J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Gelb, insektenreich und invasiv – Goldruten sind Problempflanzen

September 2022

Eine grüne Wiese, aus der vereinzelt gelbe Blüten hervorblitzen, ist ein Alarmsignal. Für den Bauern, dass es höchste Zeit ist zu mähen, für den Ökologen, dass hier eine bunte Blumenwiese zur Grasplantage degradiert worden ist. In der „grünen Wüste“ fühlen sich keine Insekten wohl, denn hier finden sie keine Nahrung. Schweift der Blick dann zu einer erst kürzlich aus der Bewirtschaftung oder Bebauung genommenen Fläche mit ihrer Pionierflora, so erscheint das Bild erfreulicher. Auch hier dominiert Gelb, aber es sind hohe Stauden, auf denen sich Fliegen und Wespen, Bienen und Käfer, Zikaden und Wanzen, kurz: massenweise Insekten tummeln. Hier also erscheint die Welt noch in Ordnung.
Ihr Nektarreichtum war einer der Gründe, warum zwei aus Nordamerika stammende Goldruten-Arten in Europa freigesetzt wurden. Aber eigentlich kamen sie als Zierpflanzen. Und sie sind ja auch nett anzusehen. Die Kanadische Goldrute (Solidago canadensis) ist seit etwa 1645 in Europa nachgewiesen. Rund 100 Jahre später ist die Riesen-Goldrute (Solidago gigantea) ebenfalls als Zierpflanze hier angekommen. Anders als ihr Name vermuten lässt, ist sie kleiner als ihre kanadische Schwesterart. Aber im Vergleich zu diesen beiden wirkt die heimische Gemeine oder Echte Goldrute (Solidago virgaurea) geradezu zwergenhaft. Die beiden amerikanischen Arten haben bald den ihnen zugedachten Wuchsort in Gärten und Parks verlassen und breiten sich in Mitteleuropa seit Mitte des 20. Jahrhunderts rasant aus. Dass beide Arten auch bewusst als Bienenweide in der freien Natur angepflanzt worden sind, hat ihren Siegeszug nur gefördert.
Was soll’s, könnte man meinen, dienen doch Goldruten als Nahrungsquelle für eine Unzahl von Insekten. Bei jedem größeren Bestand summt und brummt es. Doch sind Goldruten deswegen ökologisch wertvoll? Wir finden Solidago bevorzugt an Ruderalstandorten, auf Flächen, die vom Menschen gestaltet und ihrer natürlichen Vegetation beraubt worden sind. Bahndämme und aufgelassene Bahnanlagen gehören dazu, ehemalige Siedlungen in Flussnähe, die aus Angst vor Hochwasser geschleift worden sind, verlassene Industrieareale und Steinbrüche, Schuttdeponien, aber auch Landwirtschaftsflächen, deren Nutzung eingestellt wurde. Auf diesen Flächen muss die Vegetation erst wieder Fuß fassen. Und weil solche Flächen als unordentliche „Gstätten“ gelten, wird ihnen – zu Unrecht – auch nur ein geringer ökologischer Wert beigemessen: Die Zwischenstadien auf dem Weg zum „reifen“, endgültigen Bewuchs sind als temporäre Erscheinungen ohnehin dem Untergang geweiht.
Die beiden Solidago-Arten gehören – auch mangels natürlicher Regulatoren – zu jenen Pflanzen, denen es am besten gelingt, Ruderalstandorte für sich zu beanspruchen. Unterirdisch wachsende Spross­achsen erlauben es ihnen, innerhalb kurzer Zeit große Flächen zu besiedeln. Abgetrennte Teile dieser Rhizome sterben nicht einfach ab, sie bleiben lange wachstumsfähig. Nach der Verfrachtung durch Flüsse oder mit Gartenerde bilden selbst kleinste Rhizomfragmente den Ausgangspunkt für neue Bestände. Eine andere Art der Verbreitung erfolgt durch Flugfrüchte. Jeder Fruchtstand kann 15.000 Samen und mehr hervorbringen. Sie werden vom Spätherbst bis ins Frühjahr hinein mit dem Wind verweht. Weil Goldruten alles rasch überwuchern, stehen sie außerhalb der natürlichen Sukzession der Pionierstandorte. Langsamer wachsende, aber lichtliebende heimische Pflanzen können dadurch nicht mehr aufkommen. Die Insektenmasse auf Solidago täuscht. Unbeeinflusste Standorte im vergleichbaren Umfeld weisen eine weitaus höhere Anzahl und Vielfalt an Bestäubern auf, als reine Goldruten-Bestände: Vom Nektar der Goldrute können nur wenige Arten profitieren. So werden langfristig nicht nur unsere heimischen Pflanzenarten, sondern auch die von ihnen abhängigen Insekten verdrängt – ein weiterer Puzzlestein in der gegenwärtigen Biodiversitätskrise.
Das Erfolgsmodell der Ausbreitung, die Kombination ungeschlechtlicher unterirdischer Vermehrung mit einem Überfluss an leicht verdriftbaren Samen macht die Eindämmung der Bestände schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Die Blütenstände vor der Samenreifung zu entfernen und so die Ausbreitung der Samen zu verhindern, ist nur ein Teil der erforderlichen Maßnahmen. Gleichzeitig gilt es, das Rhizom nachhaltig zu schädigen. Wiederholte Mahd schwächt die unterirdischen Teile. Oder aber man versucht, die Pflanze samt Wurzelstock als Ganzes zu beseitigen. All dies muss über mehrere Jahre hinweg regelmäßig geschehen, will man bestehende Bestände zurückdrängen. Effizienter ist es, das Aufkommen von Gold­ruten im Voraus zu unterbinden, etwa indem man gefährdete brachliegende Flächen mit heimischen Pflanzen einsät.
Anders als in der Schweiz ist das Ausbringen der beiden amerikanischen Solidago-Arten in Österreich (noch) nicht verboten. Gärtner preisen Neuzüchtungen (auf Basis der heimischen Solidago virgaurea), denen ihr Ausbreitungsdrang (angeblich) genommen wurde. Argumentiert wird gleich wie bei der Freisetzung der beiden invasiven Neophyten: Sie seien eine Freude fürs Auge und ein reiches Buffet für Insekten. Hoffen wir, dass sich diese Neuzüchtungen an die ihnen zugedachte Rolle halten und wirklich auf ihre Beete beschränkt bleiben.

Kommentare

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Geschätzter Herr Friebe, lese immer gerne Ihre naturwissenschaftlichen Beiträge, sowie auch diesen. Würden Sie sich bitte auch mal den Kreuzkrautarten annehmen, die sich seit ein paar Jahren massiv im Talboden ausbreiten und für unser Vieh hochgiftig sind? Vor allem verliert das Kreuzkraut im Heu seine Bitterstoffe und wird vom Vieh aufgenommen. Das Land Vorarlberg startete mit der Landwirtschaftskammer vor ein paar Jahren mit LR Erich Schwärzler eine Kampagne und konnte das Kreuzkraut zurückdrängen. Aber es kommt wieder massenhaft und das Wissen um die Gefährlichkeit geht verloren. Eigentlich wäre es ja Aufgabe der Gemeindeverantwortlichen für Xenophyten, auch wenn das Kreuzkraut kein solcher ist. Aber hier geht es um Landschaftsschutz, um Tierschutz und um Schutz der Nahrungsmittel. Wäre schön. Liebe Grüße