Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Vorarlberg im Visier der Spione

September 2014

Eine wirtschaftlich starke Region wie Vorarlberg weckt Begehrlichkeiten: Experten des Verfassungsschutzes warnen vor Wirtschafts- und Industriespionage im Land.

Der Ingenieur eines Klagenfurter Windtechnologie-Unternehmens hatte sich betriebsintern übergangen gefühlt, war von einem chinesischen Konkurrenzunternehmen kontaktiert worden – und verkaufte schließlich den Quellcode zur Steuerung von Windenergieanlagen an die Chinesen, frustriert, für 15.000 Euro. Der Schaden war immens. Die Kärntner Firma verschwand vom Markt, hatte ihren Wettbewerbsvorteil verloren, ihr zentrales Wissen. Es ist dies einer der seltenen Fälle, in denen Wirtschafts- und Industriespionage publik wurde. Denn oft bleiben derartige Attacken unbemerkt. Oder die Firmen schweigen, aus Angst vor weiterem Schaden – einem Reputationsverlust in der Öffentlichkeit. Klagenfurt ist keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil. Vorarlberg hat im Vergleich mit anderen europäischen Regionen, pro Kopf gerechnet, die meisten Innovationen und unter den österreichischen Bundesländern das höchste Wirtschaftswachstum und mit das höchste Pro-Kopf-Einkommen. Das Vierländereck zählt zu den reichsten Regionen der ganzen Welt. „Und genau dieser Umstand“, warnt der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Konrad Kogler, „macht Vorarlberg zum Ziel von Wirtschafts- und Indu-striespionage.“ Denn wer denkt, dass von Spionage allenfalls Großkonzerne betroffen sind, etwa die deutsche Rüstungs- oder Automobilindustrie, irrt. Gerade kleine und mittlere Unternehmen, die sich in ihrer speziellen Branche mit einem Wissensvorsprung am Markt etabliert haben, wecken Begehrlichkeiten. „Jedes Unternehmen mit entsprechendem Know-how kann betroffen sein“, sagt Kogler.

Eine Umfrage spricht Bände

Von jenen österreichischen Unternehmen, die sich an einer entsprechenden Erhebung des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung beteiligt hatten, hatten
31 Prozent angegeben, selbst bereits Opfer von Industrie- und Wirtschaftsspionage geworden zu sein. Der Verfassungsschutz sagt, dass der österreichischen Wirtschaft durch Spionage ein hochgerechneter Schaden von knapp einer Milliarde Euro entsteht – jährlich! Experten des Verfassungsschutzes machen in dieser Erhebung fünf Indikatoren namhaft, die zumindest den Verdacht nahelegen, dass spioniert wurde: Auftauchen von Teilinformationen bei Mitbewerbern, verdächtiges Unterbieten durch Mitbewerber, Auftauchen ähnlicher Konkurrenzprodukte, nicht erklärbarer Verlust von Aufträgen und das plötzliche Auftreten eines neuen Mitbewerbers am Markt. Und weiter heißt es, dass ein besonders starker Trend von Wirtschafts- und Industriespionage in den Sparten „Gewerbe und Handwerk“ sowie in der Industrie erkennbar sei. Im Übrigen geht es bei all diesen Fällen nicht ausschließlich um den Diebstahl von Konstruktionsplänen oder neuen Technologien. Nein, für Mitbewerber können auch Informationen zum Kundenstock, zur Produktionsfähigkeit, zu Qualitätsstandards oder Lieferkapazitäten von erheblichem Interesse sein. Dabei finden sich schützenswerte und für Konkurrenten interessante Informationen in jedem Unternehmen – unabhängig von der Unternehmensgröße.

Der Kärntner Ingenieur war ein Innentäter. Experten sagen, dass in beinahe jedem zweiten aufgedeckten Fall von Wirtschafts- und Industriespionage abgewanderte Mitarbeiter verantwortlich sind und in acht Prozent der Fälle sogar aktive Mitarbeiter am Geheimnisverrat beteiligt waren. Doch kommen Attacken auch von außen, leise, unbemerkt, über das Internet. Herbert Kurek, einer der leitenden Experten beim deutschen Verfassungsschutz, spricht von der „leisen Bedrohung“ und einer anderen, einer neuen Spionage. Vorbei sind die Zeiten, in denen sich Ermittler auf die Lauer gelegt hatten, um die Übergabe brisanter Dokumente an einen KGB-Offizier zu fotografieren. „Spionage ist heute wie Radioaktivität“, sagte Kurek jüngst bei einem Vortrag in Dornbirn, „man spürt sie nicht, man sieht sie nicht, aber sie ist hochgefährlich.“ Laut der Erhebung des österreichischen Verfassungsschutzes werden ausländische staatliche Organisationen, also Nachrichtendienste, nur von fünf Prozent der Unternehmer als Gefahrenquelle erkannt. Dabei stehen diesen Diensten nahezu unbegrenzt Mittel zur Verfügung, um weltweit an jede Information zu kommen. Die Macht der NSA ist seit Edward Snowdens Enthüllungen bekannt. Laut Kurek haben übrigens „die russischen Nachrichtendienste ausdrücklich die Aufgabe, die russische Wirtschaft mit Informationen aus dem Ausland zu versorgen“. Und in Shanghai hat eine ganze Armee bestausgebildeter Soldaten nur eine Aufgabe – in bestimmten Netzen zu spionieren. Zwischen Bonn und Berlin, der alten und der neuen Bundeshauptstadt, existiert ein eigenes Netz, ein eigener Informationsverbund unter Kontrolle der deutschen Bundesregierung. Der Verfassungsschutz registriert in diesem Netz alle 20 Minuten einen versuchten Angriff aus China.

 

Ein bedeutsamer Unterschied
Industriespionage ist per Definition die Konkurrenzforschung, bei der die Grenze der legal erlaubten Methoden überschritten wird, während Wirtschaftsspionage die gezielte, von ausländischen, staatlich gelenkten Nachrichtendiensten betriebene Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Betrieben zur Stärkung der eigenen Wirtschaft bezeichnet.

Informationen schützen!
Welche Informationen in einem Unternehmen sind sensibel? Und wer braucht im Unternehmen Zugang zu diesen Informationen, nach dem Need-to-know-Prinzip? Diese Fragen zu klären ist essenziell, um sich vor Spionage schützen zu können, mahnen Verfassungsschützer. Und: „Sicherheit in einem Unternehmen ist Chefsache, kann nicht delegiert werden.“

Im Anlassfall
Für Informationen und vor allem im Anlassfall stehen die verantwortlichen Dienststellen des Innenministeriums unter folgender Adresse zur Verfügung:
Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, Postfach 100,
1014 Wien, Tel: 01/53126-4100,
E-Mail: post@bvt.gv.at

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