeitete er vor allem zu den Themen Migration und Integration an der Karl-Franzenz-Universität Graz als Assistent für Forschungsstudien am Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte.

Die unternehmerische Gesellschaft

September 2019

Unternehmertum und Engagement sind das Rückgrat unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. Die unternehmerische Initiative der Menschen treibt nicht nur den Fortschritt, sondern auch unseren Wohlstand voran. Wie sehr steigender Wohlstand, Demokratie und freies Unternehmertum zusammenhängen, zeigt auch der historische Vergleich: So gelang es den Planwirtschaften Osteuropas, die das freie Unternehmertum gänzlich abgeschafft hatten, nach großen anfänglichen Erfolgen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bald nicht mehr, mit dem Wohlstandswachstum der freien Marktwirtschaften Westeuropas mitzuhalten. Und auch in der Volksrepublik China begann eine Phase des Wirtschafts- und Wohlstandswachstums erst, nachdem das freie Unternehmertum weitgehend erlaubt worden war.

Ohne Unternehmer wird unsere Gesell­schaft verarmen und langfristig scheitern.

Meinhard Miegel, Sozialwissenschaftler

Wird der Blickwinkel auf noch größere Zeiträume ausgeweitet, so zeigt sich laut dem Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel, dass gerade jene Epochen, in denen Gesellschaften nur niedrige Bevölkerungsanteile von Unternehmerinnen und Unternehmern aufwiesen, auch Zeiträume der weitgehenden Stagnation oder des verlangsamten Fortschritts waren. Das Wirtschaftswachstum oder das Wachstum unseres Wissens war über Jahrtausende der Menschheitsgeschichte relativ gering und überschaubar. In Europa änderte sich dies etwa ab dem Jahr 1800, als sich die Aufklärung und Säkularisierung immer stärker durchsetzten.
Neue Leistungswerte und Vorstellungen der persönlichen Verantwortung sowie die Reduzierung der gesellschaftlichen Hemmnisse und Schranken in allen Bereichen entfachten einen bis dahin ungekannten Unternehmergeist in den europäischen Gesellschaften – mit enormen Folgen für Fortschritt und Wohlstand. Gleiches gilt für die Politik, denn Freiheit, Demokratie und Unternehmertum hängen enger zusammen, als viele glauben, und bedingen einander gegenseitig.
Die Förderung des Unternehmertums in der Gesellschaft bedeutet also auch, den Fortschritt, das Wachstum und die persönliche Freiheit zu fördern. Eng damit verbunden ist jedoch auch die Förderung der persönlichen Verantwortung der oder des Einzelnen. Denn so wie mit Unternehmertum Freiheit als nötige Grundvoraussetzung einhergeht, so setzt Freiheit auch Verantwortung voraus. Das Spannungsfeld zwischen unternehmerischer Freiheit und Verantwortung gegenüber der Gesellschaft ist dementsprechend in der Gegenwart zu einem viel diskutierten Feld geworden.

Unternehmer-Bashing

Die europäischen Gesellschaften entwickelten sich auch deshalb so positiv, weil sie unternehmerische Gesellschaften waren. Trotz dieses Zusammenhangs beklagen gegenwärtig viele Unternehmerinnen und Unternehmer, dass ihnen aus der Gesellschaft ein rauer Wind entgegenweht und ihren Tätigkeiten wenig Wertschätzung widerfährt.
Erfolgreiche Unternehmerinnen und Unternehmer geraten schnell in den Verdacht, unlautere Methoden anzuwenden oder sich auf Kosten anderer zu bereichern. Gleichzeitig werden scheiternde Unternehmerinnen und Unternehmer häufig und ohne Nachsicht als „Totalversagerinnen und -versager“ dargestellt. Die verwerfliche Steuerflucht von Unternehmen wird als Skandal gewertet, während tagtäglicher Steuerbetrug anderer Gesellschaftsgruppen als Kava­liersdelikt abgetan wird. Kurz: Die gesellschaftlichen und moralischen Maßstäbe, nach denen unternehmerisch Tätige bewertet werden, sind wahrscheinlich höher als bei der Mehrheit der erwerbstätigen Bevölkerung. Es wird mehr von ihnen erwartet und gleichzeitig ist das Urteil über sie vernichtender, wenn sie diese Erwartungen nicht erfüllen.

Unternehmer sind Störer.

Meinhard Miegel, Sozialwissenschaftler

Woher kommt diese negative Haltung gegenüber dem Unternehmertum, wo es doch gerade Unternehmerinnen und Unternehmer sind, die einen zentralen Platz im Prozess der Wohlstandsgenerierung einnehmen? Vielleicht liegt es daran, dass Unternehmerinnen und Unternehmer per se mit dem Status quo unzufrieden sind. Sie wollen mehr, sie wollen aktiv verändern und verbessern. Deshalb müssen sie oft gegen den Strom der Angepassten schwimmen und ernten alleine deshalb schon Misstrauen. Wer eingefahrene Verhaltensmuster und institutionelle Strukturen in Frage stellt und Neues schaffen will, wird von anderen Menschen zunächst oft als Störfaktor wahrgenommen und erfährt Ablehnung. Selbst wenn diese Muster sich zunehmend als überholt herausstellen, haben sie eine hohe Widerstandskraft gegen Veränderungen.

Unternehmertum und die Grenzen des Wachstums

Die eingangs genannten rasanten und positiven Fortschritte der letzten 250 Jahre hatten auch eine negative Seite: Sie basierten teilweise auf der zunehmenden und ungezügelten Ausbeutung der begrenzten Ressourcen unseres Planeten.
Die heutigen hochentwickelten Gesellschaften verbrauchen immer noch ein Vielfaches mehr an Ressourcen, als ihnen zustünde beziehungsweise als sie nachhaltig regenerieren können. Gleichzeitig machen aufholende Gesellschaften für ihren Fortschritt von denselben zerstörerischen Praktiken Gebrauch – wider besseres Wissen. Der in den fortgeschrittenen Gesellschaften beobachtbare Rückgang des Wachstums in den letzten Jahrzehnten oder die zunehmenden Wirtschaftskrisen könnten Indikatoren für eine Annäherung an diese Grenze des „Wachstums wie bisher“ sein.
Was es in Zukunft also vor allem brauchen wird, ist nicht einfach nur Wachstum nach den bisherigen Mustern. Es braucht innovatives und qualitatives Wachstum. Und dieses wird nur durch ein Mehr an Effizienz sowie an neuen Ideen und Herangehensweisen in allen Bereichen möglich sein. Nur so werden wir möglichst viel aus den natürlichen Ressourcen des Planeten herausholen können, ohne dabei die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen zu untergraben.
Gerade in diesem Prozess wird die Rolle der Unternehmerinnen und Unternehmer zentraler sein denn je: Ihre Aufgabe lautet, die realen Möglichkeiten unserer Umwelt mit den Ansprüchen der Menschen in Einklang zu bringen. Eine Verantwortung, die bisher noch zu wenig durch das Unternehmertum wahrgenommen wurde – auch weil die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dafür nicht gegeben waren. Ohne Personen, die neue Ideen und Lösungen für diese schwierige Aufgabe entwickeln, werden wir als Gesellschaft aber an unseren eigenen Ansprüchen scheitern, da wir uns unsere zukünftige Lebensgrundlage nachhaltig selbst zerstören. Unternehmerinnen und Unternehmer sind in unserer Gesellschaft diejenigen, die dazu berufen sind, neue Lösungen für dieses Problem umzusetzen.

Mehr Unternehmertum und ein Bekenntnis zur Fehlerkultur 

Wenn wir in Zukunft mehr Unternehmerinnen brauchen, um den großen Herausforderungen begegnen zu können, gilt es nicht nur, das Image des Unternehmertums zu verbessern, sondern auch, den Unternehmergeist im Land zu stärken.
Weg von der Neidgesellschaft und wieder zurück zur Leistungsgesellschaft muss die Devise lauten: aktives und innovatives Engagement der Menschen stärken und fördern – nicht nur in der Wirtschaft, sondern in allen Bereichen. Vor allem in der Kindheit und Jugend müssen mehr Möglichkeiten und Anreize für Engagement gegeben werden – denn nur wer als Kind lernt, dass das eigene Engagement und Handeln Wirkung hat, wird auch als Erwachsener aktiv danach trachten, den Status quo zu verbessern und so unternehmerisch tätig zu sein.
Ein wesentlicher Ansatzpunkt hierfür ist, eine neue Kultur im Umgang mit Fehlern zu begründen. Denn wer als Kind lernt, dass Fehler nur schlecht sind, versucht sie auch als Erwachsener um jeden Preis zu vermeiden. Doch ohne Fehler zu machen – genauer: ohne das Erkennen unserer Fehler –, kann man sich nicht verbessern. Können wir keine neuen Ideen und Lösungen entwickeln, bleiben wir immer auf den ausgetretenen, angepassten Pfaden, bleiben wir träge und werden nicht innovativ.

Jeder darf Fehler machen. Ein Problem ist das nur, wenn jemand denselben Fehler drei Mal macht.

Damian Izdebksi, IT-Unternehmer

Nur wer die Fehler des anderen kennt, kann vermeiden, denselben Fehler ebenfalls zu machen. Das Problem ist also nicht, dass wir Fehler machen. Das grundlegende Problem ist, dass wir aus Fehlern nicht oder zu wenig lernen, nicht über Fehler kommunizieren und sie deshalb wiederholen. Der nächste Schritt in der Entwicklung der unternehmerischen Gesellschaft muss daher der Schritt zu einer unternehmerischen Gesellschaft sein, die mit ihren Fehlern offener umgeht.

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