Karin Guldenschuh

Unternehmensberaterin und Autorin

Taktvoll in Beziehung

März 2023

In den vergangenen Monaten habe ich mir eine intensive Weiterbildung zum Thema Organisationsentwicklung gegönnt. Eines Abends bekamen wir von unseren Lehrmeistern Walter Häfele und Bruno Strolz einen Text von Waldefried Pechtl als Bettlektüre in die Hand gedrückt. Seine Gedanken lassen mich seither nicht mehr los. Der Psychotherapeut und Organisationsberater schreibt: „Viele Störungen, die in Arbeitsprozessen, in der Kommunikation oder in Partnerschaften auftreten, sind nicht bösartig, sondern eine gutartige Form der Kontakt-Unfähigkeit. Beide geben und keiner nimmt. Einer redet und redet, und andere haben sich längst für das Weghören entschlossen.“ Wie wahr, dachte ich mir am nächsten Morgen und welche Hoffnung steckt in diesen Worten. Gutartige Formen der Kontakt-Unfähigkeit lassen sich mit gutem Willen und gesteigerter Aufmerksamkeit in wertvolle Begegnungen verwandeln. Nicht nur, wenn es besonders schwierig wird, denke ich seither an die Formel „Takt, Kontakt, Rhythmus, Beziehung“. Was für eine einfache und doch zugleich so schwierige Partitur. Mit etwas Übung wird das Spiel geläufiger.
Nach all der verordneten Distanz der letzten Zeit versuche ich, zuerst in aller Konsequenz Mensch zu sein und dann erst mit meiner Expertise und mit meinen Modellen und Methoden zu funktionieren. So gelingt es mir Knoten zu lösen und neu zu binden. „Kontakt ist eines der größten Vorhaben für die Menschheit, um als Mensch weiter zu existieren.“ Diesen Satz bezeichnet Waldefried Pechtl in seinem Text Anfang der 1990er-Jahre als maßvolle Übertreibung. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, ganz und gar nicht. Wie viele Beziehungen und Projekte scheitern ganz einfach am fehlenden Kontakt, nicht zuletzt an der neuen Form des aneinander Vorbeischreibens auf digitalem Weg.