Rudolf Sagmeister

Kunsthistoriker und KUB-Kurator 

Visionär Kalb, in Wien gefeiert

Mai 2019

Quergedacht“ nennt sich diese Rubrik, ein Querdenker war Edmund Kalb (1900-1952) zeitlebens. Ab Ende Mai ist nun im Leopold-Museum eine umfassende Werkschau zu sehen. Kalb zählt zu den faszinierendsten Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Sein Werk von über tausend Selbstbildnissen blieb der größeren Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Von 1926 bis 1930 zwischen der Freiheit an der Kunstakademie München, der geistigen Enge seiner Heimatstadt Dornbirn und der Einsamkeit des Bergdorfs Ebnit pendelnd, entwickelte er sein zeichnerisches Können bis zur völligen Abstraktion. Kompromiss- und schonungslos arbeitete er, um alle Mittel der grafischen Darstellung auszuloten als „Konzeptkünstler“. Sein Ziel war, den Vorgang des Denkens selbst sichtbar zu machen und schlussendlich nur noch abstrakte „Energie“ auf das Papier zu bringen, um dann die bildende Kunst als reines Denken weiterzuführen. Zeitlebens verkaufte er kein Werk, dokumentierte aber fotografisch sein Schaffen und korrespondierte auf Esparento mit Künstlerkollegen weltweit. Mathematik, Mechanik, Wahrnehmungspsychologie, Atomphysik, Weltraumtechnik und Pflanzenzucht bestimmten ab 1930 sein Denken und prägten zuvor schon seine Selbstbildnisse. Hier finden sich Übereinstimmungen mit Künstlern der russischen Avantgarde. Mit Schiele verbindet ihn die Faszination am Selbstbildnis, die Kompromisslosigkeit und die Heftigkeit des Schaffens in kurzer Zeit. Seine Unnachgiebigkeit und Widerstand gegen jede falsche Autorität brachten ihm mehrere Monate Militärgefängnis in der NS-Zeit wegen Befehlsverweigerung und mehrere Monate Gefängnis mit verschärftem Kerker wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Beamtenbeleidigung in der Nachkriegszeit ein. Dies führte auch zu seinem frühen Tod 1952. Sein Schaffen wurde erst posthum entdeckt und gewürdigt.