Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Anfang, Aufbruch, Skepsis

Mai 2023
Fremdenverkehr in Vorarlberg: Eine kurze Zeitreise.

Beginnend mit einer anderen Sicht auf die Berge, mit einer anderen Wahrnehmung der heimischen Gefilde dringt ein neues, ästhetisches Bewusstsein für Natur und Landschaft mit Ende des 18. Jahrhunderts, Anfang des 19. Jahrhunderts langsam in den allgemeinen Diskurs ein, zögerlich und elitär, von oben nach unten. So beginnt auch in Vorarlberg die Geschichte des Fremdenverkehrs, sie beginnt – wie Historiker Meinrad Pichler schreibt – „mit dem Aufbruch des städtischen Bürgertums in die Sommerfrische und mit der Wahrnehmung der alpinen Bergwelt als majestätischem und faszinierendem Bewährungsraum für männliche Kühnheit.“ Als „Spielplatz der Helden“ wird Vorarlberg laut Pichler allmählich zu einer touristischen Destination. 
Wobei die Anfänge des Fremdenverkehrs auf einige, wenige Pioniere und Pionierfamilien zurückzuführen sind. Bedeutende Industrielle engagieren sich, wie Sieghard Baier in einer Publikation zur Sache schreibt, weil sie erkennen, dass „ein erheblicher Teil der Tourismuseinnahmen direkt in andere Wirtschaftszweige fließt und der Fremdenverkehr den größten Teil seiner Einnahmen wieder in die Wirtschaft investiert.“ Es ist aber auch Idealismus dabei, man will einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Gebirgstälern leisten. 

Erste Chancen, erste Geschäfte
Der Historiker Peter Melichar sagt, dass der Fremdenverkehr „als beinahe einzige Chance für jene alpinen Bergtäler begriffen wird, die aufgrund ökonomischer Umstrukturierungen von Abwanderung und gar Entvölkerung bedroht waren.“ Melichar zufolge ergreifen viele Wirte in den abgelegenen Bergdörfern die Chance, mit Gästen ein Geschäft zu machen; Landwirte und vor allem ihre Frauen schaffen sich mit der Zimmervermietung und dem Aufbau von Pensionen eine größere Unabhängigkeit von der finanziell wenig einträglichen Landwirtschaft. „Einheimische, die zuvor noch in der Fremde nach Arbeit gesucht hatten, finden im entstehenden Fremdenverkehr erste Beschäftigungen“, sagt Melichar. 
Nicht allen geht es schnell genug. Die „Vorarlberger Landeszeitung“ kritisiert 1868, dass in Bregenz – dem einzigen größeren touristischen Anziehungspunkt dieser Zeit – nichts geschehe, um aus den „Vorzügen der Gegend den größtmöglichen Nutzen zu ziehen“, obwohl „durch einen gesteigerten Fremdenverkehr die Wirtshausindustrie und das ganze Geschäftsleben einen Aufschwung nehmen müssten“. Doch brechen entscheidende Jahre an. 

Die Zäsur
1871 konstituiert sich in Bregenz der erste Verkehrsverein der Monarchie. Vor allem aber profitiert Vorarlberg vom Bahnausbau. 1872 wird die Vorarlberger Bahn fertiggestellt, 1884 die Arlbergbahn in Betrieb genommen. „Der Bahnausbau“, sagt Historiker Melichar, „bringt die Zäsur“. Mit der Bahn kommen erstmals Gäste in größerer Zahl ins Land. Sie werden bereits erwartet: In Bregenz entstehen ab 1870 die ersten größeren Hotels, das „Hotel Europa“ beispielsweise, oder der „Schweizer Hof“. Das „Pfänderhotel“ geht 1874 in Betrieb. Als umtriebig erweisen sich laut Melichar übrigens der Vater und der Onkel von Rudolf Wacker: „Das waren Baumeister, die sind mit solchen Projekten – und mit dem Bau von Villen – recht wohlhabend geworden.“ 1893 wird der Landesverband Vorarlberg Tourismus gegründet, zu seinen ersten Publikationen gehört eine Broschüre mit dem Titel „Was verlangt der Fremde vom Gastwirt in Vorarlberg?“; im Jahr 1900, anlässlich der Pariser Weltausstellung, werden erstmals das Land und seine touristischen Vorzüge beworben. 
Und schließlich beginnt um die Jahrhundertwende der Wintersport zu einem touristischen Faktor zu werden. Ab 1904 finden am Arlberg Skirennen statt. 1906 bewirbt ein erstes Winterplakat Skifahren in Schruns, 1907 wird auf dem Bödele Österreichs erster Skilift errichtet, eine Aufstiegshilfe mit Schlitten, Hanfseil und Motor. 

Der „Fremdenstrom“
1897 werden erstmals die Nächtigungszahlen in allen vier Bezirken erfasst. Man zählt landesweit knapp 40.500 Nächtigungen, wobei zwei Drittel auf Bregenz entfallen. Bis 1912 verdoppelt sich diese Zahl in etwa. Vorarlberg ist – nicht an heutigen, aber an damaligen Maßstäben gemessen – zu einem durchaus begehrten Reiseziel geworden. In einer Wiener Fachzeitschrift heißt es in dieser Zeit: „Mit den Gaben einer glücklichen Lage und reicher wie auch mannigfaltiger Schönheit ausgerüstet, haben es die Bewohner Vorarlbergs verstanden, ihr Land zu einem vielbesuchten und in aller Welt geschätzten Fremdenverkehrslande zu gestalten.“ Das Land wird dank seiner Nähe zur Schweiz und zu Deutschland gar „das bedeutsamste und wertvollste Einfallstor in die Monarchie“ genannt, von einem „starken und reichen Fremdenstrom“ ist die Rede. 
Dieser „Fremdenstrom“ aber irritiert die Vorarlberger bereits in den Anfängen. Im August 1878 steht im „Vorarlberger Volksblatt“: „Der Fremdenverkehr hat sein Gutes. Er hat aber auch seine großen Nachteile, denn unter Fremden sind zuweilen nicht die besten Elemente.“ Die Skepsis bleibt bestehen. Melichar berichtet, dass Landeshauptmann Otto Ender noch im Jahr 1929 im Landtag im Tourismus Bedrohungen sieht. Ender sagt, dass das Einkommen, das die Bevölkerung im Tourismus verdient, jedenfalls die durch problematische Gäste verursachten Schäden übersteigen müsse; er spricht von „Gesindel, wenn es auch aus höheren Kreisen kommt, aber doch diesen Namen Gesindel verdient“ – und er rügt Vorarlberger Wirte, die „um des Gelderwerbes willen alles dulden und jedes Mittel für recht finden“. Den Fremdenverkehr hält das nicht auf. Das statistische Handbuch zählt in der Saison 1928/1929 bereits über 100.000 Gäste und 720.000 Nächtigungen. Alois Knecht, der Pfarrer von Warth, sagt 1931, es sei vielen noch nicht bewusst, „dass unseren Bergdörfern durch eine zu starke Förderung des Fremdenverkehres eine soziale Wohltat erwiesen wird“. Die 1930er-Jahre werden turbulent: Die Tausend-Mark-Sperre, von Mai 1933 bis Juli 1936 in Kraft, wirkt sich gravierend auf die Zahl der deutschen Gäste aus.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kommt der Fremdenverkehr nach und nach wieder in Gang: Um 1950 haben die Besucher- und Nächtigungszahlen das Niveau vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise wieder überschritten. Es geht bergauf. Stetig.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.