Sabine Barbisch

Als Gemüse plötzlich „sexy“ wurde

März 2015

Den Ruf als radikale Weltverbesserer haben Veganer längst hinter sich gelassen. Was früher als „eigenbrötlerisch“ abgetan wurde, wird heute mit Genuss und Sexyness assoziiert. Eine Annäherung an ein Leben ohne tierische Produkte – und eine Erklärung, warum die Mehrheit der Vorarlberger wohl trotzdem nicht vegan wird.

Egal ob man dieser Tage in die Auslage eines Buchladens blickt, eine Zeitschrift durchblättert oder sich durch diverse Blogs klickt – eines haben alle gemeinsam: Eine fleisch- bzw. tierfreie Lebensweise spielt anscheinend allerorts eine Rolle. Für das gesteigerte Bewusstsein für einen gesunden, nachhaltigen, vor allem aber auch genussvollen Ernährungsstil scheint aber nicht die aktuell andauernde Fastenzeit, sondern vielmehr der Paradigmenwechsel, der sich auf diesem Gebiet in den vergangenen Jahren vollzogen hat, verantwortlich zu sein. Gerade Fleischprodukte haben durch die industrielle und damit günstigere Verarbeitungsweise ihren Stellenwert als etwas Exklusives eingebüßt, sagt die international gefragte Ernährungswissenschaftlerin, Gesundheitspsychologin und Food-Trendforscherin Hanni Rützler. Stattdessen beherrscht die kreative und leidenschaftliche Verarbeitung von Gemüse immer mehr die Töpfe und Pfannen von Hobby- und Profiköchen.

Vom Genussfeind zum Trendsetter

Lange Zeit galten gerade Veganer – also Menschen, die komplett auf tierische Produkte verzichten – als genussfeindliche Weltverbesserer, denen sogar Vegetarier dubios erschienen, weil vegan zu sein viel mehr als den bloßen Verzicht auf Fleisch bedeutet.

Dieses Image hat sich in den vergangenen Jahren drastisch verändert. Felix Hnat, Pressesprecher der Veganen Gesellschaft in Wien, erklärt: „Früher galt vegan als eigenbrötlerisch. Heute ist das Restaurant Tian in Wien – das komplett auf Gemüse, Obst und Getreide setzt – mit drei Hauben das angesagteste Haute-Cuisine-Restaurant Österreichs. Vegan ist überall bekannt und wird mit Genuss und Abnehmen assoziiert.“ Vor allem ein Mann hat das Image der Veganer gehörig entstaubt und dem Gemüse Sex-Appeal verliehen: Attila Hildmann hat laut seinem Verlag über 1,1 Millionen seiner Bücher über die vegane Küche verkauft und überzeugt als ehemals pummeliger Mann die Massen heute mit seinem veganen Lifestyle samt Sixpack.

Warum Gourmets Gemüse lieben

Food-Trendforscherin Rützler hat die Gründe für die steigende Beliebtheit des Veganismus erforscht: „Die treibende Kraft dahinter ist zunächst der Mega­trend Gesundheit. Für viele Menschen ist Gesundheit das höchste Gut. Und dass eine primär auf Gemüse, Obst und Getreideprodukten basierende Ernährung eine wichtige Basis für eine gesunde Lebensführung ist, darüber herrscht ernährungswissenschaftlich weitgehend Konsens.“ Rützler sagt aber auch, dass dieses Wissen allein nicht gereicht hätte, um Gemüse „sexy“ zu machen: „Dafür musste auch das Fleisch seine Rolle als exklusives, im Alltag nur wenigen vorbehaltenes Produkt verlieren. Dem hat die Industrialisierung der Fleischproduktion Vorschub geleistet. Fleisch ist heute so günstig, dass es für große Teile der Gesellschaft zur Alltagsspeise geworden ist und damit seine alte Rolle als Edles, Rares und Teures eingebüßt hat. Damit wurde Fleisch – soziologisch gesprochen – zum Lebensmittel der Unterschicht.“ Als Gourmet und Angehöriger der wohlhabenden Bevölkerung könne man sich heute am besten outen, wenn man Gemüse isst, sagt Rützler.

Vegan ohne Grenzen

Laut Informationen der Veganen Gesellschaft waren vor zehn Jahren knapp drei Prozent der Österreicher Vegetarier oder Veganer, heute liegt der Wert bei etwa neun Prozent, in Vorarlberg sollen es sogar zehn Prozent sein – nur in Wien ist der Wert höher. In diesen Jahren habe sich gezeigt, wie viele Alternativen es gebe, „tierleidfrei und nachhaltig zu konsumieren und zu genießen“, begründet Hnat den Anstieg. Außerdem werde es auch im ländlichen Raum immer einfacher, vegan zu leben, weil „immer mehr Supermarktketten tierproduktfreie Lebensmittel anbieten“. Der Trend zum Veganismus ist also kein rein urbanes Phänomen. Wobei bestimmte Gruppen besonders stark für die tierproduktfreie Kost eintreten, weiß Hnat: „Am Veganismus-affinsten ist die Altersgruppe der 25- bis 35-Jährigen, dicht gefolgt von den 15- bis 25-Jährigen.“

Bei allem Hype um die tierproduktfreie Lebensweise ist der gebürtigen Vorarlbergerin Rützler aber vor allem eines wichtig: „In Maßen Fleisch zu genießen, macht nicht krank. Und man ist kein besserer Mensch, wenn man keinen Käse mehr isst und keine Hühnereier.“ An ein Ende des Trends glaubt sie dennoch nicht. „Aber vielleicht kann er in Vorarlberg nicht so richtig Wurzeln schlagen, weil die Vorarlberger stolz sind auf ihre durch die Almwirtschaft geprägte Ess­tradition und ihre hochstehende Käsekultur. Und weil man ihnen daher auch nicht so leicht einreden kann, dass das Melken einer Kuh etwas Böses ist.“

Ein eigenes Bild über die breite Palette des Veganismus – von Lebensmitteln bis zur Kosmetik – kann man sich am 7. und 8. März auf der „Veggie Planet“ im Festspielhaus Bregenz machen. Die Messe macht zum ersten Mal in Vorarlberg Halt – das sei dem großen Interesse am Thema und dem optimalen Standort im Dreiländereck geschuldet, freut sich die ebenfalls aus dem Ländle stammende Organisatorin Stefanie Rüscher.

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