Roland Gnaiger

* 1951 in Bregenz, gilt als einer der vielseitigsten und anerkanntesten Architekten Österreichs. Der emeritierte Universitätsprofessor – Gnaiger hatte von 1996 bis 2019 das Architekturstudium an der Kunstuniversität Linz geleitet – hat zahlreiche Schlüsselbauten der Neuen Vorarlberger Bauschule realisiert und viermal den Österreichischen Bauherrenpreis gewonnen. Durch seine zahlreichen Vorträge, Interviews, Ausstellungsbeiträge und Juryteilnahmen hat Gnaiger weit über die Architektur­szene hinaus Aufmerksamkeit erlangt.

Ein Plädoyer für Schönheit!

Juli 2024

Vorarlberg, ein landschaftlich erblühendes, vielfältig fruchtbares und buntes Selbstversorgerland. 

Mein Verhältnis zu Ideen ist gestört. Zu selten werden sie zu Ende gedacht, gründen in redlichen Motiven, folgen einem Gesamtkonzept oder helfen dem Gesamtwohl. Die meisten treiben jene Entwicklungen voran, die uns schon die aktuellen Miseren bescheren. Lohnende Ideen werden zu zögerlich in die Tat gesetzt, während die dümmsten (besonders in Vorwahlzeiten) einzig dem Ziel dienen, Aufmerksamkeit zu erheischen. Ob ihrer ureigenen Gerissenheit machen die allgegenwärtig „zündenden Ideen“ der Werbebranche wett, worum sich Eltern und Schulen über Jahre bemühen. 
Wie wäre es stattdessen mit Haltung, mit Orientierung, mit Verantwortung und Empathie, mit einem Blick auf die Neben- und Folgewirkungen und auf das eigene Motiv? Diese Werte sind es, die fruchtbringende Ideen den Boden bereiten.
Jede Idee will etwas neu oder anders. Das Neue verlangt guten Willen, historisches Bewusstsein (zwecks Vertrauen in Veränderung), Analyse der Gegenwart, sowie für das Zukünftige Vorstellungskraft. 
Ich entscheide mich für Schönheit! Damit sollte ich in bester Gesellschaft sein. Denn ist es nicht so, dass bei der Frage nach dem eigenen Land, der Stolz der Vorarlberger (aller Österreicher) auf die Schönheit ihrer Landschaft, ganz zuvorderst steht? Aber: kann man auf etwas stolz sein, was man selbst weder bewirkt noch geschaffen hat? Wir als Begünstigte wunderbarer Landschaftsformationen und Erben einer herrlichen „Kulturlandschaft“ werden diesem Vorzug nicht gerecht. (Gleichwohl sind unsere Spuren in der Landschaft das, was von uns am dauerhaftesten bleibt.) 
Dass bei den aktuellen Versuchen zur Verhinderung des EU-Renaturierungsplans, ausgerechnet jenes Land eine tragende Rolle spielt, dessen Identität und Stolz sich aus der Schönheit seiner Landschaft nährt, ist nicht zu fassen. Unter Vorarlberger Beteiligung erklärt Österreich Natur (Moore und Auen, Insektenweiden, Brutplätze und Wildnisgebiete) zum Feind von Landwirtschaft und Ernährungssicherheit und nicht die gedankenlose Bodenversiegelung und unseren abwegigen Flächenfraß. Was reitet dabei das schwächste Glied der Agrarwirtschaft, die Bauern? Bewusstsein für die gegenwärtigen Katastrophen und Fürsorge für Ökobalance und Klimaschutz können es nicht sein. Schieben die machtvollen Konzerne, die Saatgut, Dünge- und Futtermittel, Schädlingsbekämpfung, Landwirtschaftsmaschinen und Agrardiesel bereitstellen, die Bauern vor? Gleich den Lebensmittelverarbeitern, der Verpackungsindustrie und den Handelsketten profitieren sie mehr von der Arbeit der Landwirte als diese selbst. Es liegt nahe zu spekulieren: Besteht neben der Massentierhaltung und -produktion das letzte und einzig lukrative Einkommen der Landwirte in der Umwidmung und im Verkauf ihrer Böden? 
Vor 50 Jahren habe ich im Zug der ersten Energiekrise in Texten und Vorträgen vor dem Missbrauch von Energie als „politische Waffe“ gewarnt. Es wäre längst an der Zeit, vor der Herrschaft über die Nahrungsressourcen zu warnen. Denn ein versiegender Lebensmittelstrom träfe uns unerträglich direkter und katastrophaler. (Denken wir an den ukrainischen Kampf um die Getreideausfuhr, das indische Exportverbot für Reis, die durch Trockenheit in Spanien bedingten Ernteausfälle und die leeren Regale in britischen Supermärkten.) 
 Weniger als acht Prozent unseres Eigenbedarfs an Getreide, Obst und Gemüse gedeiht im Land. Innerhalb von 60 Jahren wurde die Produktpalette heimischer Bauern drastisch reduziert. Mit rigorosen Folgen für unsere Landschaft wurde die Gräser-, Kräuter- und Blumenvielfalt von Vorarlbergs Wiesen um 75 Prozent dezimiert. Ein Gewinn an Reichtum, Selbstständigkeit und Schönheit?
Somit die Frage an uns alle, an Bürger, Architekten, Politiker und Unternehmer: Wünscht jemand, dass sich Artenschwund und Verbauung unserer Landschaft im Lauf der kommenden 50 Jahre in der bisherigen Intensität fortsetzen? Ohne gründlicher Transformation wird dies der Fall sein. 
Somit zu meiner „Idee“: 
Wir wandeln Vorarlberg in ein fruchtbares, bunt blühendes, landwirtschaftlichen Reichtum und Schönheit auszeichnendes Land. Im Rheintal breiten wir Getreidefelder, Gemüseäcker und Obsthaine aus. Straßen und Wege säumen wir mit Nussalleen und versorgen die Landesbrauereien mit eigenem Hopfen und vor Ort angebauter Gerste. Auf den mittleren Höhenlagen ziehen wir Kartoffeln und Beeren und etwas Wein an den südlichen Hängen. Wir produzieren Milch und Käse in jenen Lagen, in denen anderes Liebhaberei wäre, und im Maß unseres eigenen Bedarfs. Wir starten Programme zur Fassadenbegrünung und nutzen die Gunst der Hauswände für reich tragenden Marillen-, Birnen-, Feigen- und Kiwispaliere. Wir offerieren den Bienen und Käfern üppig blühende Wiesen und den Singvögeln reiche Insektenernten. Wir tragen das dafür erforderliche Wissen zusammen und propagieren maßvolles Gärtnern als Alltags- und Freizeitkultur. Gemeinsam kaufen wir unsere Gärtner und Landbearbeiter frei. Engagiert versöhnen wir Effizienz mit Kultur und Muße und pflegen eine über die Grenzen ausstrahlende Ess, Trink- und Gastronomiekultur. 
Was wäre neben Vielfalt und Schönheit der Gewinn? Eine Kulturlandschaft die diese Bezeichnung verdient, Ernährungssicherheit, die Festigung der Trinkwasserreserven, Klima- und Katastrophenschutz, die Schaffung sinnvoller Arbeitsplätze, unser Land, eine sanfte, nachhaltig attraktive Tourismusregion; Lebensqualität und ein legitimes Recht auf Regionalstolz. 
Dafür zahlt sich aus, dass wir Land- und Forstwirtschaft als unser gemeinsames Anliegen verstehen und deren Erzeugnisse (endlich!) angemessen honorieren. 
Warum Schönheit der Landschaft? Weil unser wirtschaftliches Tun, all die vielfältigen und komplexen Einflussfaktoren, die Landschaften gestalten und prägen, in Verletztheit oder Intaktheit und in Hässlichkeit oder Schönheit münden.

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