Wolf Lotter

*1962 in Mürzzuschlag ist Mitbegründer und Leitartikler des deutschen Wirtschaftsmagazins „brand eins“. Dieser Text ist ein vom Autor überarbeiteter Auszug aus dem Buch „Innovation. Eine Streitschrift für barrierefreies Denken“, Edition Körber, 2018.

„Nervös, wenn etwas abweicht“

November 2022

Wolf Lotter (60), Mitbegründer von „Brand eins“, sprach bei der Travo-Eröffnung in Dornbirn über die Welt im Umbruch, Innovation – und die Notwendigkeit, Störer in Unternehmen zu fördern. Lotters Rede, verkürzt wieder gegeben.

„Ich darf Feuer machen, das freut den alten Mann, der sich seit 35 Jahren mit dem Thema beschäftigt. Transformation, Innovation, das sind keine neuen Themen, wir sind nur unglaublich langsam. Die Kultur steht immer zwischen uns und dem Neuen. 
Das ist das Problem mit der Transformation. Wir tun Dinge, weil wir glauben, dass sie nötig sind. Unerlässlich, weil wir sie immer schon so gemacht haben. John Maynard Keynes hat 1936 den großen Satz geschrieben: „Die Schwierigkeiten liegen nicht so sehr in den neuen Gedanken, als in der Befreiung von den alten.“ Die Transformation von der Industrie- zur Wissensgesellschaft läuft seit vielen Jahrzehnten. Josef Schum­peter hat bereits in den 1940er Jahren darüber geschrieben. Und wir haben immer gesagt, irgendwann ist das sicher so und morgen ist auch noch ein Tag. Doch dieser Tag ist längst angebrochen. 
Ich habe noch in den späten 1970er Jahren eine Lehre gemacht, da hat man darauf gewartet, dass einem der Chef etwas sagt und hat nur geantwortet: Ja, Chef! Aber heute haben wir es Generation Z zu tun, mit der Generation Alpha. Was wollen die? Die wollen Respekt und Anerkennung für ihre Arbeit. Das ist ein menschliches Grundbedürfnis. Wenn man das ignoriert, dann ignoriert man gleichzeitig jede Form von Innovation. Denn Innovation ist nichts, was der Chef bestellen könnte. Es genügt nicht, zu sagen: So Leute, ab morgen sind wir innovativer, der Hut brennt, die Krise ist da. Würde das etwas helfen? Es würde nichts helfen. Es würde aus einer schlimmen Situation eine schlimmere machen.
Die Industriegesellschaft war eine Einheitsgesellschaft. Die Kultur ist eine Einheitskultur. Die wird nervös, wenn etwas abweicht. Was nicht passt, wird passend gemacht. Ich bin erstaunt, wie tief kulturell verankert ist, dass jede Form von Abweichung als Bedrohung gesehen wird. Aber das Blöde ist: Abweichungen sind gleichzeitig auch Innovationen.
In einem System, das sagt, es muss alles genauso sein, wie wir es geplant haben, gibt es keine Innovation. Denn Innovationen sind Störungen. Es gibt auch kein innovatives Unternehmen. Denn die Organisation selbst muss nicht innovativ sein, sie hat den Bestand zu erhalten. Aber sie muss energisch Möglichkeiten schaffen, damit in dieser Organisation Menschen Ideen einbringen können, für die sie streiten und mit denen sie jene konfrontieren, die das nicht wollen. Die Aufgabe von Führung, von Unternehmern, von Managern, von Leadership ist, diese Leute positiv zu diskriminieren. 
Bisher haben wir die gelobt, die brav mitmachen. Industria heißt Fleiß. Die Industriegesellschaft ist die Fleißgesellschaft, die Guten sind die, die fleißig sind. Aber es heißt auch, blinder Eifer schadet nur. Wenn wir immer nur auf Routine setzen und nicht auch die Frage stellen, ob das denn richtig ist, was wir da tun – und ob das nicht auch anders geht – dann können wir über Innovation und Transformation reden, bis wir schwarz werden. Wenn wir nur das hören wollen, was wir bisher gehört haben, was uns gefällt, dann ist das Reden über Transformation und Innovation sinnfrei. 
Wenn wir ernsthaft an Transformation arbeiten, dann müssen wir ganz konkret sagen: Holt die Leute raus in den Organisationen und Unternehmen, ermöglicht ihnen etwas. Wir administrieren, als ob es nur an den Spitzen immer noch Leute gäbe, die wissen, wo es langgeht, die anführen. Während die anderen nachlaufen. Weil sie geistig faul sind. Wer sich gerne Befehle geben lässt, ist ein Faulpelz. Ist man nicht faul, gibt man Widerworte, nachdem man nachgedacht hat, wie es anders geht; und hat man diese Widerworte gegeben, versucht man andere zu überzeugen mit Argumenten zu überzeugen. Das ist Innovation. 
Diese Innovationen treffen in den Organisationen auf härtesten Widerstand. Und es muss die Aufgabe von guten Unternehmen, von gutem Leadership sein, diesen Widerstand zu brechen und zu sagen: Wenn wir Leute haben, die sich die Mühe machen nachzudenken, dann soll man froh sein. Denn dann gehören wir zu den Unternehmen, die eine reelle Chance haben, im Konzert des 21. Jahrhunderts mitzuspielen. Wer sich der Wirklichkeit nicht stellt, der hat das Problem, dass er von dieser Wirklichkeit eingeholt wird.
Natürlich müssen wir uns anstrengen. Kopfarbeit ist hartes Brot. Aber: Alles, was wir heute haben, der ganze Wohlstand, baut darauf, dass es Männer und Frauen gegeben hat, die in den vergangenen 200 Jahren der Moderne alles dafür gegeben haben, dass ihre Ziele und Visionen umgesetzt werden. Dass die gesagt haben: das probieren wir jetzt. 
Fördern Sie die Außenseiter, fördern Sie die Störer, fördern Sie alle, die nicht immer das gleiche machen. 
Manager tun die Dinge richtig, Leader tun die richtigen Dinge, das hat Peter Drucker gesagt. Einen größeren Unterschied gibt es nicht. Man kann alles brav nach Handbuch abarbeiten, nach Methode F und am Ende ist nichts passiert. Und man kann gleichzeitig sagen: Wir versuchen jetzt einmal gründlich darüber nachzudenken, was wir wirklich wollen. Das ist ein Satz, den Frithjof Bergmann gesagt hat, der Vater von New Work. Wirklich darüber nachzudenken, wer man ist, was man kann, wohin es geht, ist eine enorme Anstrengung. 
Wir sind aus dem Wohlstand draußen, aus der Welt in Watte. Aber ich glaube, man bekommt das hin; mit Unternehmergeist, mit Aufbruchsgeist und indem man seine Organisation als Transformationsunternehmen einrichtet. Ernst Blochs Buch „Prinzip Hoffnung“ endet mit dem Appell, dass man sich nicht immer mit dem Scheitern beschäftigen, sondern ins Gelingen verlieben soll. Verlieben Sie sich ins Gelingen! Wir brauchen Ideen und die bekommt man nur, wenn man sich traut. Clint Eastwood hat in einem Film den großen Satz gesagt: Wir reiten in die Stadt. Der Rest ergibt sich.“

Protokoll: Andreas Dünser

Kommentare

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Wahr gesprochen. Respekt für die Ideen der Mitarbeiter und Freiraum diese anzuwenden sind Pflicht um die Kreativität zu nutzen die sich in einer Gruppe von Menschen findet. Und es braucht es eine neue Führung um einen Rahmen zu schaffen, der den vielen neuen Impulsen eine gemeinsame Richtung gibt. Wie das geht? Aus meiner Sicht nur mit harter Arbeit, denn die einen müssen selbst zu Ende denken und Verantwortung übernehmen und die anderen begreifen, dass sie es auch nicht besser wissen und Verantwortung abgeben. Selbst tätig in einer sich transformierenden Organisation merke ich, dass es viele Fragen gibt, die immer wieder neu gestellt und beantwortet werden müssen bis am Ende alle (wieder) an einem Strang ziehen können. "Manager tun die Dinge richtig, Leader tun die richtigen Dinge" ist richtig und erfordert in einer Gesellschaft die immer verzweifelter die Anleitung sucht immer mehr Mut. Gerne mehr solche Artikel. Sehr interessant!
War mir ein Vergnügen - auf bald!