Gerda Schnetzer-Sutterlüty­

EU-Gemeinderätin und Unternehmerin

Ein Experiment, das uns in die Vergangenheit führt und wieder zurückholt in die politische Welt von heute

April 2021

Die Europäische Union und die große Europäerin Angelika – wie bei zwei völlig autonom Liebenden schien mir die Idee reizvoll, sie miteinander zu verkuppeln: die Moderne von heute samt der politischen Wirkungskraft der EU mit der vergangenen Lebenswelt von Angelika Kauffmann. Die Frau, die es schaffte, Gründungsmitglied der Royal Academy of Arts zu werden – hundert Jahre bevor die ersten Frauen überhaupt in Kunstakademien zugelassen wurden.

Angelika, die Europapolitik und wir

„Stellen Sie sich vor, Sie finden im Nachlass eines Verwandten einen Brief – adressiert an einen gewissen Vetter Johann Joseph in Schwarzenberg, von der berühmten Malerin Angelika Kauffmann aus Rom.“ Mit diesen Worten sind BriefschreiberInnen, die Öffentlichkeit und passionierte Angelika- oder Europa-Fans vor einem Jahr zu einem Experiment eingeladen worden. Was löste dieses Experiment aus?

„Kein schräger Zahn ist mehr normal.“

37 Experimentierfreudige im Alter von 6 bis über 90 Jahren aus Vorarlberg, Tirol, der Schweiz und Wien haben sich vor das „weiße Blatt“ gesetzt und an Angelika in die Vergangenheit einen Brief geschrieben. Sie haben sich dabei in die Empfängerin versetzt, berichtet, gefragt und zu ganz persönlichen Themen Stellung bezogen. Darüber hinaus beleuchteten sie die Künstlerin Angelika Kauffmann und ihren Freundeskreis und suchten Gemeinsamkeiten oder Unterschiede. Durch den Umstand, dass die Zeiten gänzlich andere waren, überkommt den Schreiber – die Schreiberin dabei wie von selbst eine Abwägung mit den Errungenschaften unserer „fortschrittlichen“ Zeit.
„Du siehst: sie schreiten fort. Wohin schreiten sie? Ich habe den Verdacht, sie wissen es nicht. Jedenfalls, scheint es mir, sie schreiten fort von sich selbst …“ Diese Zeilen zitiert ein Briefschreiber aus einem Buch namens „Briefe in die chinesische Vergangenheit“ von Herbert Rosendorfer, das bereits vor Jahren zur zündenden Ideenfindung meines Buches beigetragen hat. Auch in Rosendorfers Werk wird unterhaltsam anschaulich gemacht, wo sich unsere Gesellschaft befindet, welche Tabus und Grenzen es gibt und was sie in uns auslösen. 
So wird beim Briefwechsel mit Angelika unsere Phantasie genötigt und angeregt, die persönlichen Lebensläufe miteinander zu vergleichen, was uns direkt in die politische Lebenswelt von heute führt, denn die Briefe sind gespickt mit Kommentaren zur »Jetzt-Zeit« und spannen damit den Bogen in das geeinte, friedliche und scheinbar grenzenlose Europa mitsamt seinen Normen, Agenturen, Visionen und Herausforderungen. 

Künstlerin, Powerfrau, Influencerin, Europäerin

Kunst polarisiert, sie ist schön, hässlich, überflüssig, unwiderstehlich, frivol, langweilig, kontrovers, provozierend und vieles mehr. Mit Kunst und Kultur lassen sich Gefühle auslösen, mit Politik oder Verwaltungsthemen wird dieses Unterfangen eher schwierig. „Die da werden es schon richten oder sie machen eh‘, was sie wollen“, hört man gelegentlich und meist widerspiegelt es die individuelle Stimmung, wo der persönliche Bezug zu Politik fehlt. 
Dabei hat Politik mit jedem von uns in jeder Lebenslage zu tun: Dies wird in den Kommentaren im Buch offenbart und dort angesetzt, wo Huldigungen, Hoffnungen und Erzählungen dazu animieren, die Wirkung und Reichweite von politischen Systemen in Verbindung zu bringen. Die Vorteile, Nachteile, die Glücksgriffe, Fails und Sternstunden der Europäischen Union lassen sich so mit jedem selbst und dem, was uns am Nächsten ist, verknüpfen. Es zeigt dadurch unseren Handlungsspielraum auf, der ausgeschöpft werden will.

Vom Parlament zum Küchentisch

Nicht nur für die BriefschreiberInnen war dieses Buch ein Experiment, sondern auch für mich: Gelingt es Kunst und Politik zu verschmelzen und politische Inhalte gemeinsam zu transportieren? Kunst und KünstlerInnen übermitteln Botschaften durch ihre Kunstwerke und haben dadurch mit PolitikerInnen und Politik viele Gemeinsamkeiten: Sie wollen Impulse setzen und sehen sich als gesellschaftskritische VordenkerInnen. 
Vielleicht ist das Experiment dann gelungen, wenn an den Küchentischen und im Büro wieder mehr über Politik und Verbesserungspotentiale diskutiert wird, wenn sich Meinung, Widerstand und Beistand kreativ formieren und Politik in der Gesellschaft ein Herzens­thema wird. 

Nachahmung erwünscht

„Wenn man einander schreibt, ist man wie durch ein Seil verbunden.“ (Franz Kafka)
Briefe schreiben ist Kommunikation auf Augenhöhe, verbindlich und zeugt von großer Wertschätzung. Man darf neugierig sein und zugeben, was man alles nicht weiß oder gerne hätte. Ob dies nun Angelika Kauffmann, FirmengründerInnen, EhrenbürgerInnen oder ein besonderer Mensch aus der Ahnengalerie ist: Ein Brief durchbricht Distanzen und ist ein persönliches Geschenk an Lebenszeit – eine Zeitkapsel, die uns mit der vorigen und nächsten Generation verbindet. 
Der Blick zurück ist gleichzeitig der Blick voraus. Risiken und Chancen werden aufgrund allmählicher Veränderungen erkannt, was uns die Corona-Krise deutlich vor Augen führt. Hinter der offensichtlichen Veränderung kristallisieren sich neue Parameter heraus. Dies ist für Gemeinden und Städte genauso interessant wie für Familien oder Unternehmen: Wenn es darum geht, die Erfahrungen zu nutzen, sich selber besser kennenzulernen oder die Weichen zur Bewältigung künftiger Herausforderungen zu stellen.

Buchtipp!

Gerda Schnetzer-Sutterlüty „Briefe an Angelika Kaufmann“
erhältlich im Buchhandel

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