Christine Flatz-Posch

Kindern das Gefühl geben, wichtig und wertvoll zu sein

Mai 2018

Eine große Chance – auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene – ist das Modell „Pflegschaft“ für Silvia Zabernigg. Die Psychologin leitet den Pflegekinderdienst des Vorarlberger Kinderdorfs seit seiner Geburtsstunde vor 22 Jahren und weiß, wovon sie spricht. Fast 400 Kinder wuchsen in dieser Zeit bei Pflegeeltern auf.

Kinder brauchen Bindungspersonen, auf die sie sich verlassen können. Wenn die leiblichen Eltern nicht in der Lage sind, sich um ihr Kind zu kümmern, ist Pflegschaft eine Alternative – für Silvia Zabernigg nach wie vor die beste: „Pflegefamilien sind eine große Chance für Kinder, die nicht daheim aufwachsen können, gut erwachsen zu werden.“ Nicht immer, aber sehr oft würde es den Pflegefamilien gelingen, dem „fremden“ Kind neuen Halt und Orientierung zu geben, ein geborgenes Zuhause, in dem es mit seinen Bedürfnissen und Schwierigkeiten angenommen wird. Zwei Drittel der Kinder werden in den Pflegefamilien volljährig, viele bleiben auch danach Teil der Familie.

Innovationskraft

Mit seinem Modell war das Vorarlberger Kinderdorf vor gut 20 Jahren in einer Vorreiterrolle. 1999 übernahm die Kinderschutzeinrichtung alle bestehenden Pflegeverhältnisse, die in öffentlicher Hand lagen. 2600 Familien in Vorarlberg haben sich seitdem für die Aufnahme eines Pflegekindes interessiert, gut 500 Personen an speziellen Schulungen teilgenommen. In dieser Zeit bewies der Pflegekinderdienst Innovationskraft. Mit neuen Angeboten wie Ankerfamilien für ältere Kinder, Wegbegleitung als zeitlich begrenzte Pflegschaft oder Patenfamilien für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge wurde veränderten Anforderungen und gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung getragen.

Keine Supermama

Derzeit leben 245 Kinder und Jugendliche in Vorarlberg in einer Pflegefamilie und damit einer Familienform, in der sich alle Beteiligten neu definieren müssen. „Pflegekinder, auch Säuglinge, bringen einen Rucksack in die Pflegefamilie mit, den sie immer wieder auspacken“, erklärt Pflegschafts-Expertin Silvia Zabernigg. Sie sind aufgrund früher Traumatisierungen und Verletzungen zwischen oft extremen Gefühlen hin- und hergerissen. Mehr als alles andere brauchen diese Kinder Menschen, die sie so annehmen, wie sie sind. Zwar müsse man keine „Supermama“ sein, aber schon eine gehörige Portion Verständnis und Toleranz mitbringen, meint Patricia Klösch, die mit ihrem Mann zu den zwei mittlerweile volljährigen eigenen Kindern zwei Pflegekinder aufgenommen hat. Einem wertschätzenden Umgang und guten Kontakt zu den leiblichen Eltern ihrer Pflegekinder misst sie eine hohe Bedeutung zu: „Es ist sehr wichtig, dass die Kinder ihren Ursprung kennen und das Gefühl haben, doch geliebt und nicht verstoßen zu sein.“ Mit ihrer ganzen Geschichte akzeptiert zu werden, ist für Pflegekinder wegweisend. „Es stärkt Kinder, wenn sie wissen, warum sie in einer Pflegefamilie sind und die leiblichen Eltern einen Platz in ihrem Leben haben“, ist die Sozialarbeiterin und Pflegekinderdienst-Mitarbeiterin Gerti Breuss-Klas überzeugt.

Wer sagt, dass es leicht ist?

Für über 20 Babys, Klein- und Volksschulkinder werden jährlich neue Pflegeeltern gesucht. Tendenziell wird es schwieriger, Familien zu finden, die diesen Schritt wagen. „So eng wie Anfang dieses Jahres war es jedoch noch nie“, so Silvia Zabernigg, die diese Entwicklung auch auf einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel zurückführt. „Der wirtschaftliche Druck auf Familien wird größer. Zugleich sind in allen Lebensbereichen die Ansprüche gestiegen. Familie ist zum komplexen Unternehmen geworden, da bleibt wenig Spielraum – schon gar nicht für die Aufnahme eines Kindes, das nicht das eigene ist.“ Dennoch gibt es immer wieder Familien, (kinderlose) Paare und auch Alleinerziehende, die ihr Herz und Haus für ein Pflegekind öffnen und sich aus ganz unterschiedlichen Gründen diesem Abenteuer stellen. Gemeinsam ist allen – derzeit 181 – Pflegefamilien in Vorarlberg, dass sie sich für das Wohl von Kindern einsetzen und deren Lebenswege positiv beeinflussen wollen.

Abwärtsspiralen durchbrechen

Gelingt es, Kindern das Gefühl zu geben, wichtig und wertvoll zu sein, dann ist auch gesellschaftlich viel gewonnen. Dann nämlich können Abwärtsspiralen durchbrochen werden, die sich teils über Generationen hinweg manifestieren. „Kinder, die sich selbst und ihren Platz gefunden haben, sind fähig, ihre Talente auszuschöpfen.“ Damit sind Pflegefamilien auch und vor allem eine Chance für Kinder und deren Kinder auf ein glückliches und gelingendes Leben.

Für Kinder jeden Alters werden dringend Pflegefamilien gesucht!
Kontakt: Silvia Zabernigg, Pflegekinderdienst des Vorarlberger Kinderdorfs,
Telefon: 05522 82253,
Mail: pkd@voki.at
Alle Infos zu Pflegschaft unter: www.vorarlberger-kinderdorf.at/pflegekinderdienst

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