Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Was an Bedeutung gewinnen wird

Juni 2021

Nachhaltigkeit ist in Vorarlberg bereits zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden. Positive Beispiele zeigen den Weg, laut dem Nachhaltigkeitsmanager der Zumtobel-Group ist es mittlerweile, „zur Voraussetzung, ja zur Pflicht geworden, sich mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen“. Und doch bleibt viel zu tun. Es ist, unter anderem, auch das Maß der Mitte zu finden.

Holz war in Europa zu einem knappen Rohstoff geworden, als Hans Carl von Carlowitz 1713 in einem Buch erstmals den Begriff der Nachhaltigkeit verwendete. Als einer der ersten hatte sich der Sachse gegen den Raubbau gestellt und einen respektvollen Umgang mit der Natur und ihren Ressourcen gefordert.
Über Jahrhunderte in Vergessenheit geraten, tauchte der Begriff der Nachhaltigkeit erst mit den Ökologie- und Grünbewegungen der 1980er Jahren wieder auf, mittlerweile ist das Wort längst in den allgemeinen Wortschatz übergegangen. Heute wird Nachhaltigkeit oft als konfliktbehaftetes Zieldreieck zwischen Wirtschaft, Ökologie und Gesellschaft dargestellt. Lukas Fleisch, wirtschaftspolitischer Referent in der WKV, sagt, dass letztlich folgendes gelte: „Keine Wirtschaft ohne intakte Gesellschaft und keine Gesellschaft ohne intakte Ökologie.“ Doch gehe es dabei um Mehrwert, und nicht um Verzicht und Rückschritt: „Durch die rasante Erschließung neuer Wachstumsmärkte in Bereichen, die immer stärker nachgefragt werden, der Gesellschaft nutzen und der Umwelt nicht schaden, werden umwelt- und gesellschaftsschädliche Lösungen nach und nach verdrängt.“ Freilich nur, wenn man der ökosozialen Markwirtschaft denn auch „Raum zur Entfaltung“ lasse. Laut Fleisch beschäftigen sich gerade in Vorarlberg viele Betriebe aktiv mit ihrer Wirkung auf Gesellschaft und Umwelt: „Es werden viele Innovationen, neue Produkte und Dienstleistungen generiert.“
Er gehöre zur Generation der Großeltern, also bedeute ihm nachhaltiges Wirtschaften „enkeltaugliches Wirtschaften“, sagt der Nachhaltigkeitsmanager der Zumtobel-Group, Mario Wintschnig. Damit sei gemeint, dass „ökologische, ökonomische und soziale Ressourcen von Unternehmen und der Gesellschaft nur insoweit verbraucht werden, als dass diese Ressourcen auch künftigen Generationen in der gleichen Qualität und Menge zur Verfügung stehen werden“. Diesen Überlegungen entsprechend, hat die Zumtobel Group im Bereich der Produktion die Umstellung von Strom aus Wasserkraft an allen Produktionsstandorten in Österreich und Serbien erfolgreich umgesetzt und für ihre Produktionsstandorte in Deutschland, Großbritannien und Australien den Bezug von Ökostrom eingeleitet.
Auch hat der Konzern binnen zweier Jahre den CO2-Ausstoß an den Vorarlberger Standorten halbiert. Man arbeite intensiv daran, die Nachhaltigkeitsaktivitäten weiter zu beschleunigen: „Es ist uns wichtig, eine Vorreiterrolle einzunehmen und den verantwortungsvollen Umgang mit Materialressourcen ebenso wie die Minimierung von Abfällen, Emissionen und den Energieverbrauch mit dem Ziel, 2025 ein klimaneutrales Unternehmen zu sein, zu fördern.“ Wintschnig sagt gar: „Es ist zur Voraussetzung, ja zur Pflicht geworden, sich mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen.“

Ein Bekenntnis

Getzner Textil, mit Gründungsdatum 1818 eines der ältesten noch existierenden Textil-Unternehmen im Land, hat sich zum Standort Bludenz bekannt. Und dieses Bekenntnis zum Standort erfordere geradezu nachhaltiges Handeln, sagt Umwelttechniker Michael Schranz: „Wir müssen die Umwelt in all ihren Facetten mitbetrachten.“ Abluft, Abwasser, Abfall, aber auch Lärm, Verkehr und Mitarbeitermobilität würden konsequent berücksichtigt. Ein Beispiel? Die Textilbranche ist sehr energieintensiv. Doch die Abwärme, die in den verschiedenen Prozessen entsteht, gibt Getzner Textil nicht einfach ab; sie wird vielmehr in ein eigens aufgebautes Fernwärmenetz eingespeist, aus dem öffentliche Gebäude, Schulen und beispielsweise auch das Schwimmbad Val Blu beliefert werden. „Unsere Abwärme deckt deren Wärmebedarf, das ist also eins zu eins eine CO2-Einsparung.“ 
Apropos. Das „Ökologische Projekt für integrierte Umwelt-Technik“ – kurz: Ökoprofit – kommt in Vorarlberg seit 1996 zur Anwendung. Im Rahmen dieses Systems helfen Fachleute Unternehmen, Stoffströme zu analysieren, um Produkte und Prozesse verbessern zu können und damit Geld zu sparen.
Und das Interesse der Wirtschaft steigt: Ökoprofit hat heuer 186 Vorarlberger Unternehmen zertifiziert, soviel wie noch nie zuvor, ausgerechnet in Zeiten der Pandemie. „Nachhaltigkeit ist in die Mitte gerückt“, berichtet Ökoprofit-Koordinatorin Verena Lässer-Kemple, „wurde das Thema früher eher zusätzlich zum Hauptgeschäft gemacht, ist Nachhaltigkeit heute in immer mehr Betrieben integrierter Bestandteil der Firmenstrategie.“ Die Juristin sagt auch: „Bisher lag der Hauptfokus bei Umweltfragen im eigenen Betrieb auf effizienten Prozessen, Ressourcenoptimierung und erneuerbaren Energien, mittlerweile lässt sich immer mehr auch ein Fokus auf die Umweltperformance und die Kreislauffähigkeit von Produkten und Lieferketten feststellen.“ 

Starke Aufwertung

Dass das Thema Nachhaltigkeit am Wirtschaftsstandort Vorarlberg eine starke Aufwertung erfahren hat - das berichtet auch Schranz. Ihm zufolge schafft nachhaltiges Agieren nicht nur Image, es könne sich in Zukunft wegen verstärkter Kundennachfrage sogar „als Wettbewerbsvorteil“ erweisen.
So orientiere sich eine wachsende Zahl an hochqualifizierten Arbeitnehmern bereits an der Frage, ob ein Unternehmen nachhaltig agiere, zudem könne ein Unternehmen angesichts steigender Energiepreise und sinkender Verfügbarkeit von Rohstoffen mit nachhaltigem Wirtschaften eine beachtliche Kostenersparnis erzielen. Und schließlich sei der Nachhaltigkeitsgedanke bei Kunden bereits tief verankert: „Eine zunehmende Zahl an Kunden erhebt im Benchmark, welcher Lieferant und welches Unternehmen nachhaltig agiert.“

Ökonomischer Nutzen

Wintschnig schließt da an: „Nachhaltigkeit und ökonomische Ausrichtungen in der Wirtschaft können heutzutage Hand in Hand gehen und schließen sich nicht aus. Wenn Nachhaltigkeit in den Werten und der Strategie des Unternehmens verankert ist, können Differenzierungs- und Wachstumspotenziale identifiziert werden, die gleichzeitig auch einen nachhaltigen ökonomischen Nutzen bringen.“ Auch der Nachhaltigkeitsmanager bestätigt: „Nachhaltigkeit wird vom Kunden immer intensiver nachgefragt und erwartet – inzwischen ist es Teil unseres Tagesgeschäfts.“
In der Bauwirtschaft ist das Denken in Kreisläufen Fleisch zufolge tief verankert. Laut einer Erhebung werden im Land rund 95 Prozent der mineralischen Rohstoffe respektive der daraus resultierenden Produkte wie Beton, Ziegel, Kies recycelt und wiederverwendet. Auch der Holzbau gilt als federführend im Hinblick auf nachhaltige Lösungen, gleiches gilt für Umwelttechnologien - der Standort Vorarlberg, sagt Fleisch, beheimate unzählige „Hidden Champions“ in diesem Bereich. 
Die Bemühungen vieler Firmen sind anzuerkennen, es gibt hervorragende Beispiele wie die erwähnten, aber es bleibt viel zu tun. So sagt Pratopac-Geschäftsführer Alexander Abbrederis, dass Nachhaltigkeit zwar eine hohe Bedeutung habe: „Aber die letzte Konsequenz fehlt.“
Vorarlberg sei anderen Regionen voraus: „Und doch stellt sich die Frage, an wem man sich misst. An Regionen, die weiter zurückliegen? Oder an jenen, die besser aufgestellt sind?“ Abbrederis richtet diesen Vorwurf in erster Linie an die Politik, die Nachhaltigkeit als Mittel zum Zweck sehe, „und nicht als Selbstverständlichkeit.“ Doch die Politik hantle sich unverändert von einer Legislaturperiode zur nächsten: „Und die wichtigen Themen bleiben liegen, obwohl man gerade die Zeit der Pandemie hätte nützen müssen, sich in Sachen Nachhaltigkeit neu auszurichten. Doch das ist nicht geschehen.“ So ärgert den Unternehmer etwa die Handhabung der Investitionsprämie: „Sieben Prozent für Investitionen, egal welcher Art – und 14 Prozent für nachhaltige Investitionen. Warum hat man denn nicht gesagt: Wir fördern ausschließlich nachhaltige Investitionen?“ 
Der Unternehmer setzt in noch einem Punkt an: „Das Thema muss entromantisiert werden.“ Denn zu oft noch werde Nachhaltigkeit zum bloßen Marketinginstrument degradiert, um damit ein Idyll zu skizzieren, das mit der Realität nicht ansatzweise übereinstimme: „Man braucht sich da bloß Werbesujets von Lebensmittel-Discountern anzusehen: Auf der einen Seite werden biologische Lebensmittel im romantischen Umfeld beworben, auf der anderen Seite dann die Schnitzel zum Spotpreis angeboten.“ Nachhaltigkeit, fordert der Geschäftsführer, „soll und darf kein Modewort sein, es sollte zu einem Teil des Bewusstseins werden, es ist höchste Zeit“.
Er, sagt Abbrederis, sei mit seiner Firma in der Verpackungsbranche nur ein kleines Rad im großen Spiel der Wirtschaft, aber er orientiere sich stark an der Nachhaltigkeit, an der Umwelt und am Gedanken – der von Pionier Michael Braungart erdachten und forcierten – Kreislaufthematik: „Es ist verdammt nochmal deine Pflicht, dich mit dem Thema auseinanderzusetzen.“

Was zu berücksichtigen ist

Schranz weist wiederum darauf hin, dass die Gesetzgebung, bedingt durch den Green-Deal der EU, zwar immer mehr in Richtung Nachhaltigkeit und CO2-Neutralität strebt. Das sei ein wichtiger Punkt in Sachen Nachhaltigkeit und liege auch im Interesse von Getzner Textil, orientiere sich das Unternehmen doch bereits am obersten Niveau und gehe nochmals eine Spur über die ohnehin schon sehr strengen österreichischen und europäischen gesetzlichen Umweltschutzauflagen. Aber: „Die Verhältnismäßigkeit ist zu wahren, das ist entscheidend, um auch weiterhin am weltweiten Markt konkurrenzfähig bleiben zu können. Der faire Wettbewerb muss garantiert sein.“
So ist laut Schranz in der Debatte um die CO2-Besteuerung etwa zwingend in Betracht zu ziehen, was an Energieträgern vorhanden ist, um diese CO2-Neutralität zu erreichen: „Und wenn man dabei feststellt, dass die vorhandenen Technologien am Markt dieses Ziel noch nicht ermöglichen, dann muss das zur Folge haben, dass mit Rücksicht besteuert wird.“ Denn die CO2-Steuer solle und dürfe nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung oder gar zu einer weiteren Abwanderung der Industrie führen. Unternehmen brauchen eine realistische Chance, die CO2-Neutralität überhaupt erreichen zu können.“ Und: „Jede Branche und jede Firma ist mit gleichem Maß zu messen, auch im internationalen Vergleich.“ Um die internationale Perspektive geht es auch Abbrederis. Es sei ja gut und recht, dass Vorarlbergs Wirtschaft immer nachhaltiger agiere: „Aber Vorarlberg ist ein kleines Land, selbst der österreichische Maßstab ist zu klein. Es braucht die europäische Ebene. Dort muss entschieden werden. Und man hat eine klare Ansage für die Umwelt zu treffen.“ Die Ökonomie werde sich der Ökologie anpassen, allerdings brauche es eine entsprechende Vorlaufzeit, damit die Wirtschaft entsprechend planen und handeln könne: „Denn die Investitionen, die wir heute tätigen, die sollten ja morgen ihre Anwendung finden. Doch da kommt das Machtgefüge ins Spiel: Wer sagt an? Die Politik oder die großen Lobbys?“

Das Maß der Mitte

Fleisch wiederum sagt, dass eine große Herausforderung darin liege, die Vielschichtigkeit der Wirtschaft und die Beiträge der Betriebe darzustellen: „Es braucht einen technologieoffenen Zugang, der allen Branchen erlaubt, besser zu werden. Und es braucht ein breites gesellschaftliches Verständnis darüber, dass die Wirtschaft Teil der Lösung ist.“ Zumal die Themen, die im Umfeld der Nachhaltigkeit häufig genannt würden, technisch und rechtlich höchst komplex und in sich verschränkt seien.
„Einfache Lösungen sind nur schwer möglich“, sagt Fleisch, „es kann nur in vielen kleinen Schritten gehen. Dazu braucht es Kompromissbereitschaft, Verständnis über die Zusammenhänge und eine ehrliche Auseinandersetzung. Extrempositionen helfen da wenig.“ Wintschnig erklärt: „Nachhaltigkeit ist ein realistischer Weg, wenn alle Gewerke an einem Strang ziehen und in die gleiche Richtung gehen. Durch den Austausch im Verbund und mit einer gemeinsamen Zielsetzung wird die ökologische Utopie zur notwendigen Realität.“ 

Über Qualität

Man entwickle bereits langlebige, qualitative Produkte, auch aus recycelten Materialien, berichtet Schranz. So stellt Getzner Textil etwa Produkte mit aus dem Meer gesammelten Kunststoffen her. Mit der Reduktion des Konsums von Massenprodukten bei gleichzeitiger Besinnung auf qualitative Produkte ließen sich Umweltschutz und Nachhaltigkeit bestmöglich erreichen: „Würden die Menschen auf langlebige Produkte setzen, dann hätten wir viele Probleme im Umweltbereich bereits an der Wurzel gelöst.“ Nachhaltigkeit ist also nicht nur eine Sache der Wirtschaft, sie liegt auch in der Verantwortung jedes Einzelnen. 
Kunden schauen immer stärker, ob tatsächlich nachhaltig produziert wird, achten in zunehmendem Maße auch auf Umwelt- und Sozialstandards in produzierenden Drittstaaten und fragen entsprechend Nachhaltiges immer stärker nach. Es ist also für kreislauffähige Produkte mittlerweile ein bedeutender Markt entstanden. Und das ist gerade für Vorarlberger Unternehmen, die in der Fertigung von Produkten nachweislich hohe Kompetenz haben, eine große Chance, bei noch stärkerer Fokussierung auf Nachhaltigkeit. Das Marktpotenzial sei da, sagen viele Experten – man müsse es nur nützen.

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