J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Wir zählen Schmetterlinge!

April 2020

Man sieht sie noch, unsere Tagfalter – in blumenreichen Gärten, vielleicht sogar häufiger als draußen auf den Wiesen. Denn richtige Wiesen mit Margeriten und Klee, mit Wiesen-Bocksbart und Kuckucks-Lichtnelken sind in den Tallagen Vorarlbergs selten geworden. Stattdessen findet man totgemähte und überdüngte Grasplantagen, grüne Agrarwüsten. An anderen Stellen stehen Häuser, umgeben von einem gepflegten, blumenfreien Rasen. Wie kann sich hier ein Schmetterling wohlfühlen?
Das Stichwort „Artensterben“ geht an der Problematik vorbei. Kaum eine Insektenart ist in den letzten Jahrzehnten nachweisbar ausgestorben. Jedoch drastisch zurückgegangen ist die Zahl der Einzeltiere, und in deren Gesamtheit der Biomasse. Ja, der Rückgang unserer Schmetterlingsfauna fällt auf – zumindest denjenigen, die eine Vergleichsmöglichkeit haben, die schon vor Jahren offenen Auges durch die Landschaft gestreift sind und sich an den bunten Flattertieren erfreut haben. Aber deren Erinnerungen werden als sentimentale Reminiszenzen an längst vergangene Tage belächelt. Denn eines steht fest: In Zahlen ausdrücken lässt sich das Insektensterben nicht. Und wenn es keine Zahlen gibt, dann kann es ja sooo dramatisch nicht sein!

Richtig, wir haben keine Zahlen. Wie viele und welche Schmetterlingsarten in Vorarlberg anzutreffen waren und sind, darüber wissen wir aber recht gut Bescheid. Eine Rote Liste gibt Aufschluss, welche dieser Arten in welchem Ausmaß in ihrem Bestand gefährdet sind. Wollen wir aber etwas über die Häufigkeit einer bestimmten Art erfahren, so müssen wir uns mit relativen Angaben begnügen. Die tatsächlichen Popula­tionsgrößen sind schlichtweg unbekannt. Denn die Gruppe derer, die sich der Erforschung der Insekten Vorarlbergs widmen, ist immer überschaubar geblieben. Die wenigen Forscher waren (und sind) mit der Inventarisierung der mehr als 2400 Arten im Ländle völlig ausgelastet. Die meisten von ihnen leisten diese Arbeit freiwillig und ohne Bezahlung in ihrer Freizeit. Dass da die Suche nach Besonderheiten Vorrang hatte vor einer Zählung der häufigen, ohnehin „überall“ vorkommenden und damit „langweiligen“ Arten, ist nur allzu verständlich.

Dass die Insektenwelt erhalten werden muss, kann nicht als der eigennützige Wunsch einiger weltfremder Sonderlinge abgetan werden. Im Gegenteil wäre eine Welt ohne Insekten eine existenzielle Bedrohung für das Leben und Wohlergehen der Menschheit. Daher wurden der umfassende Schutz der biologischen Vielfalt und die nachhaltige und gerechte Nutzung natürlicher Ressourcen in internationalen Vertragswerken und natio­nalen Gesetzen zu einem vorrangigen Ziel erklärt. Voraussetzung dafür ist aber die möglichst umfassende Dokumentation des Ist-Zustandes unserer Umwelt. Zahlen sind notwendig, um die Entwicklung der Insektenwelt mit harten Fakten untermauern zu können. Als repräsentative und damit aussagekräftige Tiergruppe bieten sich die Tagfalter für ein langfristiges Monitoring an. Sie reagieren rasch und sensibel auf lokale Lebensraum- wie auch auf überregionale Umweltveränderungen. Tagfalter kommen in nahezu allen Ökosystemen vor, und sie sind die am besten untersuchten Insekten. Nicht zuletzt lassen Entwicklungstendenzen häufiger und weit verbreiteter Schmetterlingsarten Rückschlüsse auf die Situation seltener und gefährdeter Arten zu. Was liegt also näher, als den Tagfaltern Vorarlbergs besondere Aufmerksamkeit zu schenken?

In Vorarlberg gibt es 155 verschiedene Tagfalterarten. Die meisten von ihnen sind leicht unterscheidbar. Die übrigen lassen sich ohne größeren Aufwand und ohne spezielle Fachkenntnisse wenigstens einer Artengruppe (wie etwa den Weißlingen) zuordnen. Damit eröffnet sich eine neue Dimension der Schmetterlingsforschung: Man muss kein Profi sein, um bei der Beobachtung, dem Monitoring der Tagfalter mitmachen zu können: Jeder kann bei der Bestandsaufnahme der Tagfalter Vorarlbergs helfen!
Wie das geht? Das „Viel-Falter Tagfalter-Monitoring“ setzt auf zwei Säulen. Am Anfang stehen Basiserhebungen durch Experten. Einhundert repräsentative Zählstrecken in allen wichtigen Lebensräumen – von der Blumenwiese bis zur Agrarwüste – wurden ausgewählt, und 25 von ihnen sollen jedes Jahr untersucht werden. Ab dem fünften Jahr wird dann die Erhebung wiederholt. Aber die Forschung bleibt nicht auf die Experten beschränkt. Wer immer Lust und Laune (und natürlich auch Zeit) hat, ist eingeladen, zum Gelingen des Projekts beizutragen. Natürlich gibt es eine ausführliche Einschulung, wie die einzelnen Arten(gruppen) erkannt werden und wie gezählt werden soll: Auch in den Jahren ohne Expertenerhebung sollen die ausgewählten Standorte betreut werden. Daneben können die Freiwilligen auch selbst Beobachtungsorte vorschlagen. Aus der Gegenüberstellung der von Amateuren und Profis erhobenen Daten ergibt sich schließlich ein qualitativ abgesichertes Gesamtbild über Zustand und Entwicklung der Tagfalterfauna Vorarlbergs. Die Amateure erwartet – neben einer sinnvollen Beschäftigung in der freien Natur – eine neue Sicht auf Bedeutung und Schönheit der Insektenwelt im Ländle. Durch jährliche Schulungs- und Fortbildungsangebote können sie ihr Wissen und ihre Artenkenntnis erweitern.

Neugierig geworden? Wie und wann die Amateur-Schmetterlingsforscher informiert und eingeschult werden können, muss derzeit offen bleiben. Dennoch freuen wir uns auf Ihr Interesse unter naturschau@inatura.at, damit das Projekt nach Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen auch wirklich starten kann!

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