Isabella Pipal

selbstständige Juristin in Moskau

Vertrauen vor Vorurteil

November 2018

Als im Ausland lebende Vorarlbergerin habe ich bisher durchwegs positive Erfahrungen gemacht, Menschen unterschiedlicher Kulturen sind mir stets offen und herzlich begegnet. Ich bin fest der Überzeugung, dass meine Aufgeschlossenheit und mein grundsätzliches Vertrauen in das Positive in jedem Menschen wesentlich dazu beigetragen haben.

Oft erlebe ich, dass Menschen dazu neigen, rasche Urteile zu fällen, sie kategorisieren, beurteilen, und machen es dem Gegenüber schwer, der Schublade, der man zugeteilt wurde, wieder zu entschlüpfen. Dabei wird doch insbesondere in Mitteleuropa großer Wert auf individuelle Entfaltung gelegt. In meinem Beruf als Juristin ist es notwendig, jeden Fall einzeln zu beurteilen. Diesen Ansatz sollten wir auch im alltäglichen Leben verfolgen.

Die Akzeptanz, die man sich für sich selbst wünscht, sollte auch den Mitmenschen entgegengebracht werden. Wir wissen nicht, welche Erfahrungen unsere Mitmenschen zu deren Anschauungen oder Handlungen gebracht haben, und wollen selbst auch nicht in jeder Lebenslage einem Urteil unterzogen werden. 

Angst und Neid sind schlechte Ratgeber, ich bin der Meinung, dass negative Erlebnisse oft das Resultat aus einer negativen Erwartungshaltung sind. Gegenseitige Achtung und das Vertrauen darauf, dass mein Gegenüber „es gut mit mir meint“, können uns helfen, die Herausforderungen der heutigen Zeit zu bewältigen. Dazu gehört auch, jeder Person eine Chance zu geben und sie nicht aufgrund ihres Kleidungsstils, ihrer Herkunft oder ihrer Kulturzugehörigkeit vorschnell in eine Schublade zu stecken. Schließlich vertrat schon Immanuel Kant die Meinung: „Der Mensch kann nicht gut genug vom Menschen denken.“