Sabine Barbisch

Auch die Heilige Familie war eine Flüchtlingsfamilie

Juli 2015

Die aktuelle Flüchtlingsthematik lässt niemanden kalt. Medial wird das Thema vor allem von fehlenden Unterkünften und der Angst vor Überfremdung geprägt. Vorarlbergs Bischof, der Wirt vom „Goldenen Adler“ in Hittisau, der „Sonnenburg“-Hotelier und der Leiter der Caritas-Flüchtlings- und Migrantenhilfe sprechen über ihre Sicht der Dinge und erklären, warum die Menschlichkeit in den Mittelpunkt gehört und „außergewöhnliche Situationen außergewöhnliche Maßnahmen erfordern“.

Bischof Benno Elbs spricht von „einer Art Völkerwanderung, mit der wir es aktuell zu tun haben“. Laut dem Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen sind aktuell rund 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Im vergangenen Jahr wurde in den Industriestaaten die höchste Zahl von Asylanträgen seit 22 Jahren verzeichnet. Die Zahl schwankt von Tag zu Tag, Martin Fellacher, Caritas-Fachbereichsleiter Flüchtlings- und Migrantenhilfe, spricht für Vorarlberg von etwa 1700 Flüchtlingen, die hier Schutz suchen. Laut Zahlen des Innenministeriums waren es in ganz Österreich in den ersten vier Monaten  des laufenden Jahres bereits 14.225 neue Asylanträge, die hauptsächlich von Flüchtlingen aus Syrien, gefolgt von Afghanistan und dem Kosovo, gestellt wurden. 2013 waren es im ganzen Jahr noch 17.503 eingereichte Anträge, 2014 schon 28.027. Für 2015 rechnet das Innenministerium mit 70.000 neuen Asylanträgen in Österreich. Das wäre ein Rekordwert: Nach den statistischen Aufzeichnungen des Innenressorts (seit 1980) wurden bisher in keinem Jahr auch nur annähernd so viele Asylanträge gestellt.

Ein Prozent von 60 Millionen

Angesichts dieser Zahlen treten zahlreiche Kritiker auf den Plan, die die Schließung der Grenzen und andere Maßnahmen zur Abwehr von Flüchtlingen fordern. Nicht nur Fellacher will eines betont wissen: „Nur rund ein Prozent dieser 60 Millionen Flüchtlinge kommt überhaupt nach Europa.“ Er führt ein Beispiel an: „Der Libanon hat vier Millionen Einwohner und zwei Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Das Land ist kleiner als Tirol und zählt nicht wie Österreich zu einem der reichsten Länder der Welt.“ Die Ängste, die Teile der Bevölkerung gegenüber Asylwerbern haben, sind für den Leiter der Caritas Flüchtlings- und Migrantenhilfe durchaus menschlich. „Problematisch wird es aber, wenn man sich von diesen Ängsten leiten lässt. Die Leute wehren sich, haben aber gar keinen Kontakt mit Flüchtlingen – so bleibt dieses ‚Mysterium‘ aufrecht.“

Solidarität und Menschlichkeit gegen Vorurteile und Angst

Auch Bischof Elbs ortet „einerseits eine Welle von Hilfsbereitschaft, andererseits sind auch Ängste vorhanden und begründete Unsicherheit.“ Das hänge mit einer gewissen Überforderung zusammen: „Unklare Regelungen machen Angst. Es braucht daher eine verlässliche Strategie: Eine außerordentliche Situation erfordert auch außerordentliche Maßnahmen.“ Gregor Hoch, Präsident der Österreichischen Hoteliervereinigung und Betreiber des Hotels Sonnenburg in Lech, geht die Sache direkt an: „Es ist unsere zivilgesellschaftliche Bürgerpflicht, denen zu helfen, denen es nicht so gut geht.“ Er hat einen Teil seines Hotels in Lech für die Unterbringung von aktuell 15 Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. „Der weitaus größte Teil der Reaktionen war positiv“, berichtet Hoch. Einige hätten Bedenken geäußert, „aber nicht im Sinne von ‚Hilfe! Ausländer!‘, sondern berechtigte Fragen wie etwa nach dem Zusammenleben mit anderen Kulturen.“ Negative Stimmen hätten vor allem dem Vorwurf gegolten, er wolle Kapital aus den Flüchtlingen schlagen, sagt Hoch und stellt klar: „Wir tun das aus purer Menschlichkeit und ohne ökonomischen Hintergedanken.“ Hoch regt auch zum Nachdenken über die eigene Familiengeschichte an: „Wir müssen nur einige Generationen zurückblicken: Fast jede Familie hat einen Flüchtlingshintergrund.“ Bischof Elbs ergänzt: „Auch die Heilige Familie war eine Flüchtlingsfamilie.“

Weitsicht und Pragmatismus

Als größtes Problem der aktuellen Debatte sieht der Lecher Hotelier „die Abschottung der Flüchtlinge vom Arbeitsmarkt: Die Erlaubnis, in Würde und erhobenen Hauptes einer Arbeit nachzugehen, würde einen vernünftigen Tagesablauf und ein integratives Arbeitsumfeld ermöglichen.“ Bischof Elbs fordert eine europaweite Solidarität inklusive Aufteilung der Flüchtlinge sowie Hilfe in den Regionen, aus denen die Menschen flüchten. „Eines muss klar sein: Flucht ist kein Verbrechen. Und doch kommt es vor, dass Flüchtlinge wie Verbrecher behandelt werden. Menschlichkeit muss im Mittelpunkt stehen.“ Martin Fellacher ergänzt: „Und zwar immer: Flüchtlingsströme sind größtenteils absehbar. Man hat die Möglichkeit, schon frühzeitig für andere Fluchtbewegungen Vorbereitungen zu treffen. Das Problem ist, dass man immer hofft, dass ein solcher Fall nicht eintritt. Und wenn es dann doch so weit ist, dominiert der Problemfokus, so wie das aktuell der Fall ist. Gäbe es eine Planung mit Weitsicht, verliefe die ganze Sache positiver und ruhiger.“

Sieben Gästezimmer für Flüchtlinge

Eine solche Besonnenheit, wie Fellacher sie einfordert, legt Manfred Felder an den Tag. Felder hat das Gasthaus „Goldener Adler“ in Hittisau vor zwei Jahren wiedereröffnet, nachdem das Lokal zuvor zwei Jahrzehnte lang geschlossen war. Sein Fokus lag dabei vor allem auf der Gastwirtschaft, um die mitverpachteten Gästezimmer habe er sich nicht groß gekümmert. Bis das Thema Flüchtlingsunterbringung aufkam: „Mir fiel die Entscheidung leicht, die sieben Zimmer im Obergeschoß zur Verfügung zu stellen“, erzählt der Gastwirt. Ende 2014 seien acht Flüchtlinge in Hittisau angekommen. „Gerade jene Männer, die gut Englisch sprechen, kamen öfter in die Gaststube.“ So entstand die Idee, ihnen Arbeit anzubieten, wenn welche anfällt. Zu helfen sieht Felder als eine Frage der Menschlichkeit. Er selbst hat nur positive Erfahrungen mit den Schutzsuchenden gemacht: „Ich sehe das als Bereicherung – aber das kommt auf den Menschentyp an“, gibt er sich pragmatisch. Und er hat so seine Erfahrungen gemacht: Viel Lob habe er für die Bereitstellung von Unterkunft und Arbeit bekommen, aber natürlich gebe es auch skeptische Leute. „Ich verstehe das – jeder kann selbst entscheiden, ob er ins Gasthaus kommt oder nicht“, sagt der Gastronom. Vor dem „Goldenen Adler“ steht geschrieben, dass hier auch syrische Flüchtlinge die Gäste bedienen. „Manche Stammgäste glänzen jetzt durch Abwesenheit – das ist halt nicht jedermanns Sache, dass ich von jemandem bedient werde, der mich nicht versteht. Ich sehe das gelassen und sage jenen, denen es nicht gefällt: Wir haben glücklicherweise viele Gasthäuser.“

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