Mirjam Steinbock

Selbständige Kulturarbeiterin und Geschäftsführerin der IG Kultur Vorarlberg 

Investition statt Kulturinfarkt

Februar 2021

Seit mittlerweile neun Monaten sind Kulturveranstaltungen nicht mehr in ihrer vollen Dimension zu erleben. Ins Gespräch kommen, lachen, diskutieren oder gar heftig und für alle hörbar Richtung Bühne zu klatschen, scheinen Erfahrungen vergangener Zeiten. Angesichts der Lockdown-Verlängerung bis Ende Februar und unwägbarer Öffnungsschritte rückt ein Veranstaltungsbesuch in weite Ferne. Die Pandemie und ihre Einschränkungen bringen die ohnehin prekären Arbeitsbedingungen im Kultursektor deutlich ans Tageslicht. Besorgniserregend ist zudem, dass Kunst- und Kulturschaffende zur ihrer Existenzsicherung beruflich abwandern könnten. 
Dass es dringend Investitionen braucht, um diese Krise zu überdauern, liegt auf der Hand; ein Karren lässt sich ohne Muskelkraft oder PS auch schwerlich aus dem Dreck ziehen. Von langfristig angesetzten Maßnahmen, die aus dem Prekariat heraus und in eine tragfähige Zukunft hinein führen könnten, ist in den Kulturbudgets der Regierungen jedoch kaum etwas zu sehen. In Vorarlberg soll die freie Kulturszene zwar mit dem Fortschreiben der veranschlagten Zahlen aus 2020 rechnen können, zu einem Aufatmen führt dies jedoch nicht: Der Kultursektor ist in der Zusammenarbeit eng verknüpft, und Streichungen bei den Landeseinrichtungen werden sich vermutlich auch auf die Arbeitsbedingungen der freien Akteur*innen auswirken. Notwendig wären daher nachhaltig angelegte Investitionen zum Erhalt des Kultursektors. 

Man muss gar nicht weit reisen, um zukunftsorientierte Projekte zu entdecken: In der Schweiz erhalten Kulturunternehmen Unterstützung für Transformationsprojekte. Diese sollen die nachhaltige Schädigung der Kulturlandschaft verhindern und die kulturelle Vielfalt erhalten. Für Zürich ließ die zuständige Regierungsrätin Jaqueline Fehr ein Entschädigungsmodell ausarbeiten, mit dem Kulturschaffende bis Ende April 2021 ein Ersatzeinkommen von monatlich 3.840 Franken erhalten. Da Kulturschaffende diese Zahlen selbst deklarieren, basiert das neue Modell auf Vertrauen. 
Aus welchem Grund die Vorarlberger Landesregierung mit Investitionen in kleine und mittlere Kunst- und Kultureinrichtungen zurückhaltend ist, stimmt in Anbetracht der Situation des Kultursektors äußerst nachdenklich. Vor allem, weil Kulturinvestitionen durchaus vorgesehen sind, schaut man sich das Gesamtkulturbudget auch abseits der von der Kulturabteilung verwalteten Projekt- und Jahresförderungen an. Den Bregenzer Festspielen beispielsweise wurde ein 55 Millionen Euro starkes, von Bund, Land und der Stadt Bregenz mitgetragenes Sanierungspaket für die Erneuerung von See- und Zuschauertribüne sowie Teilen des Festpielhauses zugesprochen. Ein deutliches Bekenntnis zu diesem Kulturunternehmen, dessen Umwegrentabilität Subventionsgeber lange vor den Auswirkungen der Krise erkannt haben dürften. Aber nicht nur die großen Kulturplayer tragen laut noch junger Studien zur Entwicklung der Gesellschaft bei. Auch Vereine und freiwillige Organisationen in Österreich würden „durchaus einen Wirtschaftsfaktor darstellen“, betonte Vizekanzler Werner Kogler im Rahmen einer Pressekonferenz Mitte Januar. Die Faktenbasis lieferte die vom Bundesministerium beim WIFO in Auftrag gegebene Studie zur Ökonomischen Bedeutung der Kulturwirtschaft und ihrer Betroffenheit in der COVID-19-Krise. Mitte letzten Jahres veröffentlicht, zeigt sie in Zahlen, dass Kunst und Kultur mit Wertschöpfung in Höhe von 7,2 Milliarden Euro – erwirtschaftet von rund 119.000 Beschäftigten – ein Wirtschaftsfaktor sind. Auch eine von 32 europäischen Verwertungsgesellschaften in Auftrag gegebene und jüngst veröffentlichte Studie zur Lage der Kunst- und Kulturwirtschaft beleuchtet massive Auswirkungen von Covid-19 auf „einen der wichtigsten Wirtschaftszweige Europas“, wie es auf der Website der AKM heißt. Im Jahr 2020 habe die Kultur- und Kreativwirtschaft in den – damals noch - 28 Ländern der EU demnach einen Einnahmenrückgang von 199 Mrd. Euro oder 31 Prozent zu verzeichnen. Mehr als es in der Tourismusindustrie mit minus 27 Prozent oder der Automobilindustrie mit minus 25 Prozent der Fall ist.

Für das Kunst- und Kulturbudget hat die Österreichische Regierung im Jahr 2021 eine Erhöhung von rund 30 Millionen Euro vorgesehen, davon zehn Millionen Euro für die freie Szene. Der Großteil fließt in die Salzburger und Bregenzer Festspiele, in die Europäische Kulturhauptstadt Bad Ischl 2024 und in diverse Sonderprojekte. Eine Ungleichbehandlung ist der Szene bereits vertraut, dennoch sorgte die im vergangenen Jahr in Vorarlberg kolportierte Ankündigung einer zehnprozentigen Budgetkürzung bei den Akteur*innen massiv für Verunsicherung. Und das, obwohl der Bereich trotz der unwägbaren Veranstaltungssituation nach Alternativen für Präsenzen im digitalen Raum suchte, Programme verschob, sich in Verordnungstexte vertiefte und dabei erschüttert feststellen musste, Bordellen nachgereiht zu sein. Die Kunst- und Kulturszene verhielt sich dennoch kooperativ, kreativ und dem Eindämmen der Infektionszahlen größte Verantwortung zollend. Immerhin: Ein bereits im Jahr 2020 ausgeschüttetes Hilfspaket in Form von Atelierförderungen und Arbeitsstipendien für Kunstschaffende soll auch in diesem Jahr von der Vorarlberger Landesregierung zur Verfügung gestellt werden können. Aktuell ist es mit 500.000 Euro beziffert, der Regierungsantrag ist bereits in Arbeit.
Dennoch ist eine Notmaßnahme keine Investition und auch keine geplante Kulturbudgeterhöhung. Und eine solche wäre für die Wahrnehmung von Kunst und Kultur als unverzichtbarer Aspekt unserer diversen Gesellschaft von immenser Tragweite. Unerlässlich wäre sie zur sozialrechtlich vertretbaren Existenzsicherung ihrer Protagonist*innen. Oder anders gesagt, wenn nicht jetzt die Zeit zum Handeln ist, um einen baldigen Kulturinfarkt zu vermeiden, wann dann?

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