Sabine Barbisch

Karolin Luger „Wissenschaft ist ein Teamsport“

April 2020

Seit Mitte März zeigt die Ausbreitung von COVID-19 auch Auswirkungen in den USA: So wurde etwa der Wissenschaftsbetrieb an der University of Colorado eingestellt. Die aus Dornbirn stammende Karolin Luger ist dort Professorin für Biochemie und Molekularbiologie und berichtet, was diese Maßnahme für ihre Arbeit für das Howard Hughes Medical Institut und die University of Colorado bedeutet.

Eigentlich war Karolin Luger bis vor Kurzem noch damit beschäftigt, die Installation eines neuen Elektronenmikroskops zu koordinieren – „das ist das einzige derartige Instrument in einem sehr weiten geographischen Umkreis und wird wahrscheinlich großen Zulauf finden. Für meine eigene Forschungsgruppe und die ganze Region ist das ein Quantensprung und auch eine große Herausforderung und Verantwortung“, berichtet die 55-Jährige aus Colorado, wo sie als Universitätsprofessorin für Biochemie und Molekularbiologie arbeitet und am Howard Hughes Medical Institute tätig ist. Mit der Verbreitung von COVID-19 sei das wichtige Projekt nun aber zum Stillstand gekommen: „Seit 18. März ist die Universität zu, und alle Mitarbeiter arbeiten von zu Hause aus. Das Ganze ist schon stressig für uns alle.“ Luger und ihr Team haben aber schnell eine Routine eingeführt, um in Kontakt und auch produktiv zu bleiben: „Das gelingt uns über verschiedene Kommunikationswege, etwa durch regelmäßige Meetings per Video. Mein Team hält sehr gut zusammen, und alle helfen sich gegenseitig. Wir werden da schon durchkommen – am wichtigsten ist, dass alle gesund bleiben und dass wir die Verbreitung des Virus verlangsamen.“
Lugers Forschung beschäftigt sich mit der Organisation der menschlichen Gene: „Wir sind daran interessiert, wie die DNA – ein unglaublich dünner und langer Faden – in einem sehr beschränkten Volumen verpackt werden kann, ohne dass sich Knoten entwickeln. Wir sind Strukturbiologen, also gehen wir das Problem an, indem wir die atomaren Strukturen der DNA-Organisation untersuchen.“ Seit über zwanzig Jahren arbeitet Luger in den USA, aktuell an der University of Colorado und am Howard Hughes Medical Institute, ein dezentralisiertes Forschungsinstitut, das rund 300 Forscher/-innen in den ganzen USA unterstützt. „Meine wichtigste Aufgabe ist nach wie vor, die nächste Generation von Wissenschaftlern auszubilden. Das geschieht im Labor und im Vorlesungssaal, dort unterrichte ich ein Semester pro Jahr. Außerdem bin ich Mentorin für bis zu zehn junge Frauen, die sich für eine akademische Karriere entschieden haben.“ Ihr Aufgabengebiet hat sich in den vergangenen Jahren stark erweitert, weil sie auch in vielen Entscheidungsgremien sitzt. Darüber hinaus arbeitet Luger mit „talentierten und enthusiastischen Forschern“ in ihrem eigenen Labor – dem „Luger Lab“ – zusammen und ist viel unterwegs: „Ich reise durch die Welt und halte Vorlesungen an Fachkongressen und Universitäten. Das macht sehr viel Spaß, ist aber auch ziemlich anstrengend“, kommentiert sie ihr Arbeitspensum. 
Ihr Erfolgsgeheimnis? „Es ist für uns sehr wichtig, dass ‚Neuzugänge‘ auch menschlich gut passen. Wissenschaft ist ein Teamsport, und wir legen großen Wert auf eine harmonische und produktive Zusammenarbeit.“ Entgegen dem veralteten Ruf, die akademische Wissenschaft sei sehr aggressiv und kompetitiv, versucht Luger ein Umfeld zu schaffen, dass „inklusiv und kollaborativ“ ist. So suchte sie sich auch ihre Wirkungsstätte aus.

Bereits in der Kindheit 

„Ich hatte schon immer großes Interesse an der Biologie, insbesondere der Botanik. Ich habe auch immer begeistert Samen gepflanzt und besonders den Keimungsprozess mitverfolgt. Ohne zu wissen, was Forschung denn genau ist, bin ich eigentlich genau da gelandet, wo ich hinwollte.“ Ihre Kindheit in Vorarlberg beschreibt sie als „üblich“ – Schwimmen am Alten Rhein und im Bodensee sowie Skifahren am Bödele. „Für meine Karriere als Wissenschaftlerin waren zwei Dinge besonders wichtig: Erstens das logische Denken durch acht Jahre Lateinunterricht und zweitens meine ‚Karriere‘ als Tennisspielerin – da habe ich gelernt, dass man für Erfolg arbeiten und Misserfolge wegstecken muss.“
Dieses Credo hat Luger nach Stationen an den Universitäten Innsbruck und Basel auch an die ETH Zürich gebracht. „Nach meiner Postdoc-Zeit fanden mein Mann und ich, dass es nach acht Jahren in Zürich Zeit für ein neues Abenteuer war. Wir hatten nach Abschluss meiner Dissertation bereits ein Jahr in den USA verbracht, dort viele Nationalparks abgeklappert, lange fantastische Kanutouren unternommen und gesehen, dass uns der Lebensstil dort sehr zusagte.“ Dazu kam, dass die Wissenschaft in Europa vor über zwanzig Jahren sehr von Männern dominiert war, „ich wollte ein anderes Umfeld finden, das vielleicht weniger ‚frauenfeindlich‘ ist. Mit Colorado habe ich einen Volltreffer gelandet, der Lebensstil hier passt uns seit mittlerweile 21 Jahren sehr gut.“

Durch und durch „Coloradoan“

Karolin Luger und ihr Mann leben etwas außerhalb der Stadt Boulder: „Wir genießen den wunderbaren Ausblick auf die ‚Foothills‘, die Voralpen, und haben nur wenige Nachbarn in Sichtweite. Bei uns sonnen sich die ‚Bobcats‘, die Wildkatzen, auf der Terrasse, nachts heulen die Kojoten, und ich hatte auch mal schon eine nahe Begegnung mit einem Schwarzbären, als ich mit dem Rad nach Hause fuhr.“ Den Weg zur Arbeit mit dem Rad über Felder und Wiesen bezeichnet die Wissenschaftlerin trotz „tierischer Begegnungen“ als „oft den besten Teil meines Arbeitstages: Die unglaubliche Weite des Landes und des Himmels ist etwas, das mich immer wieder – und immer noch – fasziniert.“ 
Den „religiösen Fundamentalismus“ und die fanatische Liebe zu Schusswaffen vieler US-Amerikaner kann Luger aber bis heute nicht verstehen: „Ich habe, was das betrifft, aufgegeben und akzeptiere es, wenn auch ungern. Das Beste hier ist aber, dass die Menschen nicht ständig andere beurteilen, und jeder machen kann, was er will.“ Außerdem schätzt sie den Optimismus ihrer Mitbürger – „das liegt mit 300 Sonnentagen im Jahr wohl am Wetter“, lacht Karolin Luger und ihr ist ganz klar: „Ich bin eine ‚Coloradoan‘ – durch und durch.“

Lebenslauf

Geboren 1963, ist Karolin Luger mit zwei älteren Geschwis­tern in Dornbirn aufgewachsen, wo sie auch maturiert hat. Ihre wissenschaftliche Karriere begann mit einem Mikrobiologie-Studium an der Universität Innsbruck, es folgten weitere Stationen an der Universität Basel und der ETH Zürich. Vor 21 Jahren zog sie mit ihrem Mann in die USA (Colorado) und arbeitet seitdem in unterschiedlichen Funktionen: Seit 2015 ist sie Professorin an der Colorado School of Medicine sowie an der University of Colorado in Boulder und dem Howard Hughes Medical Institut und forscht über die Organisation der menschlichen Gene. 2018 wurde Karolin Luger in die renommierte „National Academy of Sciences“ gewählt.

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