Peter Felch

Vorarlberger Spuren im Herzen Asiens

Oktober 2016

Ein Forschungs-, Ausstellungs- und Dokumentarfilmprojekt macht auf eine gemeinsame Episode österreichisch-zentralasiatischer Geschichte aufmerksam und will kulturelle und wirtschaftliche Kontakte fördern.

Es gibt wenige Weltregionen, von denen der durchschnittliche Österreicher weniger weiß und in denen österreichische Firmen weniger präsent sind als die ehemals sowjetischen Republiken in Zentralasien. Dabei hatte Österreich wie in der gesamten UdSSR auch in diesen Ländern einen ausgezeichneten Ruf als Lieferant qualitativ hochwertiger Konsumgüter und hat auch heute noch einen hohen Bekanntheitsgrad als Kulturnation.

In umgekehrter Richtung kann man das nicht behaupten. Dazu beigetragen hat, dass sich Österreichs Wirtschaft und Außenpolitik nach dem EU-Beitritt erst auf die alten EU-Länder und dann auf die Beitrittsländer in der Nachbarschaft konzentrierten. Nur wenige alte Hasen des Ostexports hielten den Kontakt und die Handelsbeziehungen mit den mittlerweile unabhängigen Staaten Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Turkmenistan aufrecht. Jetzt trifft das neu erwachte Interesse an den aufstrebenden Märkten der Region auf weltweite Konkurrenz aus Ostasien und der Türkei, aber auch aus Deutschland und der Schweiz.

Dabei gäbe es eine Gemeinsamkeit, an die anzuknüpfen lohnend wäre: die nur wenigen bekannte Tatsache, dass während des Ersten Weltkriegs und danach etwa 200.000 österreichisch-ungarische Soldaten als Kriegsgefangene in dieser Region waren und im Gefolge der Russischen Revolution eine wichtige Rolle im wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben spielten. Unter ihnen waren überproportional viele Tiroler und Vorarlberger, die gleich zu Kriegsbeginn an die Ostfront verlegt wurden und in Galizien und beim Fall der Festung Przemyśl in russische Gefangenschaft gerieten.

Obwohl seit 1976 immer wieder in Zentralasien unterwegs, hatte ich nie von österreichischen Kriegsgefangenen gehört. Erst 2012 stieß ich auf das Thema und musste feststellen, dass in Österreich noch niemand über Kriegsgefangenschaft in Turkestan geforscht und publiziert hatte. Auch bei den zahlreichen Gedenkveranstaltungen zum Ersten Weltkrieg war Kriegsgefangenschaft bestenfalls ein marginales Randthema, geschweige denn Turkestan.

Das vergessene Kapitel österreichisch-zentralasiatischer Geschichte wird nun erstmals erforscht. Im Rahmen eines eigenen Schwerpunktprojekts konnte ich gemeinsam mit den Vorarlberger Historikern Christian und Stefan Troy bisher mehr als 450 Namen von Vorarlbergern identifizieren, die im damals russischen Generalgouvernement Turkestan interniert waren. Mehr als hundert Vorarlberger waren unter den zehntausenden Kriegsgefangenen, die in turkestanischen Lagern durch Epidemien, Hunger und Gewalt ums Leben kamen. Mindestens 75 kamen zurück. Wie viele in Turkestan blieben, ist bisher nur in Einzelfällen bekannt. Über das Schicksal des Großteils können erst weitere Archivrecherchen und Hinweise aus der Bevölkerung Aufschluss geben.

Vorrangiges Ziel des Projekts „Spurensuche. Österreicher als Kriegsgefangene in Zentralasien 1914–1920“ und seines Vorarlberg-Schwerpunkts ist es, eine breite Öffentlichkeit mit den Forschungsergebnissen, mit Zentralasien und den historischen Gemeinsamkeiten bekannt zu machen und damit kulturelle und wirtschaftliche Kontakte und Kooperationen anzustoßen.

Erstes Resultat ist die Ausstellung „Spurensuche. Vorarlberger Kriegsgefangene in Russisch-Turkestan“, die am 16. September eröffnet wurde und bis 20. November im Atrium des Vorarlberg Museum frei zugänglich sein wird. Vorgestellt werden die Schicksale von sechs Kriegsgefangenen, die das Glück hatten, aus der Gefangenschaft zurückzukehren und Erinnerungsstücke mitzubringen, die neben Originalfotos und Schriftstücken im Inneren einer original kirgisischen Jurte zu sehen sind. Zum Ausstellungsstart wurde der Dokumentarfilm „Es geht mir gut. Ich komme bald“ uraufgeführt. Ein Symposium am Ende der Ausstellung wird ein Publikum von historisch und geografisch Interessierten mit Forschungsergebnissen des Vorarlberg-Schwerpunkts bekannt machen.

Mittlerweile ist das Projekt auch in den Ländern Zentralasiens auf großes Interesse gestoßen. Schließlich befanden sich die Kriegsgefangenen als neutrale Beobachter, aber auch als Opfer und Akteure des Bürgerkriegs in diesen Ländern zu einer Zeit, die für deren Schicksal entscheidend war – vom Scheitern ihrer Unabhängigkeitsbestrebungen über ihre Zugehörigkeit zur Sowjetunion bis zu ihren heutigen Staatsgrenzen.

So konnten Nachkommen von damals in Turkestan zurückgebliebenen Österreichern ausfindig gemacht werden, sowie Einheimische, die sich an Erzählungen ihrer Großväter über die Kriegsgefangenen und ihre Arbeit erinnern. Von Kriegsgefangenen errichtete Gebäude wie die katholischen Kirchen in Taschkent und Samarkand oder Reste einer von ihnen erbauten Gebirgsstraße konnten dokumentiert werden, ebenso wie Gedenksteine und Kreuze, die sich auf den ehemaligen Kriegsgefangenenfriedhöfen erhalten haben.

Vorrangig ist jedoch die Auffindung, Dokumentation und Erhaltung von Spuren in Österreich, seien es materielle wie Fotos, Schrift- und Erinnerungsstücke oder immaterielle wie die Erinnerungen von Nachkommen. Um diese Arbeit fortsetzen zu können, suchen die Projektbetreiber nicht nur Nachkommen, sondern auch Förderer und Sponsoren.

 

Spuren­Suche Turkestan

Weitere Informationen zum Projekt finden sich auf der Webseite
www.spurensuche-turkestan.org
Auskünfte und Kontakt über p.felch@spuren­suche-turkestan.org oder 0699 10847307

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