Zirpen, die nur unhörbar zirpen
Erinnern Sie sich noch an Ihren Urlaub am Mittelmeer? An den Lärm der Zikaden, der ihnen den letzten Nerv gezogen hat? „Zum Glück gibt es das alles nicht bei uns“, werden Sie sich gedacht haben. Doch weit gefehlt!
Natürlich leben auch in unseren Breiten Zikaden. Selbst Singzikaden sind darunter. Zu Gesicht bekommt man sie kaum – sie leben hoch auf den Bäumen und sind sehr gut getarnt. Ihre Lautäußerungen sind leiser als die ihrer südlichen Verwandten, und sie gehen im Gesang der Heuschrecken unter. Bei manchen der acht bisher in Österreich nachgewiesenen Singzikadenarten liegt das Gezirpe zudem in einem Frequenzbereich, der für das menschliche Ohr nicht mehr wahrnehmbar ist. Singzikaden werden mehrere Zentimeter groß. Die Mehrzahl der heimischen Zikaden hingegen ist unscheinbar. Diese Zirpen erreichen kaum einmal eine Länge von einem Zentimeter. Auch sie geben Töne von sich, die wir Menschen aber nicht hören können. Wie bei allen Lautäußerungen im Reich der Insekten hat das Zirpen der Zirpen in erster Linie zwei Ziele: Die Männchen versuchen auf diese Art, die Weibchen zu beeindrucken, und sie wollen ihr Revier gegenüber Rivalen abgrenzen. Alarmsignal und Feindesabwehr sind zusätzliche Funktionen. Die Töne erzeugen sie auf eine andere Art als die Heuschrecken: Während letztere Hinterbeine und Flügel aneinander reiben, besitzen männliche Zikaden links und rechts an der Basis des Hinterleibs spezielle „Trommelorgane“. Die gewölbten Schallmembranen der Tymbalorgane werden durch rhythmische Muskelbewegungen in Schwingung versetzt, eine luftgefüllte Blase sorgt für die nötige Resonanz.
Unter den in Vorarlberg anzutreffenden Zikadenarten finden sich einige merkwürdige Vertreter. Die wohl skurrilste Art ist die Echte Ohrzikade (Ledra aurita). Ihren Namen verdankt sie zwei ohrenförmigen Auswüchsen auf dem Halsschild. Gemeinsam mit einem auffallend breiten, schnabelförmigen Scheitel machen sie diese Art unverwechselbar. Die „Ohren“ dienen der Tarnung – sie imitieren Rindenschuppen. Gleichzeitig sorgt eine fleckig-braune Färbung dafür, dass das Tier optisch mit dem Untergrund verschmilzt. Von Fressfeinden werden die ruhenden Tiere kaum mehr wahrgenommen. Ohrzikaden leben in den Kronen der Bäume. Dort entziehen sie sich der menschlichen Beobachtung. Nur in der Nacht fliegen einzelne Tiere künstliche Lichtquellen an und können dann entdeckt werden. Ihre Zahl ist mit Sicherheit weitaus größer, als es die wenigen dokumentierten Beobachtungen vermuten lassen.
Die Rhododendronzikade (Graphocephala fennahi) ist das genaue Gegenteil. Immerhin knapp einen Zentimeter lang, präsentiert sich dieser schlanke Neuzuwanderer uns Menschen farbenfroh: Die Grundfarbe ist ein helles, aber kräftiges Grün. Von ihm hebt sich Orange als zweite Hauptfarbe ab, sei es als Flecken auf dem Halsschild, sei es als zwei leicht schräg verlaufende Streifen auf dem Vorderflügel. Die Hinterflügel sind dunkelviolett gefärbt, Beine, Hinterleib und Kopf präsentieren sich in Gelb. Hinzu kommt ein dunkler Streifen auf der Stirn. Dennoch: Solange die Tiere ruhig auf den Blättern sitzen, fallen sie kaum auf. So blieb diese Art bis vor wenigen Jahren in Vorarlberg unentdeckt, obwohl sie sicher schon länger in Parks und Gärten auf ihrer Wirtspflanze, dem Rhododendron, lebte.
Kennen Sie das Phänomen der „tränenden Weiden“, wenn Wasser auch bei schönstem Sonnenschein vom Baum herabtropft? Verantwortlich dafür sind Zikaden. Die Larven aus der Familie der Schaumzikaden leben in Schaumnestern, die sie selbst herstellen. Dazu scheiden sie aus dem After eine Flüssigkeit ab, die dann mit Luft aus dem Atmungssystem aufgeschäumt wird. Schleimstoffe und spezielle Eiweiße sorgen für die nötige Konsistenz und Beständigkeit. Im Schaum, der zu mehr als 99 Prozent aus Wasser besteht, sind die Larven vor Feinden, speziell aber auch vor Austrocknung geschützt. Während man die Larven der Weidenschaumzikaden in ihrem Versteck auf den Bäumen kaum zu Gesicht bekommt, fällt der Nachwuchs der Wiesenschaumzikaden im Frühjahr umso mehr auf. Die an Spucke erinnernden Nester verhalfen gar dem Wiesenschaumkraut zu seinem Populärnamen.
Doch welche Zikadenarten leben nun in Vorarlberg, und wie ist es um ihr Leben bestellt? Werner Holzinger vom Büro ÖkoTeam in Graz wollte es herausfinden. Auf der Zikaden-Landkarte Österreichs war Vorarlberg schon bisher kein weißer Fleck, doch fast alle Nachweise aus dieser Tiergruppe stammten aus der Zwischenkriegszeit und den Jahren knapp nach dem Zweiten Weltkrieg. Aktuelle Daten beschränkten sich auf wenige Zufallsbeobachtungen. Der Nachholbedarf gegenüber den anderen Bundesländern war enorm. Und so begannen Werner Holzinger und seine Mitarbeiterinnen mit Unterstützung durch die inatura in Vorarlberg gezielt nach Zikaden zu suchen. Dabei wurden repräsentative Lebensräume im ganzen Land systematisch beprobt. Ziel der Forschungsarbeiten war nicht nur eine Checkliste der im Ländle lebenden Zikadenarten. Im Sinne einer „Roten Liste“ sollten diese zudem hinsichtlich ihrer Gefährdung beurteilt werden. Haben sich auch die Bestimmungsarbeiten in die Länge gezogen, so liegt nun das Manuskript zur Druckvorbereitung vor. Bereits im Voraus wurde das Werk der internationalen Fachwelt vorgestellt. Vom 30. August bis 1. September fanden sich Expertinnen und Experten zur 30. Mitteleuropäischen Zikaden-Tagung des Arbeitskreises Zikaden Mitteleuropas e.V. unter der Schirmherrschaft der inatura in Dornbirn ein. Die jährlich an einem anderen Ort stattfindende Tagung (bisher in Deutschland, der Schweiz, Luxemburg, Italien, den Niederlanden, Tschechien, Polen und natürlich Österreich) wurde nun zum vierten Mal in Österreich abgehalten. Im ersten Vortrag des Meetings stellte Werner Holzinger das Projekt vor, und auf zwei Exkursionen konnten sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen selbst ein Bild vom Zikadenreichtum Vorarlbergs machen.
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