Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Von der Zukunft von Berufen – und zuversichtlichen Experten

Januar 2020

Wohin steuert die Berufswelt? In „Thema Vorarlberg“ relativieren Experten medial verbreitete Schreckens­szenarien, sprechen über den tatsächlichen Bedarf der Wirtschaft – und nennen zukunftssichere Berufe.

Es gibt wohl kaum eine Studie, die das öffentliche Bild von dem, was da auf die Berufswelt zukommt, so geprägt hat, wie jene von Frey und Osborne. 2013 veröffentlicht und seither hunderte Male zitiert, prognostizierte diese Studie, dass im Zeitraum zwischen zehn und zwanzig Jahren 47 Prozent aller Jobs der Digitalisierung zum Opfer fallen werden. Und wer Interesse an beruflichen Untergangsszenarien hat, der kann sich auch an den sogenannten Job-Futuromat halten, der nach Eingabe eines Berufes dessen Automatisierbarkeit ausgibt. Das Internettool, verantwortet vom Deutschen Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, sagt vielen Berufen eine düstere Zukunft vorher.
Doch zunehmend mehr Experten relativieren diese Schreckensszenarien. So heißt es etwa in einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft, dass derlei Vorhersagen vor allem eines seien: „Zu pauschal.“ Denn zu den aktuellen Entwicklungen passe das Prophezeite nicht. Ganz im Gegenteil. „In vielen Berufen mit angeblich hoher Automatisierbarkeit suchen die Unternehmen händeringend menschliche Arbeitskräfte, mit denen sie den digitalen Wandel erfolgreich gestalten wollen.“ Je mehr also medial drastische Folgen des Wandels geschildert und Ängste geschürt werden, desto mehr fehlen jene Arbeitskräfte, die diesen Wandel erst ermöglichen – eine bizarre Entwicklung.

„Maß und Mitte“

Volkswirtschaftler Alexander Burstedde ist Autor dieser Studie. Und sagt im Gespräch mit „Thema Vorarlberg“: „Wir wollen ein bisschen Maß und Mitte in diese Diskussion bringen. Auf dem Arbeitsmarkt werden viele Berufe, die in der medialen Diskussion schon als abgeschrieben gelten, ganz im Gegenteil von den Unternehmen stark nachgefragt.“ Der Volkswirt nennt da beispielsweise den Mechatroniker, einen Beruf, den es laut Futuromat nicht mehr brauche: „Dabei ist das Gegenteil der Fall: Unternehmen schreiben sehr viele Stellen für Mechatroniker aus, die Beschäftigung steigt, und es wird deutlich mehr ausgebildet. Es gibt keine Industrie 4.0 ohne den Mechatroniker.“ Thomas Mayr vom Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft legt da nach. „Hätten Frey-Osborne mit ihrer Prognose Recht gehabt“, sagt Mayr, „dann müssten bereits erste Folgen zu sehen und Jobs verschwunden sein“. Aber: Allen düsteren Voraussagen zum Trotz herrscht Rekordbeschäftigung. 2019 sind in Deutschland so viele Menschen einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Auch Österreich hatte im Vorjahr Rekordbeschäftigung. 
Das Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft hat auf Prognosen verzichtet, und – beispielsweise – in einem Projekt für das AMS-Österreich einen pragmatischeren Weg gewählt. Laut Mayr habe man mit 125 Unternehmen in Österreich Interviews geführt, die in ihrer jeweiligen Branche zu den Pionieren zählen, etwa weil sie die neuesten Technologien einsetzen. „Dabei gehen wir von der Annahme aus, dass die Gegenwart dieser Unternehmen die Zukunft aller anderen Unternehmen und den dort Beschäftigten sein wird.“ Daraus lassen sich konkrete, realistische Maßnahmen ableiten, sagt Mayr. Die Gegenwart der Besten ist die Zukunft der anderen – ein interessanter Aspekt.

Herausforderungen

Und doch wird sich vieles ändern, keine Frage. Aber nicht, wie von Frey und Osborne prognostiziert. Vielmehr sagen Wissenschaftler, dass sich die Berufe in sich selbst verändern und damit auch Tätigkeiten innerhalb der einzelnen Berufe anspruchsvoller werden, mit beispielsweise einem steigenden IT-Anteil. Mayr rechnet „mit einer Evolution, weniger mit einer Revolution der Berufswelt: Es wird auch in Zukunft Maurer, Dachdecker und Installateure geben – nur um Beispiele zu nennen –, aber die Anforderungen in diesen Berufen werden ganz andere sein.“ Wer sich im Detail mit einzelnen Berufen beschäftige, stelle fest, dass sich die Berufe weiterentwickeln, schließt Burstedde an: „In welchem Beruf macht man denn nach 30 Jahren noch das Gleiche wie am Anfang?“
Ein Automechaniker, der vor Jahrzehnten maßgeblich mit dem Schraubenschlüssel werkte, hantiert heute wie selbstverständlich mit dem Laptop. Auch BIFO-Geschäftsführer Andreas Pichler erklärt, dass sich der Wandel abseits aller Slogans in den Berufen selbst vollziehe: „Das ist nicht nur mediales Getöse, es ändern sich in der Tat die Grundlagen vieler Lehrberufe hin zum Digitalen.“ Technik, Naturwissenschaft und Kommunikations- und Computerwissenschaft vernetzen sich immer mehr, doch auch traditionelle Lehrberufe hätten immer stärker mit Elektronischem und Digitalem zu tun. Und da soll an dieser Stelle auch Hanno Lorenz, Volkswirt bei der Agenda Austria, zitiert sein: „Veränderungen sind nichts Neues, sie begleiten uns Menschen, seit es den technologischen Fortschritt gibt. Die Historie lehrt uns, dass heute nicht weniger Menschen als früher beschäftigt sind, sondern ein Vielfaches mehr.“ Burstedde sagt da auch: „Technologischer Fortschritt und lebenslanges Lernen sind ganz normal.“

Was automatisiert wird

Und doch bleiben Sorgen. Sorgen, ob der gewählte oder der gewünschte Beruf in Zukunft nicht vielleicht doch technisch obsolet wird. „Wer sich da Gedanken macht“, sagt Burstedde, „sollte sich fragen, in welchem Maße sich seine tagtäglich ausgeübten Tätigkeiten stark wiederholen. Wenn man jeden Handgriff seiner Tätigkeiten sehr exakt beschreiben kann, lässt sich die Sache gut automatisieren.“ Müsse man dagegen viele Entscheidungen unter wechselnden Voraussetzungen treffen, oder Handbewegungen setzen, die immer wieder anders sind, wie zum Beispiel bei einem Schweißer, dann sei die Gefahr nicht allzu groß, dass in allzu naher Zukunft automatisiert wird: „Schweiß-Roboter können nur vordefinierte Schweißnähte ziehen.“ 
Auch Hanno Lorenz sagt, dass vom Wandel, sprich von der Digitalisierung, jene Berufe stark betroffen seien, deren Tätigkeiten oft klaren Mustern folgen: „Solche Arbeit kann der Computer deutlich schneller und auch verlässlicher als der Mensch verrichten.“ Auswertungen der Agenda Austria zeigen, dass vor allem Bürojobs von der Digitalisierung betroffen sein werden: „Jobs, die einen großen Anteil an Routinetätigkeiten am Computer mit sich bringen, werden sich in Zukunft besonders stark verändern.“ Aber auch das ist nichts Neues. Routineanteile in den Berufen gehen laut Burstedde schon seit 20 Jahren sukzessive zurück. „Wir haben es über Jahrhunderte hinweg geschafft, immer wieder neue Technologien zu entwickeln, die uns helfen, Arbeit zu bewältigen. Lästige, sich wiederholende Arbeit, entfällt zunehmend dank Technik.“ Und übrigbleiben, innerhalb der sich verändernden Berufe, interessantere Tätigkeiten: „In deutlich mehr Berufen wird man am Ende des Tages das Gefühl haben, dass man etwas Interessantes gemacht hat.“ 

Was also bleibt?

Und trotzdem bleibt die Frage, ob es Berufe gibt, die, Stand heute, nicht doch massiv bedroht sind. Er habe eben erst nachgesehen, in welchen Berufen sich in Deutschland die Fachkräftesituation in den vergangenen Jahren entspannt habe, antwortet Volkswirtschaftler Burstedde: „Ich habe fast nichts gefunden.“ Im Umkehrschluss aber lasse sich folgendes feststellen: „Alle Berufe mit einem Informatikanteil, also auch Mechatroniker, Wirtschaftsinformatiker oder Elektroingenieure, sind recht zukunftssicher.“ Warum? „Man wird ja nicht nur die reinen Informatiker brauchen, sondern auch jene Berufe, welche die Software und die Welt da draußen zusammenbringen können.“ Und zukunftssicher seien auch jene Berufe, die auf menschliche Interaktion ausgerichtet sind, etwa in der Pflege oder in der Gastronomie: „Wir wollen menschliche Interaktion und nicht nur mit Robotern sprechen und von ihnen gepflegt werden. Im Übrigen sind viele Jobs auch sicher, wenn man sich die Altersstrukturen in Europa ansieht.“ Man müsse sich von dem Gedanken loseisen, mit der Technik in Konkurrenz zu treten, argumentiert Lorenz: „Diesen Wettlauf wird der Mensch nicht gewinnen können. Wir müssen uns darauf konzentrieren, die Maschinen und deren Fähigkeiten effektiv für uns zu nutzen und deren Stärken zu ergänzen. Es braucht die menschlichen Fähigkeiten, um auf neue Ideen zu kommen, wie die Maschine noch besser eingesetzt werden kann.“ 

Was zu stärken ist

Eine gute Maßnahme ist da laut Pichler übrigens die Stärkung der Mint-Kenntnisse Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, „weil dort vielfach der Schlüssel für viele dieser Entwicklungen enthalten ist.“ Und doch ist das Technisch-Analytische nur die eine Seite, sagt Pichler. Die Welt werde nicht nur komplexer, sie werde auch unvorhersehbarer, der Arbeitsmarkt genauso, und deswegen seien Fähigkeiten wie Flexibilität, Improvisationstalent und Kreativität gefordert. „Kreativität ist nicht nur in Bezug auf kreative Berufe gemeint“, ergänzt der Geschäftsführer, „es wird immer wichtiger, Kreativität in der Lösungsfindung zu zeigen, und das in ganz klassischen Berufen.“

 

Die Demografie wird zunächst mehr Wandel bringen als die Digitalisierung.

Alexander Burstedde
Institut der deutschen Wirtschaft

 

Eine Frage der Bildung

Apropos. Mayr geht davon aus, dass es in zehn Jahren Berufe geben wird, etwa für hochspezialisierte Experten, von denen wir heute noch nichts wissen. Diese hochspezialisierten Qualifikationen würden aber auch in Zukunft durch Top-Ausbildungen an Universitäten und Fachhochschulen abgedeckt sein. Die primäre bildungspolitische Herausforderung ist laut Mayr eine andere: „Sie betrifft den Umstand, dass Hunderttausende in Österreich, die heute in Berufen auf mittlerem Qualifikationsniveau arbeiten, ebenfalls von Veränderungen tangiert werden. Die primäre bildungspolitische Aufgabe liegt darin, diese Menschen, die großteils bereits im Erwerbsleben stehen, fit zu machen für die veränderten und die sich verändernden Berufe.“ Obwohl laufend von Höherqualifikation und von Digitalisierung die Rede sei und man deshalb annehmen könne, dass es einen Mangel an Hochschulabsolventen gibt, zeige sich in den quantitativen Erhebungen ein anderes Bild: „Unternehmen haben die größten Schwierigkeiten, offene Stellen im Bereich der mittleren Qualifikationsebene zu besetzen, besonders gefragt ist der Lehrabschluss. Der Fachkräftemangel in Österreich ist tatsächlich ein Mangel auf der mittleren Qualifikationsebene.“ 

 

Und die Zukunft

Aber ein Fazit? Wie könnte das lauten? Hanno Lorenz sagt: „Viel zu oft wird die Digitalisierung als Bedrohung wahrgenommen. Die Politik verschwendet viel Zeit, um darüber zu diskutieren, wie unsere Welt ohne menschliche Arbeit aussehen könnte oder wie wir unser Sozialsystem aufrechterhalten können. Wichtiger wäre es, sich darüber Gedanken zu machen, was es braucht, um den Wandel bestmöglich für Österreich mitzugestalten. Wie wir mit Innovation nicht nur den hohen Wohlstand halten, sondern ihn auch in Zukunft ausbauen können.“
Burstedde sagt: „Ich mache mir keine Sorgen, dass wir keine Jobs mehr haben werden, ich mache mir eher Sorgen, dass wir in zehn Jahren einen noch größeren Fachkräftemangel haben werden, weil es immer weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter gibt. Die Demografie wird zunächst mehr Wandel bringen als die Digitalisierung.“ Denn aus demografischen Gründen verliere der Arbeitsmarkt so viele Menschen, dass der berufliche Wandel da kaum hinterherkommt – es gehen beispielsweise die Berufskraftfahrer schneller in Rente, als die Lastwagen alleine fahren werden. Und da schließt sich wieder der Kreis, zwischen medial verbreiteten Schreckensszenarien – und dem tatsächlichen Bedarf der Wirtschaft.

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