Barbara Allgäuer-Wörter,
Kurt Benedikt
Eveline Kloos

Use it or lose it Die Bedeutung der frühkindlichen Sprach- und Leseförderung

April 2016

Sprechen und Sprache wollen gelernt sein. Kinder können direkt nach der Geburt noch nicht sprechen, sind aber sofort in der Lage, Kontakt zur Umwelt aufzunehmen und zu kommunizieren.

Kinder werden mit großer Freude am Entdecken geboren, täglich lernen sie Neues. Mütter und Väter sind dabei die ersten und wichtigsten Vorbilder. Das familiäre Umfeld spielt eine große Rolle und bietet viel Anregung für das lernhungrige kindliche Gehirn. Kinder lernen Sprache ganz natürlich durch Zuhören, Nachsprechen und Ausprobieren. Das Vorlesen wiederum fördert auf ganzheitliche Weise: Es stärkt die Beziehung zwischen den Eltern und dem Kind, indem das Kind Zuwendung, Geborgenheit und Sicherheit erfährt. Gleichzeitig wird mit dem Vorlesen die Basis für eine der wichtigsten Kulturtechniken, das Lesen, gelegt. Die Förderung der Sprach- und Lesekompetenz ist deshalb eine wichtige Investition in die Zukunft der Kinder und erhöht ihre Teilhabechancen.

Prof. Josef Leisen gilt im deutschsprachigen Schulwesen und darüber hinaus als Experte für die Schwierigkeiten, die Sprache in Schulbüchern oder in Texten bei Kindern und Jugendlichen im Fachunterricht auslösen können und welche Strategien den Umgang mit den Fachsprachen, beispielsweise im Physikunterricht, erleichtern kann. Immer wieder ist da die Rede vom Eintauchen in Sprachbäder, wobei die Kinder in das „fremd“-sprachige Umfeld versetzt werden. Dies gilt als beste Voraussetzung, dass Spracherwerb (in diesem Fall das Lernen der Fachsprachen) gelingen kann. Der Vergleich passt auch im Zusammenhang mit der allgemeinen Sprachentwicklung bereits ab dem Kleinkind- bis in das Erwachsenenalter. Spracherziehung ist Leseerziehung, und umgekehrt verbessern lesende Kinder ihr Sprachvermögen. Kinder sind ja immer und überall mit Bildern, Symbolen und Schriftzeichen konfrontiert, und wenn darüber ein sprachlicher Austausch stattfindet, ist das die beste Voraussetzung für eine gute Sprachentwicklung.

Von der Schule wird Chancengerechtigkeit verlangt, alle Kinder sollen in gleichem Ausmaß lesen und schreiben lernen. Das ist ein nobles und richtiges Ansinnen, man weiß aber auch, dass fehlende „Family Literacy“ (Umgang mit Sprache und Schriftlichkeit in der Familie) den Erwerb dieser so wichtigen Kulturtechniken erschwert. Wer nie mit Silben-, Reim- oder Klatschspielen konfrontiert wurde, wer in seiner Wohnumgebung keine Bücher und keine Medienvielfalt vorfindet, wem nie vorgelesen wurde und bei wem ein sprachlicher Austausch kaum stattgefunden hat, kommt mit größter Wahrscheinlichkeit mit einer verzögerten Sprachentwicklung und einem mangelhaft entwickelten Grundwortschatz in die Schule und hat vermehrt Schwierigkeiten, den Lese- und Schreib-Erwerb in den ersten beiden Schuljahren erfolgreich abzuschließen. Diese Mankos sind schwer auszugleichen, verhindern mitunter eine gute Sprachentwicklung und behindern eventuell auch eine erfolgreiche Schullaufbahn.

Dazu kommt, dass der Lese-Erwerb am Ende der zweiten Volksschulklasse lange als abgeschlossen galt. Heute weiß man, dass Lesenlernen (und damit auch Sprachentwicklung) ein ständiger Prozess ist und dass mit verschiedenen Textansprüchen Kinder, Jugendliche, aber auch Erwachsene immer wieder vor Herausforderungen stehen. Ein Teil der Schüler und Schülerinnen bedient sich mehr oder weniger unbewusst der richtigen Strategien, um mit schwierigeren Texten klarzukommen. Ein Großteil benötigt allerdings Hilfestellungen, die eben auch ab der dritten Stufe bis ans Ende der Sekundarstufe angeboten und nicht zuletzt in Form von Wissen über passende Lesestrategien weitergegeben werden müssen. Auf diese Problematiken wurde und wird auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene reagiert. Vielerorts gibt es inzwischen Initiativen, die mit ihren Angeboten frühkindliche außerschulische Sprachförderung abdecken.

Beispiel für die Förderung in verschiedenen Bereichen ist die Initiative „Kinder lieben Lesen“, mit der das Land Vorarlberg im Jahr 2011 genau die in den Mittelpunkt gerückt hat, bei denen der Grundstein für die Sprach- und Leseentwicklung gelegt werden kann. Die Initiative stärkt das Bewusstsein in den Familien mit Kindern zwischen null und drei Jahren. Mit insgesamt drei Buchpaketen erhalten frischgebackene Eltern neben ein bis zwei altersgerechten Kinderbüchern auch Informationen und Tipps zur frühen Sprach- und Leseförderung. Weitere Beispiele sind die Sensibilisierung der Kindergartenpädagogen und -pädagoginnen zum Thema „Sprache“, die Neuordnung der Übergänge vom Kindergarten in die Volksschulen und die engagierte Unterstützung von Lesepaten oder Leseomas/-opas in der Lese- und Spracherziehung in Kindergärten, Bibliotheken und Volksschulen. Mit „Lese.Start“ wurde den Volksschulen in Vorarlberg ein Instrument in die Hand gegeben, beim Lesen-Lernen genau auf einzelne Teilfertigkeiten jedes einzelnen Schülers hinzuschauen und mit ausgewählten Fördermaterialien auf Leseschwächen zu reagieren.

Vorarlberg bietet zudem ein hervorragend ausgebautes und vielseitiges Bibliotheks­wesen. In beinahe jeder Gemeinde befindet sich mindestens eine öffentliche Bibliothek. Bibliotheken sind wichtige Unterstützer der Sprach- und Leseentwicklung von Kindern. Mit ihrem aktuellen Medienangebot stehen öffentliche Bibliotheken ihren Nutzern für die schulische und die berufliche Aus- und Weiterbildung, aber auch für die kreative und sinnvolle Freizeitgestaltung und Unterhaltung zur Verfügung. Gerade kleinere Bibliotheken konzentrieren sich besonders auf Kinder und Familien. Die können selber auswählen, was sie lesen möchten, und das ist ein großer Vorteil. Dort wird nicht gewertet und die Freude am Lesen steht im Mittelpunkt.

Regelmäßiges Vorlesen unterstützt somit die individuelle Entwicklung von Kindern, von schulischen Leistungen bis hin zu familiären Bindungen. Die Vorlesestudien der Stiftung Lesen weisen nun 2015 erstmals auch die längerfristige soziale Bedeutung des Vorlesens nach. Wurde Kindern regelmäßig vorgelesen, sind diese häufiger darum bemüht, andere in die Gemeinschaft zu integrieren. Auch ist der allgemeine Gerechtigkeitssinn dieser Kinder besonders ausgeprägt, selbst jenseits ihres unmittelbaren Umfelds.

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