Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Ein Eklat im Jahr 1880 – Wenn sich Politiker prügeln

September 2021

Frastanz 1880, Liberale gegen Konservative – über Gewalt in einer Wahlnacht und einen Prozess, in dem ein amtierender Ortsvorsteher zu vier Wochen Kerker verurteilt wurde.

Werfen wir einen Blick zurück in alte Zeiten? Am 21. Mai 1881 steht der Gemeindevorsteher von Frastanz, Leonhard Gau, mit zwei weiteren Männern vor dem Kreisgericht in Feldkirch, angeklagt des „Verbrechens der schweren körperlichen Beschädigung“ – ein Verbrechen, das Gau nach einem Wahlsieg ein Jahr zuvor, im April 1880, begangen haben soll. Was war passiert? In der liberal ausgerichteten „Feldkircher Zeitung“ war am 21. April 1880 eine kurze Notiz zu lesen:
„Unter den Klerikalen rief der Ausgang dieser Wahl große Wut hervor und es gab denn auch am Abend eine Schlägerei zwischen Angehörigen beider Parteien, bei welcher auch Messerstiche vorkamen. Wie man hört, ist von Seite der Behörde eine Untersuchung darüber eingeleitet.“ 

Ausführlicher berichtete das christlich soziale und streng konservative „Vorarlberger Volksblatt“:
„Am 10. April wurde Vorsteher Gau wiedergewählt. Diesen „glorreichen“ Sieg feierten die Liberalen am Abend mit Schreien und Johlen und endlosem Böllerschießen. Damit begnügten sie sich aber nicht; sie wollten in ihrem Übermut den Konservativen zeigen, dass sie auch physisch die Stärkeren seien. In später Nachtstunde machte sich ein Haufen mit Prügeln bewaffnet, der Vorsteher Gau als Chef der Ortspolizei an der Spitze, auf den Weg, um „Ruhe und Ordnung" zu schaffen, welche mutmaßlich gestört sein könnte.“ 

Eine Stunde zuvor hatte Gau offenbar bereits einen „ruhig des Weges daherkommenden Konservativen beim Halse“ gepackt und einem anderen „die Pfeife aus dem Mund geschlagen.“ Doch jetzt gehen die mit Prügeln bewaffneten Liberalen zum Wirtshaus „Zur Sonne“, in dem sich die Konservativen versammelt haben, und fordern „dieselben mit gemeinen Ausdrücken zum Kampfe heraus.“ 
„Von diesen eilten mehrere in den beleuchteten Hausgang hinaus, um zu sehen, was es gebe. Da erhob Gau die Hand zum Wurfe und es traf ein Stein mit aller Gewalt den im Hintergrunde des Hausganges befindlichen Alois Schmid derart an die Stirne, dass er in Folge der Verwundung mehrere Tage arbeitsunfähig war.“ 

Es bleibt nicht bei dieser einen Attacke. 
Noch schlimmer ging es dem Th. Büchel, als er ruhig aus der „Sonne" nach Hause gehen wollte. Trotz seiner friedlichen Haltung und der Versicherung, er habe mit den mit Prügeln herankommenden Liberalen nichts, „sie sollen ihn gehen lassen", wurde Büchel vom Vorsteher mit dem Rufe: „Hüt muescht heba, du bischt mer scho lang ufg'hockt", gepackt und von diesem und einigen andern mit den Prügeln derartig malträtiert, dass er darauf mehrere Wochen arbeitsunfähig wurde.

Ein Jahr später kommt es zum erwähnten Prozess vor dem Kreisgericht. Dort spielt Leonhard Gau laut „Volksblatt“ eine „klägliche Rolle. Er wusste kaum etwas Stichhaltiges zu seiner Verteidigung zu sagen.“ Beide Seiten nominieren. Doch während die Zeugen der Verteidigung Gau und seine Mitstreiter nicht entlasten können, legt ein Zeuge der Ankläger noch nach: 
Der Zeuge, welcher an jenem Abend vom Vorsteher am Halse gepackt wurde, sagte, er habe sich vor dem Vorsteher gefürchtet und führte als Grund an:
Vorsteher Gau habe des Zeugen Vater im Jahre 1859 derart misshandelt, dass derselbe schwer erkrankte, so dass er in die Zwangsjacke gesteckt werden musste und bis nahe zu seinem Tode an Geistesstörung litt, und da habe der Zeuge gedacht, Gau könnte es ihm gerade auch so machen. ...

Der Gerichtshof verurteilt Gau zu vier Wochen und einen weiteren Mitangeklagten zu zwei Wochen Kerker, die Verurteilten haben ihren Opfern Schmerzensgeld, Arbeitslohnentschädigung und Kurkosten zu zahlen. Im August tritt Gau als Ortsvorsteher zurück. Er „resigniert“, kommentiert das Volksblatt recht hämisch.
Doch gegen das Urteil des Kreisgerichts beruft Gau. Im Jänner 1882 kommt es vor dem obersten Gerichtshof in Wien zur Verhandlung. Im Zuschauerraum sitzt der Industrielle Carl Ganahl, welcher – wie abermals das Volksblatt berichtet – „die gute und von unseren Gesinnungsgenossen nur nachzuahmende Eigenschaft besitzt, zu seinen Leuten zu stehen, in schlechte wie in guten Tagen bis ans Ende.“ Gaus Verteidiger versucht vor dem Gerichtshof, darzulegen, dass „die ersten Schlägereien am Nachmittage von konservativer Seite ausgegangen“ seien. Gau sei nicht in feindseliger Ansicht zum Wirtshaus „Zur Sonne“ gegangen, er habe niemanden misshandelt. Es blieb beim Versuch. Der Gerichtshof wies die Nichtigkeitsbeschwerde ab, bestätigte das Feldkircher Urteil. Wie Leonhard Gau reagiert, wird nicht berichtet. Nur über Ganahl – den Präsidenten der Handelskammer und liberalen Politiker – heißt es, er habe „sehr kopfhängend“ den Saal verlassen, aus Mitleid mit dem Angeklagten, aber wohl auch „wegen der offenkundigen Einbuße an politischem Ansehen.“

Interview

„Man hat ausgeteilt, man hat eingesteckt“

Thomas Welte, Gemeindearchivar von Frastanz, über den Politiker Leonhard Gau.

Was war Leonhard Gau für ein Mensch?
Leonhard Gau, 1831 geboren und 1909 gestorben, war ein sehr umtriebiger Mann und das in einer Zeit, in der sich insgesamt sehr vieles veränderte. Das einstmals landwirtschaftliche Dorf unter dem Einfluss der Firma Ganahl wurde allmählich zu einer Industriegemeinde, auch wurden zwei Parteiungen immer sichtbarer: Die der Liberalen, die sich als Anhänger Carl Ganahls verstanden, und die der Klerikalen, die sich selbst „die Konservativen“ nannten. Als Gau mit 30 Jahren zum Ortsvorsteher gewählt wurde, hatten Parteien noch keine Rolle gespielt. Doch in den 20 Jahren seiner Amtszeit wurde der Gegensatz zwischen den Liberalen und den Konservativen immer stärker sichtbar, der Kampf der beiden Lager gewann ab den 1870er Jahren sukzessive an Schärfe. Ein geplanter Kirchenneubau verschärfte den Streit. Carl Ganahl konnte dem wenig abgewinnen, befürchtete vielmehr, dass er danach höhere Steuern zu zahlen habe. Gau schlug sich auf Ganahls Seite, zum Zorn der Klerikal-Konservativen. Die Auseinandersetzungen nahmen an Schärfe zu …

Existierten zuvor jahrelange Feindschaften?
Sagen wir es so: Es hatte sich angekündigt. Wobei es Scharfmacher auf beiden Seiten gab. Es hat eher den Anschein, als sei Gau von anderen getrieben worden. Auch scheint es den ganzen Tag bereits gegenseitige Geplänkel und Raufereien gegeben zu haben. Im Übrigen geht aus den Quellen nicht hervor, ob Gau ein cholerischer Mann war. Vielmehr wird er als geselliger Mensch beschrieben, als einer, der gerne ins Gasthaus ging, der im Männerchor sang und sich auch nach seinem Rücktritt in der Gemeinde engagiert hatte.

Musste er die vier Wochen Kerker absitzen?
Die Quellen belegen das nicht, man kann es nur vermuten. Aber das Jahr 1882 wird für Leonhard Gau insgesamt ein schreckliches Jahr, ein annus horribilis, wie es im Lateinischen heißt. Zunächst wird er in Wien endgültig verurteilt, wenige Wochen später brennen sein Haus und sein Stall in nur eineinhalb Stunden bis auf die Grundmauern nieder, im selben Jahr stirbt seine Frau, er bleibt allein zurück mit neun Kindern, das jüngste ist um die zehn Jahre alt. Doch ließ sich Leonhard Gau von diesen Schicksalsschlägen offenbar nie unterkriegen, das steht jedenfalls in seinem Nachruf, als er 27 Jahre später stirbt. Da steht auch, dass sehr viele Menschen zu seiner Beerdigung kamen. Er scheint beliebt gewesen zu sein. Im Übrigen möchte ich noch etwas betonen, das ist mir wichtig …

Und das wäre?
Dass man wegen dieser Ereignisse in der Wahlnacht nicht den Stab über Gau bricht. Erstens war er 20 Jahre lang Vorsteher, hat sich um Frastanz verdient gemacht. Und zweitens war die Zeit eine andere: Man hat ausgeteilt, man hat eingesteckt, aber man ist dann auch wieder gut miteinander geworden. Das ist auch etwas, was heute oft anders ist.

Zur Person
THOMAS WELTE
*1964, wohnhaft in
Frastanz, Studium der
Geschichte und Anglistik,
AHS-Lehrer am BG Bludenz,
Gemeindearchivar
von Frastanz, Verfasser
mehrerer Publikationen.
Interview

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