Markus Zwetti

Markus Zwetti * 1972, Malermeister und  Fachlehrer in der Landesberufsschule Dornbirn, ist ausgebildeter Lauftrainer.

Marathonlaufen – Warum, wie und warum wieder

Oktober 2019

Begonnen hat alles mit einer Wette unter Kollegen bei einem Bockbier-Anstich im Jahre 2005. Sieben Monate später bin ich meinen ersten Marathon in Wien gelaufen. Die 42 Kilometer waren lang, sehr lang, und vor allem ab Kilometer 34 großes Leiden. Endlich im Ziel angekommen, habe ich mich vor lauter Müdigkeit direkt am Heldenplatz zwischen gefühlte 10.000 Bananenschalen gelegt und mir geschworen, nie mehr wieder aufzustehen. Nach zirka einer halben Stunde und unzähligen Bitten der Helferinnen und Helfer, den Zielbereich nicht gerade im Zentrum zu okkupieren, half mir ein Läufer wieder auf die Beine. 
Seine einzige Frage war: „Dein erster Marathon?“ Als ich erschöpft mit „Ja“ antwortete, meinte er nur: „Wirst sehen, da folgen noch einige.“ Meine Antwort lautete auf gut Wienerisch: „Sicher nie mehr, Oida!“ Es hat zwar fünf Jahre gedauert, bis ich meinen nächsten Marathon gelaufen bin, aber letzten Endes behielt der unbekannte Läufer recht.
Oft stand ich inzwischen am ersten Oktober-Wochenende in Lindau am Start des großen Laufevents: dem Drei-Länder-Marathon am Bodensee. Im Startgelände heizt eine Band mit 50er/60er-Jahre-Sound die Stimmung an und spielt (wieder einmal) Rama Lama Ding Dong – normalerweise sicher nicht in meiner Playlist.
Das Ziel in Bregenz kann ich schon vom Hafen in Lindau sehen, das Problem: Zuerst muss ich noch nach St. Margarethen in die Schweiz und dann zurück nach Bregenz laufen, um mir die glänzende Finisher-Medaille (und vielleicht eine neue persönliche Bestzeit) zu verdienen.
Der Start rückt näher, der Adrenalinspiegel und die Nervosität steigen. Irgendwie fühle ich mich schon seit zwei Tagen etwas unwohl, so leichtes Kratzen im Hals etc. – eigentlich wie jedes Mal, wenn ein Marathon ansteht und seltsame Gedanken gehen mir durch den Kopf: Habe ich im Vorfeld zu wenig trainiert oder habe ich zu viele Kilometer gemacht, habe ich zu wenige davon im richtigen Tempo absolviert, habe ich nun zu soft oder zu hart trainiert? Ich war sogar eine Woche krank und konnte gar nicht trainieren – wahrscheinlich wird mir genau diese Woche am Schluss fehlen!
Habe ich meine Powergels zur Stärkung dabei? Sitzt die Startnummer richtig? Habe ich den Zeitnehmungs-Chip gut angebunden? Sitzt der Laufschuh auch nicht zu locker oder gar zu fest? Bin ich zu warm angezogen? Fängt es an zu regnen oder schlimmer: 42 Kilometer Gegenwind.
Endlich der Start. Für kurze Zeit sind sämtliche Gedanken weg. Die Masse, eingeteilt in Gruppen, setzt sich in Bewegung – die ersten Positionskämpfe beginnen schon wenige Meter hinter der Startlinie – eh nur noch schlappe 42 Kilometer, um Kontrahenten zu überholen. 
Nach einigen Kilometern lichtet sich das Feld. Gruppen bilden sich, manche laufen alleine. Schon hat man wieder Zeit, sich Gedanken zu machen, aber die Kilometer gehen so dahin, eigentlich läuft es doch eh. 
Die Zuschauer feuern mich an, das motiviert sehr. Je näher ich der Grenze zur Schweiz komme, desto spärlicher erscheinen mir die Zuschauergruppen, oder vielleicht werden einfach meine Füße und mein Kopf allmählich schwerer, und ich sehe nicht mehr alle, die am Wegesrand unermüdlich auch die Hobbyläufer noch anfeuern.
Es nähert sich langsam jene Phase im Marathon, in der man alles in Frage stellt. Was mache ich eigentlich hier? Warum tu ich mir das an? Soll ich nicht doch lieber gleich einfach gehen, anstatt zu rennen – wäre viel gemütlicher. Eigentlich könnte ich ja da vorne aussteigen und eine Verletzung angeben, falls jemand fragt – nichts Ungewöhnliches.
Kann es wirklich Spaß machen, stundenlang auf die Fersen des Vordermanns zu blicken, kaum etwas von der schönen Umgebung zu sehen, weil man wie in einer Art Tunnel rennt? Und auch noch Startgeld dafür zu bezahlen!
Aber: Zu aufwendig und asketisch war die wochenlange Vorbereitung auf diesen Lauf. Wäre doch schade um die ganzen Trainingskilometer mit meinem Trainingskollegen und Freund René! Umsonst die alkoholfreien Biere und der zeitige Aufbruch von Festen, wenn am nächsten Tag eine längere Trainingseinheit auf dem Plan steht. Ganz zu schweigen vom Verzicht auf andere Sportarten (wie Fußball), da die Erholungspausen ansonsten zu kurz wären.
Aber die nächste magische Marke naht: Die letzten zehn Kilometer. Alte Läuferweisheit: Nichts tut mehr weh, als die letzten zehn Kilometer. Jetzt fängt man an, auch die halben Kilometer herunter zu zählen, um sich zu beschäftigen und um kleine Erfolge zu feiern auf dem mühsamen Weg ins Bodenseestadion.
Wenn aber die Stimmen der Menschen und des Sprechers im Zielbereich immer näher rücken, dann fällt alles wie eine Last von meinen Schultern. Spätestens nach dem Überqueren der Ziellinie schalten mein Kopf und mein Körper auf „Notversorgung“, und ich könnte gefühlt keine 100 Meter weiterlaufen, weil alles in mir streikt und nur noch Ruhe will.
So niedergeschrieben, klingt alles nach einer Tortur, aber: Bald nachdem die erste Müdigkeit überwunden ist, werden auch schon die nächsten Pläne geschmiedet: Beim nächsten Marathon wird früher, härter und länger trainiert, um sich zu verbessern. Dass diese Vorsätze dann genauso umgesetzt werden, kann ich auch nach rund 25 Marathons nicht bestätigen, aber eines ist gewiss: Der nächste Marathon kommt bestimmt.

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