Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Aber die Freiheit kann verloren gehen“

November 2021

Der Kunst innerhalb der Kultur kommt die moralisierende Aufgabe zu, dem Menschen die Wirklichkeit zu zeigen, aus der er kommt und auf welche er sich möglicherweise hinbewegt. Der Künstler wird damit zwangsläufig zum Opponenten gegen die, die sich nicht verändern, sondern sich in der Kunst wohlfühlen wollen. Er opponiert mit seinen Mitteln gegen Gefahren von morgen, die in der Unfähigkeit von heute begründet sein können …
Wir geraten in Systeme, die die Freiheit des einzelnen dem Staat unterordnen und den einzelnen um der Wohlfahrt der Allgemeinheit wegen in Programmierungen einplanen. Sicherung und Planung sind Lösungsworte für eine Zukunftsordnung ohne Spontaneität. Solche Absichten stehen kontradiktorisch im Verhältnis zur Kultur. Der Künstler ist gezwungen, dagegen zu opponieren …
Die verwaltete Welt, in der zu leben wir gezwungen sind, gibt einem einzigen eine Chance, noch einigermaßen frei zu wirken: Dem Künstler. Sein Freiraum ist allerdings imaginär, weil der Mensch zunehmend der Technik, der Verwaltung und den kommerziellen Interessen untergeordnet ist. In solcher Beengtheit ist es dem Künstler aufgetragen, sich freizuboxen, um atmen und wirken zu können …
Der Künstler ist zwischen Staat und Gesellschaft gestellt, existenziell dazwischengeworfen. Der immer mächtiger werdende Staat, Verwalter des Menschen, statt nur zu fördern, verwaltet auch die Kultur. Die Künstler können davon profitieren, wie die Geschichte beweist, aber die Freiheit kann verloren gehen, jene Freiheit, die die Künstler wesensgemäß zu einer außerparlamentarischen Opposition werden lässt, weil der allzu kulturbeflissene Staat sie geradezu in die Opposition treibt. Der spontane Charakter, der der künstlerischen Arbeit zukommt, gerät in Gefahr, wenn der Staat sich der Kunst beherrschend annimmt. Kultur wird dann zu einer „Provinz der Verwaltung“, ist nicht mehr spontane Lebensäußerung …
In einem Punkt sind sich Staat und Gesellschaft einig, sie fragen nach der Nützlichkeit der Kunst. Schiene es nicht besser, den Staat links liegen zu lassen und mehr auf die Gesellschaft zu achten? Sie muss überzeugt werden, dass die Kunst eine Bedingung unseres Daseins und unserer Zukunft ist, nicht Nützlichkeit, nicht Gefälligkeit, nicht Bestätigung des Wohlbefindens, doch soll sie auch erfreuen können …
Hat die Gesellschaft und haben die Künstler ein Verhältnis zueinander gefunden? Ich wage zu sagen, dass wir auf Schritt und Tritt dem Gegenteil begegnen. Die Gesellschaft trägt die Verantwortung, dass die Künstler mit, ohne oder gegen Staat leben und die Künste überleben können …
Dem Volk ist zu sagen: Fleiß, Ordentlichkeit, Bravheit sind ungenügende Kennzeichen einer Gesellschaft, sie braucht des musischen Einschlags – im Hinblick auf eine Frage, die anschließend zu beantworten ist: In der Kunst lebt die Utopie, unsere Zukunft hängt nicht nur von Planern, sondern auch von Menschen mit Fantasie ab …

 

Auszug aus dem Heft „Vorarlberg, eine Vierteljahresschrift“, Heft 3/1971. Vollständige Version unter www.digishelf.de/cms/92/2/

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