Stephan Schmid

„Zur Hölle“ mit Gymnasiasten

Oktober 2018

17 Gymnasiasten aus ganz Vorarlberg durften im Rahmen eines Ethik- und Philosophie-Projekts vier Tage am Philosophicum in Lech verbringen. Thema des 22. Philosophicums war „Die Hölle. Kulturen des Unerträglichen“.

Ein Projekt, das Begabte fördert, indem es Schüler mit komplexen Themen der Universität konfrontiert, sollte die Ergebnisse moderner Lernforschung berücksichtigen. Wie also lernt man am leichtesten? Englisch in England oder Amerika, klar – alles kommt in der fremden Sprache daher, man taucht mit Haut und Haar in ein fremdes Leben ein, in einen Strom aus englischer Sprache, Grammatik und Klang. Außerdem gilt als pädagogische Binsenweisheit: Man lernt leicht am Projekt, am einzelnen Beispiel, das konkret und anschaulich ist. 

Gut vorbereitet nach Lech

Voilà – will man das alles umsetzen, dann wird Philosophie am Philosophicum den weitaus besten Ertrag bringen. Deshalb wurde das Projekt von der Leiterin der Begabungsförderung, Verena Chlumetzky-Schmid, initiiert, die gleichzeitig auch Obfrau des Vereins Initiative Begabung ist. Dank der großzügigen Unterstützung dieses Vereins, des Landes Vorarlberg und einer weiteren Organisation, die nicht erwähnt werden möchte, konnten 17 junge Leute aus verschiedenen Gymnasien im Land nach Lech aufbrechen. 
Wie kamen sie zu ihrer Chance? Sie mussten zuerst einen Essay schreiben, in dem sie ihre Beweggründe darlegten, warum sie sich für Philosophie interessierten. Anschließend nahmen sie – in den Ferien! – an einem Seminar teil, das von Elisabeth Widmer, der Assistentin von Professor Konrad Paul Liessmann, dem wissenschaftlichen Leiter des Philosophicums Lech, gehalten wurde. Dort beschäftige man sich über vier Tage intensiv mit philosophischen Themen. So vorbereitet, durften die Schüler der Schule Ade sagen und ganz eintauchen in die anregende Atmosphäre von Lech.
„Ein Ziel dieses Projektes zur Begabungsförderung ist es, dass die jungen Damen und Herren das Feuerwerk an Gedanken, Ideen, Thesen und Antithesen miterleben dürfen. Dieses Nachdenken bildet die Persönlichkeit, öffnet Räume für später und zeigt Wege auf, die vielleicht einmal begangen werden können“, erklärte Chlumetzky-Schmid. „Ohne die großartige finanzielle Unterstützung unserer Sponsoren wäre dieses Projekt nicht möglich gewesen“, fügte sie noch an. 
Dass die Hölle seit der Antike als ein Ort gedacht wird, der die Ungerechtigkeiten, die auf der Erde erlebt werden, ausgleicht, das ist ein Gedanke, der uns bis heute begleitet und prägt. Dieses „Äquivalenzprinzip“, wie Liessmann in seinem Einleitungsvortrag erläuterte, sagt sehr viel über die eigenen Moralvorstellungen aus. Die Hölle stelle eine Art Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit dar, sei eine Mischung aus Rache und Vergeltung bei „gleichzeitigem Einverständnis der eigenen Ohnmacht“. Die Hölle erzählt also von uns selbst, von unseren Ängsten und Sehnsüchten, gibt Auskunft über unsere Begierden und Fantasien.

Begeisterung steckt an

Die Wahrheit in Zeiten von Fake-­News – ein besonders aktuelles Thema! Professor Pörksen analysierte unser digitales Verhalten und kam zum Schluss, dass wir unter Autoritätsverlust leiden. Was ist die Wahrheit? Darüber wird seit Beginn der Philosophie nachgedacht. Wenn etwa beim Amoklauf in München 2016 auf Facebook Bilder mit dem Inhalt „Jetzt wird auch am Stachus geschossen“ gepostet werden, dann ist eine neue Qualität in unserer Informationsverarbeitung erreicht. Die Bilder erzeugen eine Autorität und beanspruchen damit eine Wahrheit, die, wie man erst viele Stunden später bemerken kann, einfach erlogen war. Wie damit umgehen? Der Hinweis auf den schon seit der Antike beliebten Skeptizismus ist heute mehr denn je geboten.
Von diesen Gedanken besonders begeistert zeigte sich Iris Bachmann: „Nicht nur rhetorisch war Pörksen beeindruckend, mir hat auch gut gefallen, was er gesagt hat. Wir konstruieren uns die Wahrheit, wie sie uns gefällt. Das betrifft dann aber nicht mehr die Realität“, sagte die Maturantin aus dem Gymnasium Bregenz Blumenstraße.

„Philosophie ist Freiheit. In ihren besten Momenten verhilft sie uns dazu, die Welt in einem neuen Licht zu sehen.“ Dies sagte der Laudator Thomas Vasek anlässlich der Preisverleihung an Professor Thomas Bauer, der den Tractatus für sein Werk „Die Vereindeutigung der Welt“ erhalten hat. Wir scheinen, so die These von Bauer, in einer Zeit der Vielfalt zu leben. Tatsächlich verlieren wir aber immer mehr unsere Bereitschaft, Mehrdeutigkeit und Vieldeutigkeit zu ertragen. Bauer belegt seine These mit Beispielen aus unserem Alltag. Dass wir einen riesigen Rückgang an Apfel-, Bananen- oder Tomatensorten bemerken, daran haben wir uns vielleicht schon gewöhnt. Auf derselben Ebene aber liegt unser Unmut, eine andere als unsere eigene Weltanschauung zu akzeptieren. Auf Mehrdeutigkeit reagieren wir allergisch – oder, wie Bauer das sagt: Unsere „Ambiguitätstoleranz“ schwindet.
Die Schüler werden in den nächsten Monaten an der Philosophieolympiade, einem Essaywettbewerb, teilnehmen. Wöchentlich trifft man sich und erarbeitet und diskutiert philosophische Themen. Die zwei Besten dürfen zum Finale nach Salzburg fahren und „kämpfen“ dort um die zwei Finaltickets zur Internationalen Philosophieolympiade, die kommendes Jahr in Rom stattfindet. 
Und so fanden wir uns am Ende der vier Tage in Lech an Goethe erinnert, der im Faust, einem Text mit intensivem Höllengeruch, anmerkt: Man „wandelt mit bedächt’ger Schnelle/ vom Himmel durch die Welt zur Hölle.“

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