
Wie Norbert Jacques in Hörbranz „Dr. Mabuse“ erfand
Unter dem Motto „Mit Lust gelebt am Bodensee“, das wörtlich zwei Buchtitel von Norbert Jacques zusammenfasst – die Autobiografie „Mit Lust gelebt“ (1950) und die Textsammlung „Am Bodensee“ (1923) –, zeigt das Hesse Museum Gaienhofen vom 16. März bis zum 15. Juni 2025 in Kooperation mit der Literarischen Gesellschaft Forum Allmende eine Ausstellung über diesen Autor. Ein gleichnamiger Begleitband setzt einen Akzent auf seine Texte über den Bodensee, wo er mit einigen Unterbrechungen fünfzig Jahre lebte, der ihm „Wahlheimat“ und Rückzugspunkt von seinen Fernreisen und Aufenthalten in den Metropolen Berlin und Hamburg war. Heute ist Norbert Jacques weitgehend unbekannt, trotz der ungebrochenen Präsenz der von ihm erfundenen Figur des Spielers und Schurken Dr. Mabuse in der Populärkultur. Ein Blick auf sein Leben zeigt, dass er eine schillernde Persönlichkeit war, und deutet an, dass die Lektüre seiner Texte aus heutiger Perspektive erkenntnisreich für das Verständnis seiner Zeit ist.
Norbert Jacques wurde am 6. Juni 1880 in Eich/Luxemburg als Sohn eines Großhändlers geboren. 1901 begann er ein Jura-Studium in Bonn, das er bald abbrach, um als Journalist zu arbeiten. Erste schriftstellerische Veröffentlichungen fallen in diese Zeit. 1904 kam er erstmals an den Bodensee, wo er von da an, wenn auch mit Unterbrechungen, bis zu seinem Tode sesshaft war. 1907 unternahm er seine erste Fernreise, die ihn nach Brasilien führte. Viele folgten, die in zahlreichen Reisebüchern und Romanen ihren Niederschlag fanden. Jacques avancierte zu einem der Hauptvertreter des deutschen Exotismus. Mit dem Roman „Funchal“ erschien 1909 beim S. Fischer Verlag seine erste große Buchveröffentlichung. In dem folgenden Roman „Der Hafen“ (1910) verschlüsselte er literarisch sein ambivalentes Verhältnis zu seinem Herkunftsland Luxemburg, an dem er einerseits hing, es andererseits als eng und provinziell empfanden. Es folgten in seinem Schaffen zahlreiche Texte und Debatten mit Luxemburger Literaten, in denen er sich an diesem Thema abarbeitete. Im ersten Weltkrieg war Jacques als Kriegsberichterstatter tätig, er optierte eindeutig für die deutsche Seite, was man ihm in Luxemburg sehr übel nahm. Seit 1920 lebte er in Thumen bei Lindau, unmittelbar an der Grenze zu Vorarlberg, wo er bis an sein Lebensende seinen Hauptwohnsitz behielt. 1922 wurde er deutscher Staatsbürger. 1921 erschien sein Erfolgsroman „Dr. Mabuse, der Spieler“, der 1922 unter Jacques‘ Mitwirkung von Fritz Lang verfilmt wurde. In den 1920er Jahren wandte er sich zunehmend Kriminal- und Abenteuerromanen zu, ebenso veröffentlichte er zahlreiche Reiseberichte. Mit Beginn der NS-Herrschaft geriet Jacques wegen seiner jüdischen damaligen Ehefrau und „Unzuverlässigkeit“ zunehmend in Bedrängnis, er wurde mit Schreibverboten belegt, verlagerte sich auf Filmdrehbücher und unverdächtige historische Romane. Ab 1940 wirkte er jedoch bei der nationalsozialistischen Propaganda im besetzten Luxemburg mit. Nach dem Krieg wurde er nach Luxemburg ausgeliefert, dort kurzzeitig inhaftiert und nach Deutschland ausgewiesen. An seine großen Erfolge konnte er nicht mehr anknüpfen, doch fasste er wieder als Autor von Feuilletons, unter anderem für die „Zeit“ und die „Welt“, und Unterhaltungsromanen Fuß. 1950 erschien seine Autobiografie „Mit Lust gelebt“, in der er seine Zeit und sein Leben in anekdotischer Weise Revue passieren lässt. Er stirbt am 15. Juni 1954 in einem Koblenzer Hotel auf der Reise zu einem Weinfest in Traben-Trarbach.
Die Ausstellung beleuchtet wesentliche Aspekte dieses bewegten Lebens anhand von ausgewählten Archivalien aus Jacques‘ Nachlass im Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken und Dokumenten weiterer Leihgeber. Besondere Akzente setzt die Ausstellung auf die Figur des Dr. Mabuse und Jacques‘ Präsenz im kulturellen Leben am Bodensee. An den Wänden sind unter anderem Porträts von Jacques und weitere Gemälde der internationalen Künstlervereinigung „Der Kreis“ zu sehen, deren langjähriger Vorsitzender Jacques war. Dokumente illustrieren Jacques Mitwirken am „Bodenseebuch“ zu Beginn der 1920er Jahre und die Präsenz des Bodensees in seinen literarischen Texten.
Jacques schrieb zahlreiche Erzählungen, Feuilletons und Betrachtungen, die sich Orten und Landschaften am See zu allen Jahreszeiten widmen. Sie wurden in dem Begleitband zu einer kleinen Rundreise um den See arrangiert, die diesen kulturgeschichtlich und in seinen unterschiedlichen landschaftlichen und atmosphärischen Erscheinungsformen und Erlebnismöglichkeiten zeigt. Hier ist Jacques im eigentlichen Sinn des Wortes „Impressionist“, was ihm bei einem breiteren Publikum den Ruf eines „Bodenseedichters“ eintrug. Daneben enthält das Buch Auszüge aus der Autobiografie „Mit Lust gelebt“, die sich dem Bodensee widmen.
Auch zu Bregenz und Vorarlberg ergeben sich in seinen Texten vielfache Bezüge. Jacques‘ langjähriger Wohnort Thumen liegt in der Nähe der Leiblach, wo diese die Grenze zu Vorarlberg bildet, „mit dem Blick auf die Bucht von Bregenz“, wie er schreibt. In seiner Autobiografie erzählt er, wie ihm durch eine Begegnung auf einer Bodenseefähre die Idee zur Figur des Dr. Mabuse kam und wie es sich ergab, dass er den Roman in Diezlings in Hörbranz „in zwanzig Tagen“ und mit Tiroler Wein durchzechten Nächten schrieb. Nachzulesen ist dies in der Anthologie „Mit Lust gelebt am Bodensee“. Ebenso findet sich dort das Feuilleton „Des Winters in Bregenz“, der vielleicht reizvollste Text von Jacques über Vorarlberg. Er schildert zunächst Schlittenfahrten die Bregenzer Kirchgasse herab und entwickelt daraus eine bewegende Erzählung von zeithistorischer Dimension. Stimmungsvoll und atmosphärisch gibt er einen Blick auf die Stadt: „Wir standen zum erstenmal in Bregenz auf, und die fremde Stadt war lautlos in weißen Schnee gedeckt. Die Luft stand wie still über dem Städtchen und schloß seine hängenden Gassen, das Seeufer, Hafen und Kaimauern, seine kahlen Mulden und Hügelkanten eng und dicht unter dem schweren, niederen Himmel ein. Die ersten Schlitten klingelten in den Gassen, als ob sie in einer großen Stube läuteten.
Am ersten Abend rodelten wir schon zwischen den Mädchen und Burschen die lange Kirchgasse hinab. Vom Kapuzinerkloster aus kroch sie in vielen Windungen in die Stadt. Wo wir oben ansetzten, stand der heilige Bischof Gebhard und hatte einen üppigen Halspelz aus Schnee. Er deckte weich seine steinernen Schultern ein und reichte noch ein Stück über den Arm. Dort rodelten wir los und hopp! mitten ins Herz des Städtchens hinein.“
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