Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Wir müssen uns die Aufmerksamkeit erarbeiten“

Dezember 2017

Das Wirtschaftsmagazin „Trend“ nennt Philipp Maderthaner (36), den Kampagnenleiter von Sebastian Kurz, aktuell den Star der Szene: Im Interview mit Thema Vorarlberg erklärt der 36-Jährige, der unter anderem auch Coca-Cola, Ö3 oder „economiesuisse“ zu seinen Kunden zählt, was eine gute Kampagne ausmacht – und warum es „ein Irrglaube ist, anzunehmen, dass bloße Loyalität aus Tradition heute noch irgendjemanden hinter dem Ofen hervorlockt“.

Beginnen wir das Gespräch doch mit zwei Zitaten von Ihnen. Zitat eins: „Wer kein Anliegen hat, darf sich nichts erwarten.“

Wer nicht weiß, wohin die Reise geht, darf sich nicht wundern, wenn ihm niemand folgt. Das ist ein Anspruch, der für jede Bewegung im politischen Sinne gilt. Erst das Ziel, die politische Vision, macht die Bewegung möglich. Bewegung nur um ihrer selbst willen bewirkt gar nichts.

Und Zitat zwei: „Von US-Wahlkämpfen kann man sich den Mut zur Schlichtheit abschauen.“

Was den politischen Diskurs betrifft, haben wir in Österreich tendenziell einen Hang zum Verkopfen. Dabei tut man gut daran, sich in einer Wahlauseinandersetzung auf wenige, aber wesentliche Dinge zu konzentrieren. Themen müssen verdichtet sein. Das meine ich mit Mut zur Schlichtheit. Im Fall der Kampagne von Sebastian Kurz waren das die Themen Standort und Steuern, Sozialsysteme und deren Sicherung und Migration. Und über diesen drei Themen stand das das ultimativ Dominante dieses Wahlkampfes: die Frage nach einem neuen Stil in der Politik.

War Kurz nicht einfach nur Migration? Zusammen mit einem guten Slogan?

Meiner Meinung nach nicht. Nachwahlbefragungen haben klar gezeigt, dass das Hauptmotiv, Sebastian Kurz zu wählen, nicht die Migrationsfrage war, sondern der Wunsch nach einem neuen Stil in der Politik. Dieser Wunsch war übrigens auch das Nummer-eins-Motiv, sich in dieser Bewegung einzubringen. Und was die Frage nach dem Slogan betrifft: Ich würde Slogans grundsätzlich nicht überbewerten. Eine Kampagne ist ein Maßanzug. Eine Kampagne hat den Job, ein bereits vorhandenes starkes Gefühl auszudrücken, um mit der Bevölkerung in Resonanz gehen zu können. So etwas lässt sich auf einem Reißbrett  nicht künstlich entwerfen. Das Gefühl muss bereits vorhanden sein. Wirksames Campaigning kann nur an die Oberfläche holen, was im Untergrund bereits vorhanden ist. Ich glaube, das ist die eigentliche Kunst der Kampagnenführung.

Inwiefern?

Kurz‘ Wahlkampagne stand unter dem Motto „Es ist Zeit“. So kurz und kompakt das auch war – mehr war nicht notwendig! Denn viele Österreicher hatten zuvor schon gesagt: Es ist jetzt Zeit für Veränderungen. Zeit wird’s. Und Kurz drückte dieses starke Gefühl aus.

Und mit drei Worten fassten Sie den Zeitgeist ein …

Zeitgeist klingt so vergänglich. Es geht wirklich darum, bereits vorhandener Emotion ein Ventil zu geben. Kampagnen sind dann erfolgreich, wenn sie sich zum Instrument für jene Menschen machen, die sie ansprechen. Menschen suchen für ihre Emotionen ein Ventil, eine gute Kampagne kann dieses Ventil sein. Das ist es.

Jetzt werden wir Ihnen die Berufsgeheimnisse wohl nicht entreißen können, aber: Wie schneidert man denn einem Kandidaten einen Maßanzug? Was gehört da noch dazu?

Alles beginnt bei den einzigartigen Eigenschaften eines Kandidaten. Wir haben gerade in diesem Wahlkampf gesehen, wie man Kandidaten auch verbiegen kann und verbogen hat. Wenn Sie in den politischen Mitbewerb schauen, werden sie sehen, dass sich da manche zu schauspielerischen Höchstleistungen haben hinreißen lassen. Das ist ein Weg, den man gehen kann. Ich gehe ihn aber nicht. Das ist nicht meine Philosophie. Meine Philosophie ist es, auf die einzigartigen, auf die besonderen Eigenschaften eines Kandidaten zu schauen und Wege zu suchen und zu finden, wie wir diese in einer Kampagne zeigen können. Und Sebastian Kurz hat solche Eigenschaften: Kurz ist jemand, der oft lieber zuhört als redet, der sich selbst nicht automatisch als den Wichtigsten im Raum betrachtet, der bei seinen Entscheidungen zugleich aber eine nahezu unglaubliche Entschlossenheit an den Tag legt.

War das jetzt auch wieder Kampagnenarbeit?

Was?

Na, Ihre Aufzählung der Kurz’schen Eigenschaften.

Nein. Das ist sind Fakten! Jeder, der ihn kennt – und ich kenne Sebastian Kurz schon sehr lange – weiß, dass er einen besonderen Stil an den Tag legt und viele Eigenschaften hat, die man sich von Politikern heutzutage wünscht. Also haben wir uns an einem gewissen Punkt dazu entschieden, Kurz so zu zeigen, wie er ist. Das war unsere Entscheidung. Wir haben von allen möglichen Seiten alle möglichen Ratschläge bekommen, was wir nicht alles machen müssten; wir müssten die Kampagne beispielsweise in dunkle Braun- und Beigetöne legen, weil ihm das Gewicht und Seriosität verleihen würde. Und Krawatten müsse er tragen, vor wehenden Fahnen, damit man den Staatsmann in ihm sieht und weiß ich was noch alles … Wir haben nichts davon aufgegriffen, nicht aus Überheblichkeit, sondern weil wir uns entschieden hatten, einfach das einzig Richtige zu tun: Zu zeigen, wie er ist. Und Punkt.

Sie haben der ÖVP ja auch die Farbe Türkis verordnet, oder?

Ich habe diese Farbe mitverantwortet als Teil unseres Konzeptes, als Teil unserer Strategie.

Unabhängig von der Farbe, bleiben Inhalte bei derlei Kampagnen nicht zwingend auf der Strecke?

Das würde ich nicht sagen. Ich glaube in der Tat, dass in diesem Wahlkampf grundsätzlich sehr viel über Inhalte diskutiert worden ist und sehr viele Inhalte auch transportiert worden sind; ich würde eher kritisch hinterfragen, ob der Konsument am anderen Ende der Leitung überhaupt in der Lage oder willens ist, Inhalte in einem derart hohen Ausmaß aufzunehmen. Ich sehe da durchaus eine gewisse Diskrepanz zwischen dem Auftrag der Medienberichterstattung und dem vom Wähler selbst definierten Informationsbedürfnis. Sagen wir es so: Natürlich geht es medial auch darum, mit Fakten und Programmen Newswert zu transportieren. Ganz oben auf der Prioritätenliste der Wähler steht allerdings die Frage, welche Werte und Überzeugungen der jeweilige Kandidat vertritt, welche Eigenschaften er mitbringt und ob er vertrauenswürdig ist. Und schließlich wird der Wahlkampf gegen Ende immer weiter verdichtet, das ist ganz natürlich.

Sie haben in einem Interview sinngemäß gesagt, den Wähler interessiere nicht, was im Wahlprogramm einer Partei auf Seite 47 rechts unten stehe …

Genau. Der Wähler will vielmehr ein Gefühl für die wirklichen Werte und Überzeugungen des politischen Angebots haben. Es ist eine deutlich fundamentalere Ebene, auf deren Basis wir entscheiden, ob wir für jemanden aktiv werden oder jemanden unterstützen. Inhalte und Programme sind die logische Ableitung von Werten und Überzeugungen, gewissermaßen die Beweisführung. So notwendig und richtig diese Inhalte auch sind – sie sind nicht Motiv Nummer eins für die Menschen, einen Kandidaten zu unterstützen. Da geht es vielmehr um die Fragen: Teilen wir die Überzeugungen? Glauben wir an das Gleiche? Vertreten wir die gleichen Werte? Das sind deutlich wichtigere Punkte für die Frage der Aktivierung und der Mobilisierung.

Sind die Zeiten der Parteien vorbei?

Nein, vorbei sind sie nicht. Aber es ist Zeit für Parteien, sich weiterzuentwickeln. In ganz Europa ist die Tendenz deutlich sichtbar, dass Parteien und Strukturen an sich an Bedeutung verlieren. Menschen verlieren zunehmend das Vertrauen in etablierte Institutionen und Strukturen. Und das heißt, dass sich Politik auf eine gewisse Art und Weise neu erfinden muss. Politik muss offener werden, sie muss zugänglicher werden, sie muss – um Kreisky zu zitieren – mit den Menschen ein Stück des Weges gemeinsam gehen. Deswegen ist es meiner Meinung nach von zentraler Bedeutung, Menschen zu ermöglichen, auch temporär einmal dabei zu sein, sich an der Politik zu beteiligen, und wenn es auch nur sehr lose ist. Das ist die Zukunft. Die traditionelle strukturierte Form der Politik verliert dagegen an Bedeutung. Ist sie morgen weg? Nein natürlich nicht. Ist der Trend klar? Absolut.

Politikwissenschaftler diagnostizieren eine zunehmende Entfremdung der Politiker vom Bürger …

Ich würde das so pauschal nicht sagen, weil es eben nicht auf alle Politiker zutrifft. Da gibt es schon auch welche, die für sich einen neuen Zugang gefunden und etabliert haben. Aber klar: Wir sehen ja nicht nur an der Politik, wir sehen es auch an anderen Bereichen, wie beispielsweise der Wirtschaft, dass die Bindungsfreude der Menschen auch schon einmal höher ausgeprägt war. Was jeder Konsumartikler mittlerweile akzeptieren und respektieren muss, sollte am Ende auch die Politik akzeptieren und respektieren: Es ist ein Irrglaube, anzunehmen, dass bloße Loyalität aus Tradition heutzutage noch irgendjemanden hinter dem Ofen hervorlockt. Es ist heute nicht mehr so, dass Menschen mit 18 Mitglied werden und sich als Funktionär dann bis zum Ende ihrer Tage in ihrer Partei engagieren. Das ist nicht mehr der Standardzustand. Und deswegen muss ich beginnen, auch für diesen Nicht-Standardzustand Angebote zu schaffen und mein System entsprechend auszurichten – damit jeder, der dabei sein will, auch dabei sein kann. Und wenn es manchmal auch nur für kurze Zeit ist.

Soll heißen: Die Wirtschaft kämpft jeden Tag aufs Neue um ihren Kunden, um ihren Konsumenten, ergo müsste das auch die Politik tun? Täglich um den Wähler kämpfen?

Natürlich! Im Gegensatz zur Politik verspüren viele Unternehmen stärkeren Veränderungsdruck, weil sie täglich auf dem Prüfstand stehen, während im „Geschäft Politik“ nur einmal alle fünf Jahre aufgesperrt und abgerechnet wird. Damit sind auch die Lern- und Innovationszyklen in der Wirtschaft kürzer und intensiver. Wobei das nicht immer so sein muss: Wir haben ja gesehen, dass auch in der Politik Innovation möglich ist.

Dabei sind Sie ja durchaus realistisch, was die Ausgangsposition betrifft …

Ja. Es ist eine Tatsache: Immer weniger Menschen sind bereit sich groß zu engagieren. Aber: Immer mehr Menschen sind bereit, sich in geringem Ausmaß zu beteiligen. Das mag zynisch klingen, ist es aber nicht. Es ist Ausdruck der Dynamik durch die Digitalisierung. Wir nehmen uns für einzelne Dinge weniger Zeit. Um politisches Engagement hervorrufen zu können, müssen wir deshalb versuchen, einen Menschen sehr niederschwellig zu gewinnen, zunächst vielleicht nur für eine kleine Sache, bevor wir dann schrittweise versuchen, ihn tiefer zu involvieren. Das ist eine neue Form des Zugangs. Die Zeiten, in denen man Menschen ungefragt mit Informationen überschütten konnte, sind vorbei. Jeder hat heute die Möglichkeit, das auszublenden, was ihn nicht interessiert. Und das heißt, wir müssen uns die Aufmerksamkeit wirklich erarbeiten, das ist ein neuer Zugang.

Und da kommen vor allem auch die neuen Medien ins Spiel, oder?

Sie sind von zentraler Bedeutung. Neue Medien haben ja einen großen Vorteil: Sie ermöglichen uns, viele neue Menschen außerhalb unseres engeren Wirkungskreises kennenzulernen und für unsere Sache zu gewinnen. Auch mit Mikrotargeting, also dem gezieltem Ansprechen ganz besonderer, spezifischer Gruppen …

In dem Zusammenhang stellt sich allerdings schon die Frage, wo politische Kampagnenarbeit endet und die Manipulation der Menschen beginnt – wenn es denn überhaupt Übergänge gibt.

Ich glaube, dass sich diese Frage bei jeder Form der Kommunikation stellt. Das gilt also nicht nur für Kampagnenarbeit, sondern auch für Journalismus, für Werbung, für das persönliche Gespräch, für die politische Rede, für alles. Bei jeder Art von Kommunikation stellt sich die Frage nach dem moralischen Anspruch – und ich nehme für uns in Anspruch, dass wir den immer erfüllt haben.

Den moralischen Anspruch? Indem man suggeriert, mit einfachen Botschaften in einer komplexen Welt bestehen zu können?

Ich frage Sie umgekehrt: Was hilft Ihnen die komplexe Botschaft, wenn sie keiner hört? Wer Veränderung will, muss respektieren, dass die wahre Macht beim Empfänger einer Botschaft liegt und nicht beim Sender. Wie ich es vorher sagte: Wenn jemand nicht in der Lage ist, Aufmerksamkeit für sein Anliegen zu bekommen, dann wird er in Schönheit sterben. Oder in dem Fall wohl eher in Komplexität (lacht). Natürlich muss der Anspruch sein, Schritt für Schritt mehr und tiefer zu vermitteln, nur am Ende ist und bliebt es der zentrale Anspruch, die Menschen zuerst einmal zu erreichen. Ich würde das dann auch nicht als manipulativ sondern eher als kundenfreundlich bezeichnen …

Apropos Manipulation. Sie dürften im Laufe des Wahlkampfes ja irgendwann zum großen Fan von Tal Silberstein geworden sein. Denn der schadete eigentlich nur seinem Auftraggeber, der SPÖ …

Nein, um ehrlich zu sein: Zu einem Fan dieses Herrn werde ich nicht mehr. Weil ich eine tiefe Abneigung gegenüber dem empfinde, was er tut und getan hat. Das ist etwas, was wir bei uns nicht brauchen; und auch generell etwas, was die Politik nicht braucht. Ich bin stolz darauf, dass wir gezeigt haben, dass man einen Wahlkampf auch ohne permanente Untergriffe führen kann, ohne permanente Attacken und ohne sich permanent darauf zu konzentrieren, wie man andere fertigmacht. Dass man auf all das Negative verzichtet und mit so einem positiven Wahlkampf trotzdem eine Wahl gewinnen kann, ist eigentlich eine sehr schöne Bestätigung – und, ich würde sagen, auch zur Nachahmung empfohlen. Vielleicht kommt ja der eine oder andere nach unserem Wahlkampf ins Nachdenken …

Sind Sie eigentlich ein politischer Mensch?

Wahrscheinlich ja, in einem Sinne, dass mich sehr bewegt, was in diesem Land passiert. Und dass ich an unterschiedlichsten Stellen in meinem Leben immer wieder für mich auch die Verpflichtung gefühlt habe, da etwas beizutragen. Aber beschäftige ich mich den ganzen Tag mit Politik? Nein. Ich bin leidenschaftlicher Unternehmer. Das Unternehmertum begeistert mich signifikant mehr als Politik. Oder besser gesagt: Noch mehr. Es ist die unternehmerische Freiheit, die mir so gefällt, die Freiheit zu sagen: Du kannst als Unternehmer etwas schaffen! Wenn du es gut machst, wirst du belohnt, es hängt sehr viel von dir ab. Das ist in der Politik ja nicht immer der Fall.

Vielen Dank für das Gespräch!

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