Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Uns ist längst klar, dass nichts bleibt, wie es war“

Mai 2019

Die Berliner Innovationsagentur „Dark Horse“, von 30 jungen Akademikern gemeinsam gegründet, hat die Besonderheiten, keine Hierarchie zu haben und auch sonst sehr vieles anders zu machen. Dabei ist „Dark Horse“ höchst erfolgreich, Welt-Konzerne zählen zu ihren Kunden. Auf den Tagen der Utopie, in St. Arbogast, sind am 6. Mai Vertreter der Agentur zu Gast. Im Interview erklärt einer der Co-Gründer, Ludwig Kannicht (36), warum in Widersprüchen sehr oft Innovationsmöglichkeiten schlummern – und mit welchem Selbstverständnis eine junge selbstbewusste Generation die sich wandelnde Welt betrachtet.

„Uns ist längst klar, dass nichts bleibt, wie es war“, heißt es in einem eurer Bücher – ist das die Erkenntnis der heutigen Zeit?

Den Wandel gab es immer schon. Aber er ist heute noch viel schneller, viel stärker geworden im Vergleich zu früheren Zeiten. Ich habe vor kurzem mit einem Bekannten diskutiert, er hat sich versprochen und gesagt: „Mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit“.  Da haben wir beide gelacht und gesagt, dass das durchaus ein treffender Ausdruck ist. Was ist schon sicher in der heutigen Zeit? Man kann’s nicht sagen. Es gibt viel Wandel, viel Unschärfe, viel Unwissen. Es ist eben nur klar, dass nichts bleibt, wie es war.

Eure Firma hat generell etwas andere Vorstellungen vom Leben und von der Arbeit …

Wir haben einen anderen Entwurf. Wobei ich sagen möchte, dass mich das Andere nicht stört. Das wäre viel zu wertend. Ich habe hohe Wertschätzung für das, was mühsam erkämpft wurde mit einer Balance aus Betriebsräten, Unternehmertum und Arbeitszeitregelungen. Nur: Es ist ein starres System. Und das hätte für uns nicht gepasst. Den Satz: „So wie’s ist, so muss es sein“, den haben wir nicht akzeptiert. Wir hatten Lust, eine Alternative zu suchen. 

Und ihr habt sie auch gefunden. Ihr habt zu dreißigst ein gemeinsames Unternehmen gegründet, das erinnert doch irgendwie an eine 68er Kommune …

Die 68er waren sehr viel politischer, sie hatten den Anspruch, einen gesellschaftlichen Gegenentwurf zu schaffen, sie wollten die Welt verändern. Solche Ambitionen haben wir nicht. Natürlich nicht. Wir machen das, was wir machen, für uns selber. Natürlich freut man sich, wenn es Interesse an unserem Modell gibt, aber das ist es dann auch. Wir wurden mal als Kommerz-Kommune bezeichnet, aber ich fand das eigentlich ganz treffend. Wir wollen gute Arbeit machen und arbeiten dabei nach unseren Vorstellungen. Wir haben die Sache selber in die Hand genommen und uns eine Firma und einen Beruf nach unseren Vorstellungen geschaffen. Aber eines ist mir sehr wichtig: Wir nehmen nicht in Anspruch, die ultimative Weisheit zu verkünden. Dann würde es mich auch gar nicht interessieren. Wir sind nur ein Experiment.

Ihr sprecht im Buch „Thank God, it’s Monday“ immer wieder von der Generation Y. Ist das der Unterschied zu älteren Generationen, dass die Jüngeren nicht mehr warten, sondern selber gestalten wollen?

Ich sehe das nicht als Generationenfrage. Ob man die Sachen nun selbst in die Hand nimmt oder nicht, das lässt sich an keinem Geburtsdatum festmachen. In unserem Fall war es einfach eine glückliche Zeit, in der die Umstände für uns gepasst haben. 

Kurt Cobain sang in „Smells like Teen Spirit“, der Hymne der Generation X: „Here we are now, entertain us.“ Was wäre denn die Hymne der Generation Y?

Vielleicht hat die gar keine solche Hymne. So etwas wie Nirvana, die einer ganzen Generation das Leitbild waren, gibt es heute nicht mehr. Es ist alles kleiner aufgeteilt. Es gibt heute mehrere kleinere Subkulturen. Vielleicht ist das der Unterschied und auch die Antwort auf Ihre Frage. Wenn man die Generationen überhaupt vergleichen will, dann ließe sich vielleicht sagen, dass die Generation X mehr Mainstream war, während heute eher typisch ist, dass sich jeder eine eigene Interpretation, seinen eigenen Weg sucht. Wir haben übrigens ein Motto in unserer Firma: „Ohne Gefährten ist kein Glück erfreulich.“ Das mag keine Hymne für eine Generation sein, aber das gilt für mich und mein Umfeld.

Der Wandel gibt mir Freiheit, die Sachen im eigenen Interesse auch ändern zu können.

Es zählt die Individualität und trotzdem wird das Kollektiv gesucht? Ein Widerspruch!

Spannende Frage! (längere Nachdenkpause) Ich verorte mich einfach in einer kleineren Struktur und das mag auch wieder mit dieser Komplexität zu tun haben. Die Welt ist so leicht erreichbar und auch so groß geworden, da sucht man sich Gleichgesinnte, um sich im kleinen, lokaleren Kollektiv Identität zu geben. Man sucht sich keinen Rückhalt mehr in einer großen Bewegung, man sucht sich die kleine Zelle, die zu seiner Individualität passt.

Im Wandel groß geworden, seien die „Megatrends Globalisierung und Digitalisierung für uns nicht bedrohlich“, auch das steht in eurem Buch. Blicken da also ältere Generationen mit zu viel Sorge in die Zukunft?

Da fehlt ja noch ein neuer Mega­trend, der sich mittlerweile etabliert hat, der Klimawandel und da schaut ja auch die junge Generation mit viel Sorge darauf. Aber, ach, ich finde Sorge an sich ja etwas Positives. Weil ich den Willen, selbst mitzugestalten, dagegenhalten kann. Und ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen nicht mit zu viel Pessimismus in die Zukunft blicken, sondern den Willen aufbringen, die Zukunft sorgsam zu gestalten. 

Der Satz „Nicht Stabilität, sondern Wandel gibt uns heute Sicherheit“ erschreckt trotzdem …

Ist das so? 

Ältere Leute auf jeden Fall.

Interessant. Das ist bei mir nicht so. Und das kommt aus der Erkenntnis, dass Wandel ständig passiert und es da die beste Strategie ist, wandlungsfähig zu sein. Es ist aber auch die Erfahrung, die mich da positiv stimmt: Wir haben in unserer Firma sehr viel Wandel erlebt. Und es war stets eine positive Erfahrung, zu wissen, dass man im Wandel Nicht-Passendes passend machen kann. Also macht mir Wandel keine Angst. Er gibt mir vielmehr Lust, er gibt mir Freiheit, die Sachen im eigenen Interesse auch ändern zu können. Allein die Aussicht, 30 Jahre lang im gleichen Büro zu sitzen und 30 Jahre denselben Beruf zu machen, das wäre für mich sehr bedrohlich. Zu erkennen, dass ich etwas machen muss, was ich nicht machen will, aber keine Chance zu haben, daran etwas ändern zu können, das wäre schrecklich.

Wobei der lebenslange, sichere Job dem Ideal älterer Generationen entsprach.

Es war eine andere Zeit. Man konnte sich seinen Platz suchen und wusste auch, wenn das heute für mich passt, dann wird das auch in 30 Jahren noch für mich passen. Das mag für viele ja nach wie vor gut sein. Nur eben für mich ist das nichts. Mag ich nicht, brauche ich nicht, will ich nicht. Ich ändere mich ja auch.

Ihr sprecht viel von den Gegensätzen Freitagswelt und Montagswelt. Was ist das eine, was das andere?

Die Freitagswelt, das sind in unserem Verständnis all die Jobs, bei denen sich die Menschen die ganze Woche nur darauf freuen, dass das Wochenende kommt, damit sie endlich ihrem Privatleben nachgehen können. Auf das Wochenende warten, das ist überspitzt gesagt, die Freitagswelt. Wir praktizieren den Gegenentwurf, die Montagswelt. In dieser Montagswelt sind die Übergänge zwischen der Privatwelt und der Arbeitswelt oft fließend. Da geht das, was mich beruflich interessiert und was ich privat mache, oft Hand in Hand. 

In Widersprüchen schlummern sehr oft auch Innovationsmöglichkeiten.

Jetzt kommt die ökonomische Gretchenfrage: Womit verdient ihr denn eigentlich euer Geld?

(lacht) Wir verdienen unser Geld letztendlich mit dem Thema Transformation. Wir begleiten andere Unternehmer durch ihren Wandel und in ihrem speziellen Kontext. Wir entwickeln für Organisationen neue Produkte und Services, die sowohl in deren Kompetenz und Strategie als auch zu dieser sich wandelnden Welt passen. Wir erhöhen und verstärken die Adaptions- und Anpassungsfähigkeit von Unternehmen und Organisationen an die neuen Gegebenheiten.

Das war recht abstrakt. Können Sie konkrete Beispiel nennen? Immerhin zählen ja Mercedes, die Lufthansa, SAP, Bayer und andere Konzerne zu euren Kunden …

Die Aufträge und Anliegen sind äußerst vielfältig und unterschiedlich. Es geht aber immer um Wandel, es geht immer um Transformation. Entscheidungsträger kommen zu uns mit der Erkenntnis, dass die neue Welt einfach anders funktioniert, und mit dem Auftrag, ihr Unternehmen daran anzupassen. Beispiele? Die Deutsche Bahn hat uns damit beauftragt, ihren „Verloren-und-Gefunden-Prozess“ im digitalen Zeitalter neu aufzusetzen. Eine große Organisation in der Versicherungsbranche trat an uns heran, mit der Frage, wie sie sich neu aufstellen müsse, um in dieser Welt im Wandel mit ihren Produkten und Services bestehen zu können. Die Lufthansa-Technik beauftragte uns damit, ihr neues Firmengebäude so zu gestalten, dass darin eine ideale Arbeitsweise möglich wird. Einen anderen Auftrag bekamen wir vom CEO eines großen Unternehmens, der perplex registriert hatte, dass seine Tochter per Kurznachricht mit ihrem Freund Schluss gemacht hatte und daraus abgeleitet hat, dass sein Unternehmen sich offenbar doch noch nicht so ganz auf die neue Welt eingestellt hatte.

Dark Horse ist hierarchiefrei und trotzdem ergebnisorientiert. Kaum zu glauben …

Das konnte ich selbst kaum glauben! Ich habe eigentlich immer zu denen gehört, die dem kritisch gegenüberstanden, aber ich habe gelernt zu akzeptieren, dass ohne Hierarchie einige Sachen in der Tat besser funktionieren, als ursprünglich angenommen. Wir haben bis heute keine formale Hierarchie, wir sind weit weg von einer klassischen disziplinarischen Führung, in der eine Person alleine entscheidet, was falsch und was richtig ist. Wir machen das an Themen fest, nicht an Personen. Im Übrigen: Wenn wir von einer Welt ausgehen, die komplex ist und immer komplexer wird, kann eine Sache doch viel vollständiger und korrekter entschieden werden, wenn viele Menschen mit unterschiedlichen Standpunkten involviert sind. Es gibt bei uns natürlich die Möglichkeit des Widerspruchs. Nur muss der, der einer Entscheidung widerspricht, sich auch erklären. Er muss seine Argumente darlegen, er muss einen neuen Entwurf ausarbeiten. Wer widerspricht, kommt bei uns in Verantwortung. Nur nein zu sagen, das ist zu wenig. Und soll ich Ihnen etwas sagen? Wir kommen damit sehr schnell zu Entscheidungen, die von allen in unserem Unternehmen getragen werden. Man übersieht das im Übrigen in der Freitagswelt, aber eines haben wir durch unsere Arbeit ganz genau erkannt: In Widersprüchen schlummern sehr oft auch Innovationsmöglichkeiten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person Ludwig Kannicht 

Co-Gründer von „Dark Horse“, arbeitet dort zu strategischen Themen und entwickelt Ausbildungsformate. Engagiert in der Schmid-Stiftung, um Non-Profits professionell zu beraten. Dipl. Psychologe. Lebt mit seiner Familie in Berlin. Und vermisst die Berge. 

www.thedarkhorse.de

 

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.