J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Das steinerne Nebeneinander von Bakterienknollen und Rüsseltierzähnen

Juli 2018

Für den Fossiliensammler ist der Pfänder langweilig: Die versteinerten Schnecken der Süßwasserschichten sind zu schlecht erhalten, um das Interesse der Sammler auf sich zu ziehen. Lediglich die „Eichenberger Kugeln“ sind in fast jeder Vorarlberger Mineraliensammlung vertreten. Auch Erich Riedisser-Wegner wollte sie finden – gefunden hat er aber etwas ganz anderes.

Ja, die „Eichenberger Kugeln“ haben es zu lokaler Berühmtheit gebracht. Doch fragt man genauer, so wissen nur die wenigsten Sammler, um was es sich eigentlich handelt. Der Fachbegriff „Onkoid“ ist gänzlich unbekannt. Und auch das Stichwort „Blaugrünalgen“ hilft nicht weiter, denn die einst als Algen fehlinterpretierten Mikroorganismen wurden längst als Bakterien erkannt. Cyanobakterien waren es also, die vor knapp 15 Millionen Jahren in einem See wahllos jeden festen Kern mit Kalkkrusten überzogen. Immer wieder wendeten die Wellen diese Gebilde, und die Bakterien begannen aufs Neue eine Kruste auf der nun obenliegenden Seite. Auf diese Art entstanden bis zu faustgroße Knollen. Als Kern konnten Fragmente anderer, zerbrochener Onkoide dienen, aber auch Schilfstängel, Muschelschalen und Schnecken.

„Eichenberger Kugeln“ mit einer Turmschnecke im Inneren sind die beliebtesten: Das leere Schneckenhaus wurde von den Cyanobakterien verschlossen, bevor Schlamm eindringen konnte. Später ist im Hohlraum Calcit auskristallisiert. Schlägt man solch eine Knolle auf, so findet man die Negativform der Schnecke ausgekleidet mit einem Rasen von Kalkspat-Kristallen.

Nur an wenigen Stellen am Pfänderhang werden die Onkoide gefunden. Um sie aufzuspüren, war Erich Riedisser-Wegner kein Graben zu steil. Als er sie schließlich entdeckte, fiel ihm bald auch etwas anderes auf: Da war etwas im Gestein mit einer selbst in verschmutztem Zustand leicht glänzenden Oberfläche. Er nahm die Fragmente mit und setzte sie daheim zu einem größeren Ganzen zusammen. Aber er konnte sich keinen Reim darauf machen, was er da gefunden hatte. Eine Mail an die inatura sollte die Frage klären.

Dass ich jemals ein Foto von einem fossilen Zahn eines Rüsseltiers aus Vorarlberg bekommen würde, damit hatte ich wahrlich nicht gerechnet. Ich musste die Fundstelle sehen! Beim Lokalaugenschein zeigte sich, dass da noch mehr im Gestein verborgen war. Es war Herbst, die Fundschicht lag offen zutage, und der nächste Frost würde bestimmt kommen. Um zu verhindern, dass gefrierendes Wasser die Überreste weiter zerstört, musste die Bergung noch vor Wintereinbruch erfolgen. Und sie musste von einem Fachmann durchgeführt werden. Der Fossilpräparator Urs Oberli aus St. Gallen wurde beigezogen. Vorigen Herbst gab das Gestein dann weitere Zahnfragmente frei – ein dreidimensionales Puzzle, das gelöst werden musste, um die Zähne in einen ansehnlichen Zustand zurückzuversetzen.

Der Winter gab Urs Oberli Zeit, das 3D-Puzzle zu bewältigen. Drei Zähne setzte er aus den Fragmenten zusammen und kaschierte kleinere Fehlstellen. Idealisierte Abgüsse verdeutlichen das Aussehen der nicht ganz vollständig erhaltenen Zähne. Ein weiterer Knochen erwies sich als Teil des Gehörapparats des „vorsintflutlichen“ Tiers. Doch er ist nicht gut genug erhalten, um das Innenohr mittels Computertomografie rekonstruieren zu können. Auch die Zähne lassen eine genaue Bestimmung nicht zu: Sie sind zum Teil stark abgekaut und wesentliche Teile fehlen. Ursula Göhlich vom Naturhistorischen Museum Wien identifizierte sie anhand von Fotos vorläufig als Gomphotherium subtapiroideum, kann aber auch einen anderen „Ur-Elefanten“ namens Zygolophodon turicensis nicht ausschließen. Ein spektakulärer Fund ist es trotzdem, der die Rekonstruktion unserer Landschaft vor knapp 15 Millionen Jahren erleichtert.

Der Pfänder ist Teil der Molassezone – so nennt die Geologie jene Vorsenke nördlich der Alpen, die den Schutt des jungen Gebirges aufnahm. Zwei Mal wechselte das Geschehen von Meeres- zu Süßwasserablagerungen. Unser Fund stammt aus den jüngsten Schichten, der Oberen Süßwassermolasse. Gebirgsnah schütteten Flüsse Unmengen an Schotter, Sand und Schlamm in den Molassetrog. Der Schotter wurde in Schuttfächern und Flussrinnen abgelagert. Sie sind am Pfänder als Nagelfluhbänke erhalten. Zwischen den Flüssen erstreckten sich weite Graslandschaften, Überschwemmungsebenen und Seen. Welche Tiere sich dort tummelten, verdeutlichen Funde aus gebirgsfernen Bereichen in Deutschland. Vorarlberg aber hatte – außer den Schnecken der Seen – bisher keine nennenswerten Beiträge zur Tierwelt jener Landschaft geliefert.

Das Nebeneinander von Cyanobakterien-Knollen und Rüsseltierzähnen an der Basis der Gesteinsschicht macht das Geschehen fassbar: Am Rande eines Sees hatten nicht nur Großsäuger ihre Wasserstelle. Auch unser Gomphotherium, ein Bewohner der offenen, teils trockenen Graslandschaft, hat dort getrunken. Vielleicht ist es im Schlamm steckengeblieben oder  aus Altersschwäche gestorben. Aasfresser und die geringe, aber stete Wellenbewegung im See haben seine Knochen verstreut und abgerollt, aber die Zähne blieben erhalten. Später hat sich der See ausgedehnt und die Wassertränke lag nun näher am Gebirge. Schließlich wurde das Wasser auch für die Cyanobakterien zu tief. Nun wurde Sand abgelagert. Erst mehrere Meter über der Fundschicht markiert eine Nagelfluhbank die Rückkehr des Flusses.

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