Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Nicht überblickbar, nicht administrierbar“

Februar 2024

Kommt das EU-Lieferkettengesetz in Brüssel nochmals auf die Tagesordnung? Wirtschaftslandesrat Marco Tittler warnt vor gravierenden Folgen für Vorarlbergs Wirtschaft. 

Über das EU-Lieferkettengesetz wird seit Jahren diskutiert. Anfang Februar sollten nun die Mitgliedsstaaten der EU darüber abstimmen. Doch dazu kam es erst gar nicht: Nachdem Deutschland und Österreich bereits im Vorfeld angekündigt hatten, sich der Stimme enthalten zu wollen; und auch Italien, sowie mehrere kleinere Länder Bedenken angemeldet hatte, entschloss sich der EU-Rat, die Abstimmung zu verschieben. In Brüssel heißt es nun, dass das Lieferkettengesetz möglicherweise im März wieder auf die Tagesordnung komme, die EU-Ratspräsidentschaft versuche, vor allem Italien zur Zustimmung zu bewegen, möglicherweise mit Zugeständnissen in anderen Bereichen.
Worum geht es? Mit dem Lieferkettengesetz sollen große europäische Unternehmen verpflichtet werden, auf die Einhaltung von Menschenrechten und von Umweltschutz entlang ihrer gesamten Lieferkette zu achten. Unternehmen müssten demnach ihre – vorgelagerte – Lieferkette auf Verstöße gegen Menschenrechte, Gesundheit und Umweltschutz prüfen. Würden Verstöße festgestellt, müssten die Unternehmen selbst dafür sorgen, dass diese abgestellt würden; andernfalls seien die Geschäftsbeziehungen einzustellen. Unternehmen müssten also ihre Zulieferer strengstens kontrollieren. Bei Verstößen gegen das Lieferkettengesetz drohen Unternehmen im äußersten Fall Geldstrafen von bis zu fünf Prozent ihres weltweiten Nettoumsatzes.
Die „Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit“ soll dabei für Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von mehr als 150 Millionen Euro gelten, auch für Unternehmen mit hohem Schadenspotenzial, wie Textil- und Landwirtschaft. Dort liegt die Grenze bei mindestens 250 Beschäftigten und 40 Millionen Euro Nettoumsatz.
In Österreich wurde die Vertagung unterschiedlich aufgenommen: Während Kritik etwa von der Arbeiterkammer und von verschiedenen NGO kam, zeigten sich Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung erleichtert, vorerst zumindest. „Bei europaweit 900 Millionen Lieferbeziehungen wäre durch die angedachte Einbeziehung auch indirekter Beziehungen praktisch jedes Unternehmen in der Verantwortung“, sagte Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf: „Eine solche Tragweite ist nicht überblickbar, geschweige denn administrierbar und schadet der Wirtschaft.“
Wirtschaftsminister Martin Kocher, der sich für die Stimmenthaltung entschieden hatte, argumentierte, er unterstütze die Ziele der Richtlinie – aber mit dem Gesetz würden Pflichten und Haftungsrisiken auf kleine und mittlere Unternehmen abgewälzt.
Das sagt auch Wirtschaftslandesrat Marco Tittler: „Die eigentlichen Ziele der Richtlinie werden grundsätzlich unterstützt. Gut gemeint ist jedoch häufig das Gegenteil von gut gemacht, das zeigt sich auch bei diesem Vorschlag. Er ist überschießend, führt zu Unsicherheiten, trifft mitunter die falschen Unternehmen und ist in der vorliegenden Form deshalb zur Gänze abzulehnen.“ Vorarlbergs Unternehmen würden international für ihre hohen ethischen und sozialen Standards geschätzt, aber gerade die exportorientierte und zulieferintensive Wirtschaft Vorarlbergs könnte hier besonders betroffen sein, warnt der Landesrat: „Wenn große Konzerne verpflichtet werden, ist es sogar naheliegend, dass diese Unternehmen die Pflichten und Risiken nach Möglichkeit überwälzen oder unsere KMU aus den Lieferketten verdrängt werden.“ Für Vorarlberg ist das von großer Bedeutung: „Unsere Wirtschaft besteht zu mehr als 99 Prozent aus Klein- und Mittelbetrieben, die in der Regel nicht über große Verwaltungsapparate verfügen.“ Die Erfüllung dieser Auflagen würde zudem zu einem beträchtlichen Kostenfaktor werden, der sich nachteilig auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auswirken könnte: „Vorarlbergs Unternehmen wollen in erster Linie ihrem Geschäft nachgehen und wir müssen sicherstellen, dass das auch weiterhin möglich ist.“
Es soll nicht verschwiegen werden, dass Befürworter des Gesetzes Gutes wollen. Aber ist der Weg denn der richtige? Ein Kommentar in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ las sich da sehr deutlich. Dort wurde das Lieferkettengesetz als „unselige Richtlinie“ bezeichnet, deren Vorgaben Europas Unternehmen zwingen sollen, „die hohen Wert- und Moralvorstellungen der EU in ihren weltweiten Lieferketten durchzusetzen“. Zitat aus dem Kommentar: „... unter Generalverdacht (gestellt), dringen hiesige Unternehmen mit Gegenargumenten nicht durch. Diese erschöpfen sich nicht in der berechtigten Klage über Bürokratie und Rechtsunsicherheit durch schwammige Regeln, die zum Rückzug aus schwierigen Märkten zwingen könnten, statt zu diversifizieren. Ökonomen weisen auf den Schaden hin, den Lieferkettengesetze in Entwicklungsländern anrichten. Deren Weg zu Wohlstand führt über die Eingliederung in die globale Arbeitsteilung.“

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