Angelika Schwarz

* 1975 in Feldkirch, ist Journalistin, studierte Germanistin und Anglistin, langjährige ORF-Redakteurin und -Moderatorin (Radio und Fernsehen). Angelika Schwarz arbeitet in der Unternehmenskommunikation der Landeskrankenhäuser Vorarlberg.

Kritisieren auf hohem Niveau

März 2022

Einer meiner Lieblingsmenschen ist kürzlich schwer verunglückt. In einem EU-Land im Süden. In Vorarlberg wäre der Rettungseinsatz samt Bergung per Hubschrauber schnellstmöglich erfolgt, eine anschließende Notoperation und die medizinische Betreuung im Krankenhaus hätten den Leidensweg auf ein Minimum verkürzt und die gesundheitlichen Folgen deutlich gemildert. Ein solcher Ablauf wäre hierzulande als selbstverständlich gewertet worden.
Einige Kilometer weiter weg, wo das Gesundheitswesen offiziell ebenfalls „europäischem Standard“ entspricht, erfolgte die Bergung nach Stunden. Zu Fuß und per Trage, bewegt von zwei Freiwilligen. Und wer denkt, dass ein Kissen im Spitalsbett oder ein Kleidungswechsel bei Schwerverletzten zu besagtem „Standard“ gehören, der irrt.
Wer keine Angehörigen hat, die pflegerische Tätigkeiten am Bett übernehmen, der muss sich – Vorarlberger Betreuung gewohnt – auf einen hygienischen und psychischen Horrortrip gefasst machen. Von der medizinischen Behandlung ganz zu schweigen. 
Dass wir in unserem Land in der privilegierten Situation sind, auf höchster Stufe gesundheitlich versorgt zu werden, war mir als Mitglied einer Ärzte-, Krankenschwester- und Radiologietechno­log:innen-Familie schon als Kind bewusst. Dass auch bei uns kritisch an Verbesserungen gefeilt werden darf und muss, ebenso. Aber dass diese Kritik auf einem derart hohen Niveau geschieht, habe ich selten so deutlich gesehen.
Seit etwas mehr als einem Jahr habe ich die Möglichkeit, beruflich hinter die Kulissen unseres Gesundheitssystems zu blicken. Und das während einer Pandemie, in der dieses System in den Mittelpunkt gerückt ist. Die Innensicht hat mich bestärkt: Kritisch zu sein ist gut. Wichtig ist dabei nur, sich des Niveaus bewusst zu sein, auf dem man sich bewegt.