Benno Elbs

Diözesanbischof

Die einzelnen Teile und ihre Summe

November 2018

Fünf Minuten reichen für dieses Experiment. Alles, was man dafür braucht, ist eine Straße. Dort stelle man sich an den Gehsteig und beobachte. Fünf Minuten lang. Rasant und zügig sind die meisten unterwegs. Sie müssen irgendwo hin. Sie haben ein Ziel. Ernst wirken sie. Andere telefonieren gerade. Hektisch wird eine Fußgängerin über den Zebrastreifen gewinkt. Dann ist die kleine Feldstudie auch schon wieder vorbei. Was fällt auf? Das Tempo ist schneller geworden, der Ton schärfer und das Rücksichtnehmen auf den oder die andere/n ist eine schöne Tugend, die aber oft auf der Strecke geblieben ist. 

Ich bin kein Pessimist, was unsere Zeit und unsere Gesellschaft betrifft. Und doch frage ich mich, was es denn heute wohl ist, das diese Welt im Innersten noch zusammenhält. Was macht das Zusammenleben denn wirklich aus? Ganz egal, welche Schleife ich dann in meine Gedankengänge auch einlege, immer wieder stoße ich auf ein und dasselbe Prinzip: Empathie, das Sich-Kümmern, das „Mir ist nicht egal, wie es den anderen geht“. 

Das klingt heute, wo Selbstoptimierung und Ich-Marketing die beherrschenden Begriffe sind, vielleicht altbacken. Wie viel leichter sagt es sich da, dass jeder nur an sich denken muss, damit an alle gedacht ist. Und wie viel schneller erleidet man damit Schiffbruch. Das Ganze ist immer mehr als die Summe der einzelnen Teile. Egal, welchen Namen man dem Kind auch gibt: Die einen nennen es Solidarität, die anderen Rücksichtnahme, ich nenne es Nächstenliebe. Das ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Und eines kommt für mich noch dazu: Gott, der größer ist als unsere kleine Welt und unsere Augen öffnet für die Not anderer. 

Deshalb: Rufen wir in unseren „Ich AGs“ doch einfach einmal Betriebsurlaub aus. Ich bin gespannt, was dann passiert.