Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Nora Weiß

Redakteurin Thema Vorarlberg

Foto: Weissengruber

Forschung und Entwicklung in Vorarlberg

März 2022

Vorarlbergs Unternehmen sind als Forschungstreiber im Bundesländervergleich überdurchschnittlich bedeutend für den Wirtschaftsstandort. Über die Bedeutung von Forschung und Entwicklung, über Innovationen und praktische Beispiele – und die Stärke hiesiger Firmen, Wissen aus der angewandten Forschung in eine Kommerzialisierung zu führen.

Anfang Jahr war ein Außenhandelsbericht der Rekorde vorgelegt worden: Vorarlbergs Unternehmen hatten im ersten Halbjahr 2021 Güter beziehungsweise Waren und Dienstleistungen im Gesamtwert von über 6,13 Milliarden Euro exportiert – und mit einem Zuwachs von 25,9 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2020 damit erstmals die Grenze von sechs Milliarden Euro überschritten. Dieser Rekordwert, sagte Wirtschaftslandesrat Marco Tittler bei der Präsentation des Berichts, belege, dass sich „die heimischen Unternehmen auf den internationalen Märkten mit Bravour durchsetzen können“. Man werde engagiert an den Rahmenbedingungen weiterarbeiten, erklärte der Landesrat – und nannte dabei auch „die intensiven Anstrengungen im Bereich Forschung und Entwicklung“.

„Die Basis unserer Wettbewerbsfähigkeit“

Eine erhebliche Abweichung

Forschung und Entwicklung? Nach Angaben des Forschungsinstituts WPZ Research wies Vorarlberg 2019 – pandemiebedingt gibt es keine aktuelleren Daten – im Bundesländervergleich die sechsthöchste F&E-Quote auf. Hinsichtlich der Finanzierung von Forschung und Entwicklung weicht Vorarlberg allerdings erheblich vom Rest ab: Der Anteil des Unternehmenssektors liegt im Land bei 90 Prozent, in Gesamt-Österreich bei 55 Prozent, in Österreich ohne Vorarlberg gar nur bei 54 Prozent.
Forschung und Entwicklung wird in Vorarlberg also weitestgehend von den Unternehmen selbst finanziert. Das heißt: Vorarlbergs Unternehmen sind als Forschungstreiber überdurchschnittlich bedeutend für den Wirtschaftsstandort.
Blum, Weltmarktführer mit Hauptsitz in Höchst, investiert nach eigenen Angaben jährlich rund vier Prozent seines Umsatzes in Forschung und Entwicklung, bei einem Gesamtumsatz von 2376,75 Millionen Euro im Wirtschaftsjahr 2020/2021. Und sagt von sich selbst: „Die Investitionen in unsere Innovationskraft sichern uns die Zukunft. Neue Produkte, aber auch das stetige Optimieren bestehender Produkte und das Erweitern unseres Programms sind wesentliche Faktoren unseres Erfolgs.“ 

Die systematische Suche 

Doch was ist F&E eigentlich? Laut einer Definition des Gabler Wirtschaftslexikons ist Forschung und Entwicklung „die systematische Suche nach neuen Erkenntnissen unter Anwendung wissenschaftlicher Methoden in geplanter Form“. Während unter Forschung der generelle Erwerb neuer Kenntnisse zu verstehen ist, setzt sich die Entwicklung mit deren erstmaliger konkretisierender Anwendung sowie praktischer Umsetzung auseinander.
Entbehrt Forschung noch eines realen Verwertungsaspekts, so handelt es sich um Grundlagenforschung. Die angewandte Forschung ist dagegen bereits auf konkrete Anwendungsmöglichkeiten hin ausgerichtet.
Und gerade dieser Bereich, die angewandte Forschung, ist eine der Stärken erfolgreicher Vorarlberger Unternehmen. Laut Jimmy Heinzl, dem Geschäftsführer der Wirtschaftsstandortgesellschaft (Wisto), agieren Vorarlbergs Unternehmen „zielgerichtet, zweckorientiert, mit Blick auf den Markt. Das Wissen der angewandten Forschung in eine Kommerzialisierung zu führen, das ist die Stärke des Standorts.“
Heinzl erklärt auch, warum Forschung und Entwicklung gerade für den Wirtschaftsstandort Vorarlberg von entscheidender Bedeutung sind: „Unsere exportorientierte Wirtschaft ist schwerpunktmäßig in Wettbewerbsmärkten tätig. In diesen Märkten kann aber nur derjenige Marktanteile halten oder dazugewinnen, der neue Produkte, Verfahren und Dienstleistungen anbietet.“
Eine strukturierte Forschung und Entwicklung ist für den Standort also immanent wichtig: „Das ist die Basis unserer Wettbewerbsfähigkeit, das ist die Basis unseres wirtschaftlichen Erfolgs.“
Dana Seyringer, Forscherin im Bereich Mikrotechnik an der Fachhochschule in Dornbirn, legt nach: „Vorarlberg ist das Bundesland mit der höchsten Industrialisierungsquote in Österreich. Deswegen ist Forschung extrem wichtig, da die Forschung die Grundlage für jede Innovation ist.“

Innovationsführer

Heinz Seyringer ist CEO von V-Research und CEO der Digital-Factory. Seyringer sagt: „Nur als Innovationsführer können wir unsere Position im globalen Markt behaupten, weiter ausbauen und damit unseren Wohlstand sichern“. Und dass Forschung helfe, aktuelle Herausforderungen zu meistern, das belegt der Wissenschaftler an zwei Beispielen. Etwa am neuen„Light As a Service Model“ der Zumtobel Group, bei welchem alte Beleuchtungssysteme durch neue ausgetauscht werden: „Dies ergibt nicht nur eine bessere Lichtqualität in den Städten, sondern reduziert auch die Betriebskosten substanziell und spart CO2. Diese Kostenersparnis wird auf der einen Seite zur Bezahlung des Beleuchtungssystems verwendet, und der Rest verbleibt den Städten als zusätzliches Budget.“ In Summe gewinnen also alle: „Die Bevölkerung erhält besseres Licht, den Städten bleibt mehr Geld im Budget, neue Arbeitsplätze werden in der Industrie geschaffen. Und die Umwelt profitiert von der CO2-Ersparnis.“ In Wien sind das, nebenbei bemerkt, über 42.000 Tonnen CO2 weniger pro Jahr.
Das andere Beispiel betrifft den Verkehrsbereich, in dem es laut dem Wissenschaftler Doppelmayr gelungen ist, durch ein innovatives Stadt-Seilbahnsystem steigenden Transportbedarf zukunftstauglich zu lösen: „Ähnliche Systeme werden bestimmt in zahlreichen weiteren Städten entstehen.“

Kommerzialisierung am Markt

Ist Innovation eigentlich zwingend die Folge von Forschung und Entwicklung?
Wisto-Geschäftsführer Heinzl zitiert Joseph Schumpeter, den österreichischen Nationalökonomen (1883 – 1950), demzufolge „Forschung die Transformation von Geld in Wissen und Innovation die Rücktransformation von Wissen in Geld ist“. Heinzl sagt: „Forschung und Entwicklung führen nicht zwangsweise, aber sehr oft zu Innovation. Und Innovation bedeutet auch: Kommerzialisierung am Markt.“
Doch banal gefragt: Ist Forschung planbar? Oder basieren Innovationen häufig auch auf Zufällen? Die Wissenschaftlerin Dana Seyringer sagt: „Wie man zum Beispiel bei der Entwicklung der blauen Leuchtdiode, welche heute die Basis für alle unsere LED-Leuchten ist, oder bei der Entdeckung der Radioaktivität und den meisten anderen wichtigen Entdeckungen in der Forschung gesehen hat, spielt der Zufall in der Forschung eine wichtige Rolle.“ Engineering sei planbar: „Aber erfolgreiche Forschung braucht viel harte Arbeit – und ein wenig Glück.“

„Wo wir stark sind“

F&E wird in Vorarlberg laut Heinzl flächendeckend betrieben: „Geforscht und entwickelt wird überall dort, wo wir stark sind: Anlagenbau, Elektrotechnik, Elektronik, Metall.“ Ihm zufolge sind grundsätzlich alle Leitbetriebe, unabhängig von deren Größe, in Sachen Forschung und Entwicklung aktiv: „Ich nenne da exemplarisch Konzerne wie Blum oder Zumtobel, die mit eigenen Abteilungen erfolgreich strukturierte Forschung und Entwicklung betreiben und auch deshalb in ihren Nischen Weltmarktführer sind. Doch auch kleinere Unternehmen wie Inventus oder das Startup Tree.ly sind beispielsweise extrem erfolgreich im Forschungs- und Entwicklungsbereich tätig.“ 
Blum hält derzeit rund 2100 weltweit erteilte Patente. Und darf sich Jahr für Jahr über beste Platzierungen im Ranking des österreichischen Patentamtes und der European Inventor Award freuen: Im jüngsten Ranking lag Blum auf Platz 2, mit 76 Erfindungsanmeldungen.
Blum ist damit der größte Patentanmelder Vorarlbergs, Zuständige sagen dort: „Wir sind überzeugt, dass sich unser Erfindergeist darin niederschlägt. Die Platzierung im Ranking beweist unsere Innovationsfreude.“

Von der Idee zur Umsetzung

Bei Blum entstehen Innovationen an vielen Stellen, interdisziplinär.
So liefert die Technik konkrete Ideen zur Umsetzung von Impulsen, wichtige Informationen zu Megatrends, landesspezifischen Gegebenheiten beim Leben und Wohnen sowie Erkenntnisse zur Ergonomie kommen aber auch aus der Abteilung „Bedürfnisforschung“.
Dort, unter der Leitung von Siegfried Röck, erforscht ein acht Mann starkes Team intensiv die „Bedürfnisse aller, die unsere Beschläge verarbeiten, montieren und letztlich nutzen“. Seit den 1990er Jahren besuchen Mitglieder dieses Teams Küchennutzer auf der ganzen Welt, beobachten deren Küchenalltag und erkennen so typische Abläufe und Tätigkeiten, länderspezifische Besonderheiten und Produkt-Anforderungen. Auch werden Kunden bei der Optimierung ihrer Möbelfertigung beraten: „So entstehen laufend neue Ideen, wie sich moderne Küchen noch praktischer gestalten lassen und wie Beschläge die Möbelkonzepte unserer Kunden ermöglichen und ihre Herstellungsprozesse effizienter machen können.“ 

Alleinstellungsmerkmale

Die Firma Inventus in St. Anton im Montafon, 2003 von Stefan Battlogg gegründet, ist ein nach eigenen Angaben „sehr tief in der Technologie verankertes Mechatronik-Unternehmen“. Die Basis aller Entwicklungen des Unternehmens ist die sogenannte „Magnetorheologische Flüssigkeit“, ein Stoffgemisch aus einer Trägerflüssigkeit und magnetisierbaren Eisenpartikeln, welche die Viskosität ändert, wenn sie mit einem Magnetfeld in Kontakt kommt. Inventus entwickelt damit adaptive rotative und lineare Dämpfer, die weltweit gefragt sind – und unter anderem in der Automobilindustrie, im Gaming, in Küchengeräten oder auch der Gesundheitsindustrie eingesetzt werden können. 
„Für uns sind Forschung und Entwicklung immens wichtig“, sagt Stefan Battlogg, „weil wir uns damit jenes Alleinstellungsmerkmal schaffen, auf das wir angewiesen sind.“ Inventus, eine kleine Firma, könne am Weltmarkt mit all den großen konkurrierenden Unternehmen nur deswegen bestehen, weil man ständig Neues anzubieten habe: „Wir punkten mit Innovation und Qualität und setzen deswegen so stark auf Forschung und Entwicklung.“ Im Wettbewerb beispielsweise mit asiatischen Ländern, mit Hundertschaften von Ingenieuren, einer ganz anderen Struktur, einem völlig anderen Arbeitszeitmodell, einem ganz anderen Lohngefüge, „da müssen wir zwingend forschen und entwickeln, kreativ sein, um patentrechtlich geschützte neue Lösungen zur Serienreife zu bringen.“
Die Fachhochschule
Vorarlberg, das sagt Jimmy Heinzl, sei bedingt durch das Fehlen einer Universität kaum in der Grundlagenforschung aktiv, aber in der angewandten Forschung sehr stark, dank der Unternehmen, der Fachhochschule und überbetrieblicher Einrichtungen.
Apropos. An der FH Vorarlberg sind folgende Forschungszentren angesiedelt: Energie. Mikrotechnik. Nutzerzentrierte Technologien. Business Informatics. Sowie die „Forschungsgruppe Empirische Sozialwissenschaften“.
Zudem ist die Fachhochschule Vorarlberg in der Forschung mit je 49 Prozent an den Tochterunternehmen „V-Research“ und „Digital Factory“ beteiligt. FH-Rektorin Tanja Eiselen sagt: „Die FH Vorarlberg University of Applied Sciences ist eine der forschungsstärksten Hochschulen in Österreich. Im Jahr 2021 wurden etwa 70 Forschungsprojekte durchgeführt, die Hälfte davon mit Unternehmen und Institutionen aus Vorarlberg. Das ist für unsere Region extrem wertvoll.“ Die etwa 70 Forschenden hätten über drei Millionen Euro Forschungsvolumen erwirtschaftet: „Und dass etwa ein Drittel unserer Forschenden Frauen sind, freut mich besonders.“ 

„Ein bestimmter Geist“

Für Inventus-Eigentümer Battlogg ist Innovation das Ergebnis von Forschung und Entwicklung und damit auch das Ergebnis harter Arbeit: „Man kann ja nicht einfach sagen, heute bin ich ausnahmsweise mal innovativ und erfinde was.“
Vielmehr braucht es ein bestimmtes Muster, braucht es bestimmte Abläufe und einen bestimmten offenen Geist, um innovativ sein zu können: „Es braucht eine Innovationskultur.“
Inventus hat über 300 Schutzrechtanmeldungen/Patente, hat allein in den vergangenen vier Jahren 99 Patente erteilt bekommen: „Das ist für eine Firma unserer Größe überdurchschnittlich viel.“ Ein Anwalt habe ihm einmal gesagt, Inventus habe so viele Patente wie eine 500-Mann-Firma. Inventus hat 15 Mitarbeiter.
„Der wunde Punkt“
Apropos Mitarbeitende. Nach Angaben der Zuständigen bei Blum sei die Bodenseeregion „gespickt mit Technologieführern, Hidden Champions und innovativen Unternehmen“. Man habe also „hier ein Netzwerk aus großartigen Partnern und Lieferanten“. Aber natürlich gehe damit auch einher, „dass es nicht einfach ist, ausreichend geeignete Fachkräfte für unser Unternehmen zu gewinnen“. Blum setzt also unter anderem darauf, „junge Menschen in der Lehre zu Expertinnen und Experten zu entwickeln und die Fachkompetenz unserer Mitarbeitenden durch Wissensaustausch und Fortbildungen zu vergrößern“. Schaffen es Vorarlberger und österreichische Unternehmen, in ausreichendem Maße qualifiziertes Personal für den Bereich F&E zu rekrutieren? „Das ist der wunde Punkt in diesem Ganzen“, sagt Brigitte Ecker, die Geschäftsführerin von WPZ Research im Interview (siehe rechts).

Die Zukunft

Heinzle ist sich sicher, dass in einer Welt im Umbruch Forschung und Entwicklung weiter an Bedeutung zunehmen werden: „Die Bedeutung von F&E und Innovation für erfolgreiches Wirtschaften wird weiter steigen. Technologien entwickeln sich sprunghaft, immer mehr technische Möglichkeiten stehen zur Verfügung.“
Doch da vor allem Mittelständler nicht immer alle Technologien im Haus zur Verfügung stellen können, wird laut Heinzl auch die Bedeutung überbetrieblicher Forschung und Entwicklung weiter zunehmen: „Deshalb investieren wir, deshalb haben wir die Digital Factory am Standort etabliert. Damit wir dort eine Art Wissenstankstelle haben, an der solche Unternehmen andocken können.“ In Europa, schließt Unternehmer Battlogg an, lasse sich über die Kosten kein Wettbewerbsvorteil lukrieren: „Die Zukunft liegt also in der Innovation.“ Und dazu passt, was ein deutscher Chemiker einst gesagt hatte: „Forschung ist die Fortsetzung der Neugier – nur mit anderen Mitteln.“

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.