Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Spielen Sie nicht das Spiel der Gegenseite“

Oktober 2014

Verhandlungsexperte Matthias Schranner (50), Buchautor und unter anderem auch als Berater für die UN tätig, im „Thema Vorarlberg“-Interview über die Kunst, Verhandlungen richtig zu führen. Schranner kann dabei auf entscheidende berufliche Erfahrungen zurückblicken: Er war lange Jahre Verhandlungsführer der deutschen Polizei bei Geiselnahmen. Seine Ansage: „Wer Emotion zeigt, verliert.“

Sie haben früher Verhandlungen geführt, bei denen es um Leben und Tod ging – Sie waren Verhandlungsführer der Polizei bei Geiselnahmen und Banküberfällen.

MATTHIAS SCHRANNER: Ich habe in diesen Jahren, zuerst als Undercover-Agent bei der Drogenfahndung und dann als Verhandlungsführer bei Geiselnahmen, Menschen oft in Extremsituationen erlebt. Geiselnehmer stellen eine große Gefahr für die Menschen dar, weil sie sich in einer für sie unbekannten Situation befinden und damit in einem hohen Stressbereich sind. Mit Appellen an die Vernunft kommt man da nicht weiter, Sätze wie „Beruhigen Sie sich doch“ bringen nichts, wenn man im Verhandlungskommando mit Geiselnehmern redet. In dieser Situation gibt es nur zwei Muster: Leute, die versuchen, den Konflikt zu vermeiden. Und Leute, die in den Konflikt hineingehen, die den Konflikt geradezu suchen.

Und wie laufen Verhandlungen mit Geiselnehmern dann ab – in aller Regel?

Zuerst hat man zu erkennen, dass das ein Konflikt mit einer Geiselnahme ist und dass man diesen Konflikt nicht vermeiden darf, sondern ihn vielmehr bewusst ansteuern muss. Man sagt dem Geiselnehmer: „Wir beide werden den Konflikt jetzt lösen.“ Und man fügt an, dass er sich nicht gleich entscheiden muss, sondern dass man zunächst fünf Minuten miteinander reden wird und er sich dann entscheiden kann. Damit sendet man dem Geiselnehmer zwei klare Botschaften: Ich bin auf Augenhöhe mit dir. Du brauchst dich aber nicht jetzt zu entscheiden. Damit deeskaliere ich die Situation, bleibe aber im Konflikt.

Muss man denn den Konflikt in solchen Situationen suchen?

Sobald ein Bankräuber oder ein Geiselnehmer merkt, dass sich ein Verhandlungsführer in einer schwachen Position befindet oder gar den Kopf in den Sand steckt, indem er die Situation herunterspielt und den Konflikt nicht wahrhaben will, wird er noch aggressiver. Diese Menschen empfinden dann auch Gefallen an dieser Aggressivität, genießen das förmlich, genießen diese Macht, die ihnen auf einmal zur Verfügung steht.

Gibt es Parallelen zu Verhandlungen in der Wirtschaft oder in der Politik?

Ja. Es gibt Topmanager, die in schwierigen Verhandlungssituationen versuchen, den Konflikt zu vermeiden, indem sie zu früh nachgeben und einen Kompromiss suchen. Es gibt Topmanager, die im Konflikt nach vorne gehen, Drohungen aussprechen, sich um Kopf und Kragen reden, Beziehungen zerstören. Beides sind sozusagen negative Idealtypen. Denn in schwierigen Situationen muss man ziel­orientiert und strategisch vorgehen, darf nie emotional oder intuitiv verhandeln.

Verliert prinzipiell der, der in Verhandlungen emotional wird?

Ja. Natürlich macht auch hier die Dosis das Gift. Aber sobald eine Verhandlung emotional wird, sobald ich Angst bekomme, weil mich mein Gegenüber einschüchtert, sobald ich mich ärgere oder meinetwegen jemanden toll finde, überdeckt die Emotion die Strategie. Dann verliere ich die Strategie. Und damit die Verhandlung.

Was unterscheidet einen guten von einem schlechten Verhandler?

Wer gut verhandeln will, muss Freude am Konflikt, sich aber selbst im Griff haben können. Ein guter Verhandler muss wissen, wo er hin will. Und er muss die sieben wichtigsten Taktiken in schwierigen Verhandlungen kennen:

1.    Legen Sie sich zu Beginn einer Verhandlung nicht fest, sagen Sie nicht Ja oder Nein.
2.    Bieten Sie keinen Kompromiss an, kämpfen Sie um ein Ergebnis in der Verhandlung.
3.    Geben Sie niemals nach, das wäre ein einseitiges Zugeständnis ohne Gegenleistung.
4.    Ignorieren Sie eine Drohung nicht. Minimieren Sie die Drohung, bleiben Sie aber im Verhandlungsmodus.
5.    In schwierigen Situationen sind Sie emotional betroffen, sehen eine unmittelbare Gefahr vor sich. Aber spielen Sie Ihr Spiel, nicht das der Gegenseite.
6.    Stellen Sie Forderungen, um Verhandlungsspielraum aufzubauen.
7.    Sorgen Sie für die notwendige Gesichtswahrung, etwa durch das Übergeben einer Feuerwehruniform. Potenzielle Selbstmörder stehen auf dem Dach eines hohen Gebäudes und deuten an, dass sie gleich springen werden. Verhandlungsführer der Polizei überreden den Selbstmörder zur Aufgabe seines Vorhabens und bieten ihm eine Feuerwehruniform an. Er kann als Feuerwehrmann verkleidet durch die Menschenmenge gehen, keiner erkennt ihn, und er kann die Situation unter Gesichtswahrung meistern.

In Ihrem aktuellen Buch „Faule Kompromisse“ schreiben Sie, dass ein Politiker Werte und Visionen haben müsse, um ein profes­sioneller Verhandlungsführer im Auftrag des Wählers sein zu können. Werte und Visionen? Sie setzen da aber viel voraus …

Das wäre auch das Idealbild (lacht). Man muss bei einem Politiker wissen, wo er hin will, was ihn antreibt, wofür er kämpft, warum er macht, was er macht. Durch Werte und Visionen wird ein Politiker für den Wähler berechenbar und somit auch wählbar. Meiner Meinung nach gibt es aber nur wenige Politiker, bei denen man erkennt, dass sie wirklich für etwas kämpfen. Man spürt nicht bei allzu vielen Politikern dieses Herzblut, diese Grundüberzeugung: „Ich mache das nicht für mich, ich mache das, weil ich etwas bewegen will oder weil ich etwas bewegen muss.“

Ihrer Ansicht nach hat der ideale Verhandlungsführer Erfahrungen in verschiedenen Wissensbereichen gesammelt und in unterschiedlichen Unternehmen gearbeitet. Ein Berufspolitiker kann diesen Ansprüchen also erst gar nicht gerecht werden?

Ein Berufspolitiker kann diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Ich glaube, dass man in der Wirtschaft gearbeitet haben muss, um die Wirtschaft zu verstehen, und aus meiner Sicht sollte ein Politiker deswegen mindestens einmal in der Wirtschaft Verantwortung getragen haben. Man kann es auch salopp sagen: Hat ein Unternehmer in verschiedenen Wirtschaftsgebieten gearbeitet, weiß er, wovon er redet, und hat deswegen eine höhere Absenderkompetenz. Das heißt, ich traue ihm als Verhandlungsgegenüber dann auch zu, dass er etwas kann.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass ein Wirtschaftsminister zwingend auch ein Wirtschaftsfachmann sein müsse und ein Justizminister Jurist, weil ein Minister ohne fachspezifische Kenntnisse von der Gegenseite erst gar nicht ernst genommen werde …

Man merkt das in Verhandlungen sehr schnell: Ist keine Grundakzeptanz da oder weiß jemand nicht, wovon er redet, wird er bei Verhandlungen auch nicht akzeptiert. Und dann werden die Verhandlungen auch nicht mehr mit diesem Menschen geführt, man sucht nach jemand anderem, der einen versteht, und verhandelt dann mit diesem Menschen weiter. Das sind die berühmten Seitenverhandlungen, in deren Rahmen in kleinen Gruppen oder unter vier Augen verhandelt wird – weil man mit dem eigentlichen Verhandlungspartner, dem das Grundverständnis fehlt, nicht mehr weiterkommt.

Folgendes dürfte für den professionellen Verhandlungsführer Matthias Schranner ein beruflicher Leckerbissen sein: Die Bundesregierung benötigte über 35 Verhandlungsrunden, um ein neues Lehrerdienstrecht zu beschließen, das am Schluss erst wieder keinen begeisterte …

Über 35 Verhandlungsrunden? Da wäre ich längst schon eingeschritten (lacht). Das dauert eindeutig zu lange, das versteht auch kein Bürger mehr, wenn Verhandlungen so lange dauern. Die waren offensichtlich schlecht vorbereitet. Man könnte das besser machen – mal vorsichtig formuliert …

In der Wirtschaft wird anders verhandelt als in der Politik.

Ja. Weil die unmittelbare Verantwortung eine andere ist. Wenn ich in der Wirtschaft mein Verhandlungsziel nicht erreiche, dann hat es unmittelbare Konsequenzen: Ich verliere den Kunden, ich verliere den Auftrag, den Mitarbeiter, den Profit. In der Wirtschaft habe ich unmittelbare Konsequenzen zu tragen. In der Politik ist das anders: Ich kann, nur um ein Beispiel zu nennen, den Berliner Flughafen an die Wand fahren und vier oder noch mehr Milliarden Euro an Steuergeldern verschwenden, bin aber nicht haftbar, werde nicht herangezogen, habe keine Konsequenzen zu tragen. Das ist ein entscheidender Unterschied. Wenn ich weiß, dass ich Konsequenzen zu tragen habe, falls ich mein Verhandlungsziel nicht erreiche, bereite ich mich auf die Verhandlungen anders vor. Ich sitze in einem solchen Fall mit mehr Überzeugungskraft am Verhandlungstisch und werde, falls es einen Konflikt gibt, auch um eine Lösung in meinem Sinn kämpfen. Ein Unternehmer hat auch immer die zeitliche Komponente zu berücksichtigen. Irgendwann muss ein Abschluss her, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt muss eine Entscheidung getroffen werden. In der Politik ist das anders. Diese 35 Verhandlungsrunden zeigen eindeutig, dass die Politik hier nicht gezwungen war zu kämpfen, und dass sie sich auf diese Verhandlungen nicht richtig vorbereitet hat. Motto: Vertagt man sich halt nochmals und geht dafür ins Landtmann, auf einen Kaffee.

Der Zugang ist auch insofern ein anderer, als ein Politiker ja nicht über sein eigenes Geld verhandelt.

Genau. Das ist die andere Komponente. Steuergelder werden hin und her geschoben, ohne direkte Konsequenzen. Gebe ich in Verhandlungen in der Wirtschaft plötzlich um eine Million Euro nach oder auch nur um 100.000 Euro, dann hat das für mich Konsequenzen. Nur in der Politik spielt das keine Rolle.

Apropos Geld, abschließende Frage: Wie muss denn ein Mitarbeiter mit dem Chef verhandeln, um eine Gehaltserhöhung zu bekommen?

Ein Mitarbeiter muss in einem solchen Gespräch sagen, was er will, darf aber nicht nur ein Element, beispielsweise eine zehnprozentige Gehaltserhöhung, fordern. Er muss mit mehr Forderungen einsteigen, um seine Verhandlungsbereitschaft zu signalisieren. Die Forderung nach mehr Geld, mehr Verantwortung oder mehr Fortbildung richtet sich auf die Zukunft. Wer für die Zukunft mehr haben möchte, muss in der Zukunft bereit sein, mehr zu leisten. Argumente der Vergangenheit wie „Ich habe einen super Job gemacht“ sind hier fehl am Platz.

Vielen Dank für das Gespräch!

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