Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Aus Tradition über Generationen

Februar 2022

Familienunternehmen prägen seit Jahrzehnten den Wirtschaftsstandort Vorarlberg. Schätzungen zufolge gibt es im Land rund 12.200 familiengeführte Arbeitgeberbetriebe. In Krisen, das sagen Wissenschaftler, seien solche Betriebe resilienter. Doch stehen familiengeführte Unternehmen auch vor einer ganz speziellen Herausforderung: Bis 2029 stehen in Vorarlberg laut der KMU Austria hunderte bislang familiengeführte Unternehmen zur Übergabe an.

Gemäß einer Definition der Europäischen Kommission gilt ein Unternehmen dann als Familienunternehmen, wenn nebst anderen Bestimmungen „mindestens ein Vertreter der Familie oder der Angehörigen offiziell an der Leitung beziehungsweise Kontrolle des Unternehmens beteiligt ist“. 
Was theoretisch klingen mag, hat in der Praxis große Bedeutung: Der vorerst letzten Schätzung zufolge(1) gibt es in Vorarlberg – herausgerechnet sind die Ein-Personen-Unternehmen –, gut 12.200 familiär geführte Arbeitgeberbetriebe. Für den Wirtschaftsstandort Vorarlberg sind Familienunternehmen also von entsprechend hoher Relevanz. Wirtschaftslandesrat Marco Tittler nennt sie dank ihrer regionalen Verankerung und vielfach auch globalen Aktivität schlichtweg „das Rückgrat der Vorarlberger Wirtschaft“. Und sagt: „Die erfolgreiche Stellung Vorarlbergs als wirtschaftliche Top-Region in Europa verdanken wir ganz wesentlich den vielen Familienbetrieben im Land.“

Gründerzeiten

Aber starten wir doch mit einem historischen Blick in dieses für Vorarlberg sehr wichtige Thema, mit den Angaben der beiden Wirtschaftshistoriker Gerhard Siegl und Christian Feurstein. Die Geschichte des Industrielands Vorarlberg beginnt vor etwas mehr als zwei Jahrhunderten. Wobei zunächst die Textilindustrie dominiert. In den 1820er- und 1830er-Jahren kommt es zur sogenannten ersten Gründerphase. Die ersten großen Fabriken im Land entstehen, mechanische Spinnereien und Webereien lösen die traditionelle Handarbeit ab. Die Textilindustrie ist die High-Tech-Branche des 19. Jahrhunderts. Sie verzeichnet die höchsten Wachstumsraten, die großen Unternehmen zählen zu Spitzenzeiten mehrere tausend Beschäftigte. Der Einfluss der Unternehmen ist entsprechend groß. Vielfach üben Mitglieder der Unternehmerfamilien auch politische Funktionen aus, sind im Reichsrat oder Landtag vertreten, stellen Bürgermeister. Getzner Textil, 1818 gegründet, zählt zu den heute noch bestehenden Unternehmen aus dieser Epoche. Und bis zur Jahrhundertwende entstehen – siehe Zeitleiste – viele weitere Unternehmen, die heute noch existieren und heute noch familiengeführt sind.

Eine gewisse Resilienz

Familienunternehmen spielen in Vorarlberg also schon früh eine wichtige Rolle. Und früh zeigt sich laut den beiden Historikern des Wirtschaftsarchivs eine bestimmte Eigenschaft solcher Unternehmer: eine gewisse Resilienz in schwierigen Zeiten. „Beim Börsenkrach 1873 und in der nachfolgenden Wirtschaftskrise“, sagt Siegl, „blieb die Vorarlberger Textilindustrie mit ihren zumeist familiengeführten Personengesellschaften relativ unbeschadet.“ Deutlich heftiger fielen dagegen die Auswirkungen im Osten Österreichs aus, „wo es viele Aktiengesellschaften gab, die von Investoren abhängig waren.“
Dem Historiker zufolge beweisen damals wie heute Familienunternehmen eine besondere Verbundenheit zur Region: „Im Vordergrund stand, Arbeitsplätze und Wertschöpfung im Land zu halten. Natürlich zeigen auch andere Unternehmen gesellschaftliches Engagement. Das Management eines börsennotieren Konzerns steht allerdings vor der Herausforderung, solche Aktivitäten gegenüber den Aktionären zu rechtfertigen.“

Nachhaltigkeit

Im juristischen Standardwerk in Sachen Familienunternehmen(2), heißt es, die Zielvorstellungen von Familienunternehmen seien „meistens wesentlich vielfältiger als die einseitige Orientierung der offenen börsennotierten Unternehmen, die kurzfristige Erwartungshaltungen befriedigen müssen. Bei Familienunternehmen steht die nachhaltige Versorgung und Sicherung der Familienmitglieder, der Vermögenserhalt und die langfristige, generationsübergreifende Unternehmensplanung im Vordergrund.“ Was die Historiker Siegl und Feurstein für den Börsenkrach 1873 beschreiben, das lässt sich quasi jahrzehnteüberspringend auch für die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 konstatieren und, mit aller gebotenen Vorsicht, auch für die heutige Pandemie: Familiengeführte Unternehmen agieren in Krisen anders. 
Die Krise ab 2008 überstand der Wirtschaftsstandort Vorarlberg im Gegensatz zu anderen Regionen gut, auch dank der Familienunternehmen. Heute scheint ein Rekord bei den Exportzahlen wiederum in diese Richtung zu weisen. „Familiengeführte Betriebe sind der prägende Unternehmenstypus in Vorarlberg“, sagt Landesrat Tittler, „sie schaffen einen Großteil der Arbeitsplätze und sind auch in konjunkturell schwierigen Zeiten ein verlässlicher Partner.“
Auch österreichweit ist diese Kategorie von Unternehmen von hoher Relevanz: Die „KMU Forschung“ präsentierte im März 2020 einen Bericht, laut dem es in Österreich rund 157.000 Familienunternehmen gibt, die zusammen mehr als 1,8 Millionen selbstständig und unselbstständig Beschäftigten einen Arbeitsplatz bieten und Umsätze in der Höhe von rund 414,1 Milliarden Euro erwirtschaften. Die Bandbreite dieser Unternehmen ist groß, sie reicht vom kleinen Betrieb bis hin zum international tätigen Konzern.

Forschung

Ob Familienunternehmen in der Pandemie aber tatsächlich resilienter sind, das ist eine Frage, mit der sich die „KMU Forschung Austria“ aktuell beschäftigt. Man sei bestrebt, geeignete Datenquellen zu finden, erklärt Wirtschafts- und Sozialforscherin Eva Heckl im Gespräch mit „Thema Vorarlberg“. Zwar sei „die Annahme naheliegend, dass das Bestreben zur Aufrechterhaltung von Familienunternehmen höher ist als in anderen Fällen“. Allerdings sei der Anteil familiär geführter Betriebe gerade im Tourismussektor am höchsten, „und das ist wiederum der Sektor, der von der Pandemie am schwersten getroffen wurde“.
Laut dem zuvor erwähnten Bericht liegt der Anteil an Familienunternehmen im Tourismus österreichweit bei 67 Prozent, gefolgt von der Produktion inklusive Bau mit 62 und dem Handel mit 50 Prozent. 

Sieben Jahrzehnte

Apropos Handel. Sutterlüty, der Bregenzerwälder Lebensmittelhändler feiert heuer 70 Jahre seines Bestehens. Was einst klein begann (siehe Seite 11) wächst unter Jürgen Sutterlüty, der 1990 im Unternehmen zu arbeiten beginnt und 1998 die Mehrheitsanteile übernimmt, stetig – Sutterlüty hat aktuell 24 und mit Jahresende bereits 27 Filialen, landesweit.
Der studierte Betriebswirt hat aus dem einstigen Mehrfamilienunternehmen, das mit vier Gesellschaftern unterschiedliche Geschäftsbereiche unterhielt, ein Einfamilienunternehmen gemacht. Jürgen Sutterlüty ist heute Allein-Eigentümer der Sutterlüty-Holding. Er habe das Unternehmen transformiert und sich gelöst von dem Ansatz, wonach nur Familienmitglieder im Unternehmen Entscheidungskompetenz übernehmen dürfen, sagt Jürgen Sutterlüty: „Wir haben die Familienstruktur geöffnet, sind aber doch ein Familienunternehmen geblieben.“
Denn allein mit dem Begriff Familie, aber ohne fundierte Kompetenz, könne ein Familienunternehmen nicht in den Wettbewerb ziehen, „nicht in diesem Business, das weltweit von Konzernen beherrscht wird.“ Der Firmeninhaber in zweiter Generation nahm also externes Management in die Firma, „kompetente Partner auf Augenhöhe“, die Tochtergesellschaften werden von familienexternen Geschäftsführern verantwortet. 

Spezielle Herausforderungen

Forscherin Heckl sagt wiederum, dass Familienunternehmen ganz eigene, ganz spezielle Herausforderungen hätten: „Kontinuität und Beständigkeit sind Stärken von Familienunternehmen, können gleichzeitig aber auch Hemmschuh bei Veränderungen sein.“ Auch die Frage der Nachfolge in Familienunternehmen könne problematischer sein, wesentlich problematischer als in anderen Unternehmen: „Zieht sich der Seniorchef oder die Seniorchefin auch wirklich aus dem Unternehmen zurück und lässt die Nachfolger agieren? Oder nicht? Das zu entflechten, das kann eine große Herausforderung sein.“ Die Familiendynamik spielt laut Heckl „eine entscheidende Rolle“, auch im Verhältnis untereinander, wenn etwa mehrere Mitglieder einer Familie im familieneigenen Unternehmen beschäftigt sind. 
Auch das ist eine Frage von hoher Relevanz. Denn laut einem weiteren Bericht der „KMU Forschung“ stehen in Vorarlberg bis zum Jahr 2029 nicht weniger als 2500 Unternehmen zur Übergabe an, rein rechnerisch, nach zu erwarteten Pensionsantritten der derzeitigen Firmenchefs. Und darunter sind eben auch hunderte bislang familiengeführte Unternehmen. (siehe auch Seite 10)

Die Grenzen der Familie

Sutterlüty sagt, er habe sich viel mit dem Begriff Familienunternehmen beschäftigt und beschäftige sich nach wie vor mit den damit zusammenhängenden relevanten Fragen: „Wie weit darf Familie gehen? Wo sind ihre Grenzen? Steht der familiäre Begriff dafür, dass ausschließlich Familienmitglieder das Unternehmen operativ prägen dürfen? Oder geht es darum, dass die Werte und die Kultur eines Unternehmens die Generationen überstehen?“ Der Unternehmer hat sich dem Wertebezug verschrieben, sein Unternehmen sei Plattform der Vernetzung mit regionalen Netzwerkpartnern geworden, hunderte bäuerliche Partner seien „die erweiterte Familie“.
Man teilt die Werte, man teilt die Philosophie des Lebensmittelunternehmens: „Regionalität ist unsere Leidenschaft, sie wird gelebt. Sie ist viel mehr als nur eine Verkaufsüberlegung, es würde uns ohne diese Regionalität so nicht geben.“ 
Haben Familienunternehmen eigentlich generell einen höheren Bezug zur Region? Das hänge sicher auch davon ab, wie lange ein Unternehmen schon an seinem Standort sei, erklärt Heckl, sagt aber auch, nahezu deckungsgleich mit dem Unternehmer Sutterlüty: „Familienunternehmen dürften allerdings ein höheres Bewusstsein für Standort und Region und auch eine höhere Verantwortung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben; zumal der Familienbegriff in einem erweiterten Verständnis mitunter ja auch auf langjährige Beschäftigte übertragen wird.“ Und da ist auch Landesrat Tittler ganz bei Sutterlüty und Heckl: „Familienunternehmen zeichnen sich durch eine besonders starke Verwurzelung und Verankerung in der Region aus, es herrscht eine besondere Verbundenheit mit den Menschen, die hier leben.“ Und dank oftmals enger, oftmals auch persönlicher Beziehung zu den Mitarbeitern sei deren „Wissen, Loyalität und Einsatzbereitschaft“ eine tragende Säule des Erfolgsmodells.
Region, antwortet Sutterlüty, sei für sein Unternehmen enorm wichtig, sei auch für andere Vorarlberger Unternehmen prägend. Ein Alleinstellungsmerkmal des Landes ist das in seinen Augen allerdings nicht: „Auch in anderen Teilen der Welt ist der Regionen-Bezug sehr stark. Es wäre also vermessen, zu glauben, dass nur wir in Vorarlberg diesen identitätsstiftenden Beitrag zur Region leisten.“ Er sei, sagt Sutterlüty, „kein Fan dieser Selbstverherrlichung“.

Eine Frage der Tradition

Dennoch: Ist Tradition ein Wettbewerbsvorteil? Wirtschaftshistoriker Siegl sagt, das sei definitiv der Fall: „Nicht ohne Grund geben Unternehmen Geld dafür aus. Mittlerweile widmet sich eine eigene Branche dem sogenannten History Marketing. Meilensteine der Unternehmensgeschichte werden professionell recherchiert und präsentiert.“ Denn eine lange Geschichte verleihe Unternehmen Attribute wie Seriosität und Verlässlichkeit, für viele Kunden seien das gute Kaufargumente: „Die Firmengeschichte wirkt aber nicht nur als PR-Maßnahme nach außen, sondern auch nach innen, zum Beispiel bei der Mitarbeitermotivation.“ Siegl berichtet da auch von „Stimmen aus dem Recruiting, die meinen, dass gut ausgebildete Mitarbeiter bei zwei ähnlichen Jobangeboten zu jener Firma wechseln, die eine längere Tradition und ‚mehr Geschichte‘ aufweist“.
Und welchen Wert hat Tradition für Sutterlüty? Der Unternehmer antwortet: „Tradition ist eigentlich ein Wertebewusstsein: Respekt vor den Leistungen der Vorväter zu haben, aber gleichzeitig auch die Verpflichtung zur Öffnung gegenüber Veränderung.“ Tradition, nur interpretiert als Fortführung bestehender Werte, halte er für gefährlich: „Tradition sollte auch dieses Moderne, dieses Öffnende beinhalten.“ Denn die Gründerväter, diese Persönlichkeiten, von denen es in Vorarlberg eine beeindruckende Zahl gegeben habe, „waren in ihrer Zeit extrem modern in ihrem Denken.Sonst hätten sie keine international erfolgreichen Unternehmen entwickelt.“ Tradition ist in Sutterlütys Lesart also ein Gemenge – aus Werten, aus Kultur und aus Veränderung.

(1) Laut der vorerst letzten Erhebung der KMU Forschung Austria 2015
(2) Kalss/Probst, „Familienunternehmen“, Verlag Manz

 

Über Übergaben in Familienunternehmen

Fünf Erkenntnisse aus einer aktuellen Studie der „KMU Forschung Austria“.

  1. Bezüglich der finanziellen Abwicklung von Unternehmensübergaben ist zu beobachten, dass 45 Prozent der Übergaben unentgeltlich und 55 Prozent entgeltlich erfolgen. Die unentgeltlichen Übertragungen finden in knapp zwei Dritteln der Fälle durch Schenkungen statt, 14 Prozent betreffen eine Vererbung.
  2. Unternehmensübergaben in Familienunternehmen finden noch häufiger durch das Erreichen des pensionsfähigen Alters der Übergeber statt als bei allen Unternehmen insgesamt.
  3. Bei familieninternen Nachfolgen sind der eigene Wunsch, die Familientradition fortzusetzen, die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Fortführung des Unternehmens auf Wunsch der Familie zentrale Motive.
  4. Familienunternehmen führen in mehr als zwei Dritteln der Fälle eine familieninterne Nachfolge durch. Die häufigsten Formen der Übergabe sollen an dieser Stelle erwähnt sein: in 48 Prozent der Fälle erfolgt die Übergabe vom Vater auf den Sohn, in 27 Prozent vom Vater auf die Tochter, in 14 Prozent von der Mutter auf den Sohn.
  5. Anhand der Entwicklung der vergangenen Jahre ist davon auszugehen, dass sich der Trend zu externen Unternehmensübergaben langfristig weiter fortsetzen wird.

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