Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Schrei vor Wut

September 2014

Wie Amazon, Zalando und Konsorten den Vorarlberger Einzelhandel bedrohen – und wie sich die Händler rüsten können. Eine groß angelegte Studie zeigt Überraschendes auf.

Im Internet ist jedes Produkt billiger verfügbar und rund um die Uhr zu bestellen, bequem von zu Hause aus. Und eine aggressive Werbung sorgt dafür, dass dies kaum einem potenziellen Kunden verborgen bleibt. Nun kann man dem Onlinehandel kritisch gegenüberstehen, kann dessen Macht, Moral und Wettbewerbsvorteile genauso rügen wie davor warnen, dass Internet-Shopping künftig immer mehr Geschäfte vor Ort verschwinden lassen wird.

Aber Tatsache ist, dass der Trend längst nicht mehr aufzuhalten ist. Laut dem österreichischen Handel stieg die Zahl der Internetkäufer von 0,5 Millionen im Jahr 2002 auf 2,9 Millionen im Jahr 2012. Im vergangenen Jahr haben bereits 57 Prozent der Konsumenten per Mausklick eingekauft, insgesamt gaben Österreichs Shopper 2013 knapp sechs Milliarden Euro im Netz aus. In Deutschland werden bereits 16 Prozent der Umsätze online erwirtschaftet, Handelswissenschaftler rechnen auf beiden Seiten der Grenze künftig mit 25 bis 30 Prozent. Bereits heute gibt es Bereiche, in denen der Onlinehandel das stationäre Geschäft längst verdrängt hat. 85 Prozent des gesamten Umsatzvolumens im Ticketverkauf erfolgt beispielsweise digital. Dass Einzelhändler diese Entwicklung mit Sorge sehen und angesichts des boomenden Onlinehandels eher vor Wut denn vor Glück schreien, ist klar.

Ein nutzloser Protest

Im Hamburger Grindelviertel etwa hatten 60 Einzelhändler eine Woche lang die Schaufenster ihrer Geschäfte verhüllt, berichtete „Die Welt“. Motto: „So sieht es im Viertel aus, wenn alle nur noch im Internet kaufen.“ So zornig die Hamburger Händler auch sein mögen – der Protest wird nichts nützen. Laut dem Kölner Institut für Handelsforschung hat sich der Umsatz des Internethandels im Nachbarland in nur acht Jahren von acht auf fast 32 Milliarden Euro vervierfacht. Online boomt.

Trotzdem stimmt so manches Bedrohungsszenario nur bedingt. Wenn Händler etwa „Beratungsklau“ monieren, also den Umstand, dass Kunden sich vor Ort informieren, die Ware dann aber im Internet bestellen, dann mag das in einzelnen Fällen schon stimmen. Insgesamt aber ist der Trend der gegenläufige, wie Gebhard Sagmeister, Obmann der Sparte Handel, betont – und auf eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger verweist. Darin wurden 43.000 Personen zu ihren Einkaufsgewohnheiten befragt und 2000 Personen einen Monat lang bei ihren Einkaufstouren begleitet. Ergebnis: Es orientieren sich weit mehr Kunden zuerst im Internet und kaufen dann im stationären Handel als umgekehrt. Berger beziffert den so erzielten Umsatz mit 68 Milliarden Euro, während der Umsatz im umgekehrten Fall bei vergleichsweise mageren 6 Milliarden Euro liegt. Das hängt auch damit zusammen, dass das Geschäft vor Ort anderen Studien zufolge die beliebteste Einkaufsmöglichkeit ist – weder der Preiskampf im Internet noch die hohe Internetaffinität der jüngeren Generationen würden daran etwas ändern. Denn das Geschäft vor Ort kann dem Kunden persönlichen Kontakt, präzise Beratung und Serviceleistungen bieten. „Man muss dem Kunden aber auch den Mehrwert kommunizieren, wenn man vor Ort kauft“, sagt Spartengeschäftsführer Michael Tagwerker.

Die Händler vor Ort, und das nützt dem Kunden, müssen freilich auf den Preisdruck aus dem Internet reagieren. Sie sollen ihr Geschäft machen, keine Frage. Qualität hat ihren Preis. Und das ist auch gut so. Aber die Zeiten, in denen Händler für bestimmte Produkte teilweise überzogene Preise verlangen konnten – mangels Konkurrenz, im Wissen um ein sicheres Geschäft –, sind vorbei. Und eines ist klar, womit sich der Kreis schließt: Ein Händler kann die digitale Welt als Bedrohung oder als Chance sehen. „Wer nicht mitmacht, ist langfristig weg vom Fenster“, warnt Sagmeister. Zumindest eine eigene Homepage sollte da Standard sein: „Heutzutage sucht man im Internet nach Telefonnummer und Adresse, nicht mehr im Telefonbuch.“ Und wird ein potenzieller Kunde dort nicht fündig, tritt der wohl schlimmste Fall für jeden Händler ein: Er ist für den Kunden nicht existent. Wobei eine Homepage für Sagmeister persönlich nur die Minimalausrüstung ist: „Ohne einen Online-Shop steht der Kunde quasi vor verschlossenen Türen, wie am Sonntag, wenn die Läden geschlossen haben.“

Eine Hilfe zur Alternative

Wem aber das Geld zu einem guten Internetauftritt fehlt, dem kann laut Sagmeister geholfen werden: „Es gibt jede Menge Plattformen, die einem die Sache abnehmen und gegen eine Verkaufsprovision für alles zuständig sind.“ In eigenen Veranstaltungen zeigt die Sparte Handel in der Wirtschaftskammer den Händlern derzeit solche Alternativen auf.

Oliver Feldkircher, geschäftsführender Gesellschafter von smartsale 360, einem Tiroler Beratungs- und Serviceunternehmen im Bereich Onlinehandel, stellt klar: „Im Jahr 2014 gibt es keine Wahlmöglichkeit mehr. Ich habe mitzumachen, ohne Wenn und Aber.“ Erkannt haben das aber noch längst nicht alle: 40 Prozent aller österreichischen Händler haben nach wie vor keine eigene Homepage. Und die schreien in absehbarer Zeit wohl wirklich vor Wut.

Kommentare

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@ O.Feldkircher: man muss jedoch zwischen "einen online-shop haben" und "eine homepage haben" unterscheiden, ersteres setzt online Marketing know-how voraus; einfach die Produkte ins Netz zu stellen ist zuwenig.