Thomas Stubler

Koordinator Kriseninterventionsteam Vorarlberg

Extrem. Menschlich.

April 2016

Die Medien offenbaren es täglich: Wir leben in einer Zeit der Extreme. Ex­treme Armut, extremer Reichtum, extreme Gewinne, extreme Verluste und ex­tremes Wetter. Bleibt da noch Raum für extreme Menschlichkeit?
Beim Kriseninterventionsteam Vorarlberg begegnen wir jeden Tag Menschen in Extremsituationen. Wir begleiten und betreuen Angehörige und Freunde nach traumatischen Ereignissen. Ein plötzlicher Todesfall, ein schwerer Unfall – und die alltäglichen Extreme sind mit einem Schlag völlig bedeutungslos. Mitgefühl, Trost und Menschlichkeit sind nun extrem wichtig. Nicht nur unsere rund 80 ehrenamtlichen KIT-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter zeigen diese Menschlichkeit. Wir erleben bei unseren Einsätzen, dass beinahe in jeder Familie, in jedem Freundeskreis auf die Ressource Menschlichkeit zurückgegriffen werden kann. In Extremsituationen.

Im Alltag und in der Arbeitswelt bleibt die Menschlichkeit jedoch häufig auf der Strecke. Man unterliegt im Job dem extremen Leistungsdruck, kämpft sogar in der Freizeit mit dem extremen Zeitdruck, und die vielzitierte Work/Life-Balance verkommt oft zur Work/not Work-Balance. Mit extrem wenig Life.

Aber darum sollte es uns doch gehen – um ein lebenswertes Leben. Ein Leben, in dem nicht nur Leistung und Termine zählen, sondern in dem man einfach Mensch sein kann. Mit allen Besonderheiten, Talenten und Unzulänglichkeiten, die jeden von uns ausmachen.

Es ist zweifellos wichtig und wertvoll, dass sich die Menschen in Extremsituationen aufs Menschsein besinnen. Aber ich würde mir wünschen, dass es dafür keine Extremsituationen braucht. Dass zwischen all den Extremen, die uns ganz selbstverständlich erscheinen, mehr Platz für Menschlichkeit, für das eigentliche Leben bleibt. Denn unser Leben hier in Vorarlberg ist ein extrem gutes.