Bettina Steiner

geboren in Tirol, aufgewachsen in Vorarlberg, Wahlwienerin, arbeitet seit den frühen Neunzigerjahren für „Die Presse“.

(Foto: © Styria Media group/Marija kanizajg)

Die neue Lust am falschen Schreiben

Juni 2018

Sie posten Fotos aus Ibizer. Wenn sie etwas in Ordnung finden, ist es für sie okeh. Und das alles am liebsten auf Instergram. In den sozialen Netzwerken blüht der Rechtschreibunfug. Kulturverlust, Spaß oder gar Ausdruck von Arroganz?

Zugegeben: Auf den ersten Blick scheint es, als würden die lebhaftesten Albträume all jener wahr, die immer schon vor dem Verfall der Schriftkultur gewarnt haben. Schreiben die Jungen auf WhatsApp nicht samt und sonders ohne Punkt und Komma? Verzichten nicht auch Erwachsene immer häufiger auf Versalien, weil es sich auf der Tastatur des Smartphones so bequemer tippen lässt? Und dann garnieren wir die auf Facebook oder Snapchat schludrig-dahingefetzten Postings auch noch mit Emojis! Mit kindischen Äffchen, Herzchen und Tränen lachenden Smileys. Kein Wunder, könnte man meinen, dass sich die Rechtschreibfehler mehren.

Und das tun sie auch: Weil Nachrichten und Postings natürlich nicht mit derselben Sorgfalt wie Briefe geschrieben werden. Aber von diesen Tippslern und Bequemlichkeiten soll hier nicht die Rede sein, sondern von dem auf Twitter, WhatsApp, Facebook und Co. beliebten kalkulierten Schreibunfug, vom Spaß am Fehler, der mit mangelnder Kenntnis der Orthografie nicht das Geringste zu tun hat.

Im Gegenteil. Der Lustgewinn, wenn man Podcarst, okeh oder eimfach schreibt, beruht auf dem gemeinsamen Regelbruch – dem des Verfassers und dem des Lesers, der sich komplizenhaft amüsiert, und dafür müssen beide die Regeln kennen. Ein falsches Wort allein macht noch keinen Sprachwitz.

Und noch eine gute Nachricht für die Skeptiker: Wer absichtlich falsch schreibt, achtet sonst meist sehr penibel auf die Rechtschreibung. Er will ja nicht, dass ihn jemand für ungebildet hält.

Es gibt auch hier Regeln

Aber wie stellt man – abgesehen von sonst penibler Orthografie – sicher, dass ein ironischer Fehler auch als ironisch erkannt wird? Man ist konsequent: also nicht happi, sondern häppi, nicht Kaukau, sondern Gaugau, wenn schon, denn schon. Und man macht die gleichen Fehler wie andere auch, da gibt es Moden. Derzeit gilt es etwa als hip, den Buchstaben „a“ durch „er“ zu ersetzen.

Man postet Fotos von Ibizer auf Instergram und bringt auf Twitter eine Anerlyse. Ein Trend, der sich erklärt, wenn man weiß, wie der Schriftspracherwerb funktioniert: Anfangs schreiben Volksschüler vor allem nach Gehör. Da wird aus dem Prater schnell ein Prata, und der Lehrer setzt den Rotstift an. Das Kind lernt: Wenn ich am Ende eines Wortes ein „a“ höre, gehört oft ein „er“ hin. Ein Quell von neuen Fehlern: Es folgt die Phase der Übergeneralisierung, die neue Regel wird auch dann angewandt, wenn sie keine Gültigkeit hat: Und so wird der Billa zum Biller. Auf genau dieser Ebene funktioniert auch der Internetschmäh, bei dem sogar Peter Kolba von der Liste Pilz zum Kolber mutiert. Allerdings: Kein Kind würde, wie jüngst auf Twitter gesehen, Mamer schreiben!

Bei Jugendlichen häufig: Sie spielen mit der Sprache, um Gefühle auszudrücken. Uuuurcooool vermittelt mehr Enthusiasmus als ein simpleres urcool, ein lang gezogenes na guuuut kommt als besonders genervt an, wogegen eine Nachricht, die mit Maamaaaa beginnt, vermutlich eine Bitte an diese enthält. Und bei suuuuupaaa kann man sich sicherer sein, dass es nicht sarkastisch gemeint ist. Was für das schlichte supa nicht in jedem Fall gilt.

Oft werden also der Tonfall und der Duktus der gesprochenen Sprache imitiert, was ja durchaus folgerichtig ist: Postings und Nachrichten auf WhatsApp sind ein Mittelding zwischen mündlichem und schriftlichem Ausdruck. Die Form ist schriftlich, aber die Funktion entspricht eher einem kurzen Telefonat, einem schnellen Wortwechsel zwischen Tür und Angel. Deshalb hat auch der Dialekt in Nachrichten und Postings seinen Platz. Und natürlich die Verballhornung von Fremdsprachen. Die Regel hier: Man schreibt konsequent, wie man spricht: Bisoa, alles Rodscha, Ressischeur. Wobei man am Ressischeur erkennen kann, dass es – und schon sehr viel länger – auch mündlichen Unfug gibt.

Die feinen Unterschiede

Alles also ein harmloser Spaß? Ganz so einfach ist es nicht. Der Gestus dahinter ist zuweilen ein arroganter – ähnlich wie die leider immer noch beliebte Abwertung von Personen, die Rechtschreibfehler machen. Der Sprachspieler wie der Sprachwahrer sagt: „Wir können das – und ihr könnt es nicht.“ Pierre Bourdieu, der in „Die feinen Unterschiede“ die stets von Abstieg und Bedeutungslosigkeit bedrohte Mittelschicht beobachtete, hätte von Distinktionsgewinn gesprochen. Die Anerlyse aus Ibizer und die Fotos auf Instergram wären sozusagen das Äquivalent zur richtigen Krawattenlänge und zum richtigen Wein, den man zum Essen mitbringt, zur Ausstellung, die man gesehen haben muss. Man setzt sich von anderen mit anderen kulturellen Vorlieben ab, man bleibt unter sich, man versteht einander.

Erkauft wird dieser Distinktionsgewinn freilich hier wie dort damit, dass man darauf achten muss, am Ball zu bleiben. Denn es gilt nicht nur, die Regeln des richtigen Falschschreibens zu beherrschen, sondern auch zu beachten, dass es Moden unterliegt. Diese ändern sich im Netz noch schneller als in der analogen Welt. Wer die eine Zeit lang äußerst beliebten Kunstwörter I bims und vong her heute noch verwendet, demonstriert nur, dass er den Trend verschlafen hat. Dasselbe gilt für Schampoo (statt „Chapeau“), mit dem im Netz gern ironisch Bewunderung ausgedrückt wird. Auch dieser Sprachwitz hat wie viele schon einen Bart.

Dieser Artikel ist in der Tageszeitung „Die Presse“ am 18. Mai 2018 erschienen, Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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