Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Von Nachhaltigkeit, Wirtschaft und Bewusstsein

Juni 2023

Ein Blick auf Vorarlberger Unternehmen: Von Initiativen und Potenzialen.

 

Veränderung, die nicht das Bewusstsein verändert, ist nicht wirklich Veränderung“: Unter anderem mit diesem Satz hatte der renommierte deutsche Transformations- und Innovationsforscher Otto Scharmer vor Kurzem in Götzis, im Rahmen der „Tage der Utopie“, erklärt, dass Transformation und Innovation im Klima- und Umweltbereich nur mit einer entsprechenden inneren Haltung, geprägt von Offenheit und Empathievermögen, gelingen könne. Scharmer sagte auch: „Du kannst das Bewusstsein nicht transformieren, wenn du nicht Bedingungen und Räume schaffst, in denen das System sich selbst sieht.“ Und: Neue, positive Zukunftsbilder müssten generiert werden. 

Zunehmende Entkoppelung
Positive Zukunftsbilder? Da passt dazu, dass Wirtschaftslandesrat Marco Tittler jüngst auf die zunehmende Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch in Vorarlberg hingewiesen hatte. „Die Vorarlberger Wirtschaft“, berichtete der Landesrat, „produziert heute trotz Inflation um mehr ein Drittel effizienter als noch im Jahr 2005.“ Demnach hat die Energieintensität der hiesigen Wirtschaft, ausgedrückt im Verhältnis von Energieverbrauch zu Bruttoregionalprodukt, von rund 800 kWh pro 1000 Euro auf rund 500 kWh abgenommen, um insgesamt 38 Prozent. Allein 2022 sparte die produzierende Vorarlberger Wirtschaft rund zehn Prozent des Gasverbrauchs ein – bei guter Wirtschaftsentwicklung. Und der Anteil erneuerbarer Energieträger im Sektor Industrie beträgt mittlerweile rund 46 Prozent. „An den Umweltthemen“, sagt Bianca van Dellen, „kommt die Wirtschaft gar nicht vorbei. Sie will es auch gar nicht.“ 
Sebastian Gann, Sustainability Director bei der Zumtobel Group, verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass Kapital immer stärker an Nachhaltigkeitskriterien gebunden sei, im Rahmen neuer Verpflichtungen und Verordnungen, wie etwa der EU-Taxonomie oder des European Green Deals: „Ökonomische Aspekte und Aspekte der Nachhaltigkeit wachsen immer weiter zusammen.“ Doch sind es nicht nur die gesetzlichen Regelungen, die zu unternehmerischem Agieren in den relevanten Umweltbereichen führen, sagt van Dellen, die Wirtschaftspolitik-Leiterin in der Wirtschaftskammer Vorarlberg: „Unsere Wirtschaft sieht sehr stark das Potenzial, mit Innovationsführerschaft auf internationalen Märkten reüssieren zu können. Das Interesse der Wirtschaft, das Thema aus der Potenzialperspektive zu betrachten und nicht nur das Pflichtenheft zu erfüllen, ist bereits sehr groß – und es nimmt weiter zu.“ 

Historischer Höchststand
Beleg für das Gesagte ist die Ökoprofit-Zertifizierung. Dort wurden heuer erstmals über 200 Betriebe zertifiziert, insgesamt 207 Unternehmen, die ihrerseits über 30.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigen. „Es ist ein historischer Höchststand, es zeigt den Stellenwert des Themas“, sagte Landesrat Tittler. Von der Stadt Graz Anfang der 1990er-Jahre entwickelt, wird das „ökologische Projekt für integrierte Umwelt-Technik“ – kurz: Ökoprofit – heute in mehreren Staaten in- und außerhalb Europas praktiziert. In Vorarlberg kommt das System seit 1996 zum Einsatz, es ist heute das am weitesten verbreitete Umweltmanagement-System in unserem Bundesland. Ökoprofit unterstützt Betriebe dabei, ihren Ressourcen-einsatz zu optimieren, damit Kosten zu senken und ihre Umwelt- und Klimaperformance kontinuierlich zu verbessern.
Ressourcen sparen, Umwelt schützen, Geld verdienen, so ließe sich die Sache auch zusammenfassen. Auf der Homepage des erneut zertifizierten Unternehmens Hilti & Jehle ist – beispielsweise – von „25 Jahren Vorteilen für Umwelt, Klima und Wirtschaft“ zu lesen, von Maßnahmen zur Schonung der Umwelt bei gleichzeitigen Kosteneinsparungen: „Ein Gewinn für unser Unternehmen und unsere Umwelt.“ Es gibt viele weitere Beispiele, in denen sich Vorarlberger Unternehmen ähnlich enthusiastisch äußern. Ist das bereits Veränderung in Otto Scharmers Sinn?

„Der Schalter ist umgelegt“
Verena Lässer-Kemple, Ökoprofit-Koordinatorin im Amt der Landesregierung, ist von der Dimension der unternehmerischen Aktivitäten jedenfalls beeindruckt: „Von den immensen Investitionen in erneuerbare Energieträger und Elektrofuhrparks, von der Tatsache, wie viel Energie allein durch organisatorische Maßnahmen eingespart wurde – und von der steigenden Anzahl an nachhaltigen Produkten und Materialien.“
Das Bewusstsein, sagt Lässer-Kemple, sei ein anderes geworden: „Der Schalter ist umgelegt. Die Frage ist nicht mehr, ob man Maßnahmen gegen den Klimawandel und gegen die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern setzt, sondern nur noch, wie man das tut. Das Bewusstsein für den eigenen CO2-Fußabdruck ist immens gestiegen.“ Und auf noch etwas weist die Ökoprofit-Koordinatorin hin: Auf einen deutlichen Zuwachs von Photovoltaikanlagen und an anderen erneuerbaren Energieträgern infolge der gegenwärtigen globalen Krisen. „Das Bestreben nach Energie-Unabhängigkeit“, sagt Lässer-Kemple, „ist markant, ist nahezu bei jedem Unternehmen in Vorarlberg mittlerweile deutlich sichtbar. Es leitet jetzt der Wunsch nach Autarkie, der Gedanke der Selbstversorgung.“ Noch gebe es viel Potenzial: „Aber schlussendlich wird Vorarlberg in ganz vielen Bereichen ‚elektrisch‘ sein.“

Große Ambitionen
Ökoprofit ist dabei nur ein Beispiel. Zu erwähnen ist auch das von mehreren Protagonisten getragene Innovationsnetzwerk „Circular Economy Vorarl-berg“, das hiesige Unternehmen in den relevanten Bereichen unterstützt und zur „Bewusstseinsbildung für eine nachhaltige und zirkuläre Wirtschaft“ beitragen will. Zu erwähnen sind auch Unternehmen wie Wolford oder Mary Rose, die sich nach den strengen Richtlinien von Michael Braungarts Cradle-to-Cradle- Prinzip ausrichten – und zu erwähnen ist auch der Verein „TUN“, der die Ziele des Green Deals in Vorarlberg bereits bis 2030 umsetzen und unser Land damit zu einer Modellregion machen will. Getragen wird „TUN“ von über 20 renommierten Vorarlberger Unternehmen, die in Summe 19.000 Mitarbeiter beschäftigen. Die Liste der Mitglieder liest sich dabei wie ein „Who-is-Who“ des Wirtschaftsstandorts: Alpla, Blum, Gebrüder Weiss, Getzner, Haberkorn, IMA Schelling, Pfanner, Rauch, Rhomberg, Rondo Ganahl, Sutterlüty und andere sind da mit dabei. Man will die Klimaneutralität am Standort bereits bis 2030. „Es braucht den Schulterschluss“, sagt van Dellen, „dann sind durchaus auch ambitionierte Ziele erreichbar.“

Großes Potenzial
Dass sich viele Vorarlberger Unternehmen längst schon intensiv engagieren, das sagt auch Jimmy Heinzl. Dem Geschäftsführer der Wirtschaftsstandort-Gesellschaft zufolge achten hiesige Unternehmen zum einen bei ihren Gebäuden und in ihren Produktionsbereichen immer stärker darauf, dass energieeffizient gewirtschaftet wird. Und zum anderen gebe es „in Vorarlberg bereits sehr viele Unternehmen, die mit ihren Produkten Akzente setzen und damit auf internationalen Märkten großes Potenzial haben.“ Ein Beispiel? Heinzl verweist auf Zumtobel, „das Unternehmen, das mit energieeffizienter Beleuchtung einer der ganz großen Player weltweit ist.“ Die Zumtobel Group teilte erst dieser Tage mit, der „Science Based Targets initiative“ beigetreten zu sein. Gemeinsam mit über 4000 Unternehmen weltweit will diese Initiative auf wissenschaftlicher Basis dazu beitragen, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Mit diesem Beitritt bekenne man sich dazu, „CO2-Emmissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Einklang mit wissenschaftlich fundierten Net-Zero-Zielvorgaben zu reduzieren“. Sebastian Gann sagt, dass sich der Konzern durchaus als Vorbild verstehe: „Wir wollen nicht nur auf neue Marktanforderungen reagieren, sondern sie sogar aktiv mitgestalten. Wir bereiten uns auf das, was in den nächsten Jahren zur Pflicht werden soll, jetzt schon vor.“ Und vor allem wolle man „unseren Kunden dabei helfen, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, dazu kann man mit der richtigen Beleuchtung einen wertvollen Beitrag leisten.“ 
Ist umweltbewusstes Wirtschaften ein Wettbewerbsfaktor, ein Geschäftsfaktor, angesichts immer sensiblerer Kunden? „Definitiv. Kunden haben selbst Nachhaltigkeitsziele, die entsprechende Lösungen erfordern. Dabei geht es insbesondere in der Lichtbranche um Themen wie Energieeffizienz, Gesundheit und Wohlbefinden, Wahrung des Nachthimmels, Gebäudezertifizierungen oder Ansätze zur Kreislaufwirtschaft.“

Der Druck der Konsumenten
Der Umstand, dass Konsumenten immer sensibler werden, leitet die Unternehmen an, das sagt auch Jimmy Heinzl: „Der verstärkte Fokus auf das Thema Nachhaltigkeit gibt den Unternehmen auch einen gewissen Druck, selbst nachhaltige Produkte herzustellen.“ Heinzl zufolge verschieben sich die Kriterien, warum Kunden kaufen: „Die Frage, ob ein Produkt kreislauffähig ist, ob es nachhaltig ist, wird immer stärker zu einem Verkaufsargument.“
Starke Bewegung
Heinzl verweist auch auf eine in der Pandemie durchgeführte Umfrage, in der hiesige Unternehmen befragt wurden, wie die jeweiligen Lieferketten aussehen und wo jeweils zugekauft wird. Ergebnis? „Grundsätzlich ist es so, dass über 70 Prozent der befragten Unternehmen sagen, dass sie regional kaufen, wenn das denn möglich ist, erstens, weil das regionale Wertschöpfung generiert und zweitens, weil es auch Sinn macht hinsichtlich des CO2-Fußabdruckes.“

„Wesentlich stiller“
Kritische Stimmen, die in den Bemühungen und Initiativen trotzdem nichts Gutes sehen und denen alles zu wenig ist gibt es trotzdem. Was ist denen zu entgegnen? „Ich würde das umdrehen“, sagt Bianca van Dellen, „und die Kritiker fragen, was zu wenig ist.“ Denn mit pauschalen Vorwürfen werde die Wirtschaft immer wieder und in vielerlei Hinsicht konfrontiert, aber wenn es um Details, Fakten und um konkrete Forderungen gehe, „dann wird es wesentlich stiller“. Und warum? „Weil sich unsere Wirtschaft in diesem Bereich bereits bewegt, sehr stark bewegt.“
Der Großteil der nationalen Treibhausgas-Emissionsmenge wird laut dem Klimaschutzbericht 2022 des österreichischen Umweltbundesamtes von Oberösterreich, Niederösterreich und der Steiermark emittiert; Vorarlbergs Anteil an den nationalen Treibhausgas-Emissionen beträgt drei Prozent. Und die Treibhausgas-Emissionen des Sektors Energie und Industrie pro Kopf sind in Vorarlberg österreichweit die zweitniedrigsten.
Das Fortschreiten
Wie könnte also ein Fazit lauten? Heinzl sieht die Chance, dass Vorarlberger Unternehmen mit nachhaltigen Produkten führend werden können: „Es ist enorm viel Potenzial da, da tun sich gänzlich neue Märkte auf. Und ich bin überzeugt davon, dass unsere Unternehmen diese Potenziale gut nutzen werden, wie sie auch die Potenziale in der Vergangenheit stets gut genutzt haben. Sie werden sich diese Chance nicht entgehen lassen – und damit wird dann allen gedient sein, den Menschen, der Wirtschaft, dem Standort.“ Lässer-Kemple sagt: „Das Bewusstsein für das Potenzial von nachhaltigen Produkten ist auf der Chefetage bereits gut ausgeprägt. Wenn dieses Bewusstsein auch in der Produktentwicklung zum Selbstverständnis wird – gepaart mit dem Bewusstsein um den immer noch besser werdenden Energiemix in Bezug auf CO2 am Standort – dann werden Vorarlberger Unternehmen, die ja in der Fertigung von Produkten hervorragend sind, auch in dieser neuen Hinsicht sehr erfolgreich und wettbewerbsfähig sein.“ Van Dellen erklärt: „Man muss die relevanten Fragen aus der Potenzial- und Innovationsperspektive betrachten und sich in dieser Bewegung Positivität behalten. Das ist der richtige Nährboden, um noch mehr in dieser Sache bewegen zu wollen und bewegen zu können.“ Otto Scharmer hatte in Götzis gesagt: „Führung ist das Fortschreiten aus einer bekannten in eine noch unbekannte Welt, die erst mit dem Schritt über diesen Abgrund beginnt, zur Wirklichkeit zu werden. Und dieses Handeln in der Gegenwart hat mit Erspüren zukünftiger Potenziale zu tun.“

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