Emil Kowalski

*1937, Physiker und Autor, Tätigkeit in leitenden Positionen Schweizer Industrie­unternehmen, unter anderem der Elektrizitätsbranche, Mitwirkung in fachlichen und gesellschaftspolitischen Gremien. Das Interview basiert auf Kowalskis aktuellem Buch „Liberté, Egalité, Fragilité. Über die Zerbrechlichkeit der Demokratie“, J. B. Metzler Verlag, Berlin 2019. Im selben Verlag ebenfalls von Kowalski erschienen ist „Dummheit. Eine Er­folgsgeschichte“, 2017.

Corona, Klima und die Demokratie

Juni 2020

Plötzlich war alles anders. Die Berichte über ein mysteriöses Virus in China haben wir noch mit dem distanzierten Interesse Unbeteiligter zur Kenntnis genommen. Das aus dem Boden gestampfte Notspital und die hermetische Abriegelung einer Elfmillionenstadt quittierten wir mit der Bemerkung „Das ist nur in Chinas Diktatur möglich. Im demokratischen Europa? Undenkbar!“ Kaum haben wir die Lobeshymne auf unsere Liberalität angestimmt – schon war die Pandemie auch bei uns. Und wir stellten fest, dass wir sehr wohl Hals über Kopf im Dirigismus landen können. 

Auf einmal lernten wir neue Worte kennen – den „Lockdown“, das „Social Distancing“ und – horribile dictum – das „Contact Tracing“. Beflissen beherzigten wir die obrigkeitliche Empfehlung, uns die Hände zu waschen und den Zwei-Meter-Abstand zueinander einzuhalten. Verkehrsfreie Autobahnen, gespenstisch leere Geschäftszentren und steil ansteigende Arbeitslosenzahlen wurden zur Normalität.
Überraschend schnell haben wir ohne Murren akzeptiert, dass die Regierungen darüber zu entscheiden haben, welche Läden zu schließen sind und ob wir uns abends im „Hirschen“ treffen dürfen. Auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren haben wir unterlassen, schon wegen der fehlenden social distance. Die Angst vor der tödlichen Ansteckung lähmte uns, liberale Lämmer, wir sehnten uns nach hoher Herdenimmunität und der starken Hand paternalistischer Politik. Kaum jemand warnte vor der Gefahr, dass ein Notstand auch mal zu „wohlwollender“ Diktatur entarten könnte. Dass Herr Orbán die Corona­krise als Vorwand für ein Notstandsgesetz missbrauchte, welches ihm zeitlich unbefristetes Regieren per Dekret erlaubt, das wurde kaum angeprangert. Und dass Herr Trump seine erhoffte Wiederwahl über das Leben zehntausender Landsleute stellt? Nun, sein inhumanes Gehabe schadet ihm weniger, als eine darbende Wirtschaft …

Als dann im Mai die Ansteckungszahlen zurückfielen und man zur Lockerung der Notstandsmaßnahmen überging, kehrten in den etablierten Demokratien Europas die liberalen Gepflogenheiten zurück. Diesmal hat die freiheitliche Gesellschaft die Her­ausforderung gut überstanden – wir wurden wieder kritisch und diskutierten Handlungsoptionen. Unsere Regierungen mühen sich mit dem parlamentarischen Spießrutenlaufen wieder brav ab. Doch die nächste Gefahr lauert bereits. Die Klimakrise, deren Medienpräsenz unter Corona arg gelitten hat, meldet sich zurück. Und Klimabesorgte versuchen aus der Corona-Misere Kapital zu schlagen.
Hier ist eine Zwischenbemerkung nötig: Nicht, dass ich als Physiker den verheerenden Einfluss des Treibhauseffektes auf das Klima verniedlichen möchte – ganz im Gegenteil. Das inzwischen allgemein bekannte Problem besteht darin, dass wir den Energiebedarf unserer Zivilisation überwiegend durch Kohle und Erdöl decken, durch eine ungeeignete Technologie, deren CO2-Ausstoss in die Atmosphäre ein Klimakiller ist. Und was machen wir dagegen? Statt mit höchster Priorität die historisch bedingte schädliche Technologie durch die Nutzung neuer, umweltfreundlicher Energiequellen zu ersetzen, trachten wir den Verbrauch durch Sparmaßnahmen und bessere Energienutzung zu reduzieren. Der gesellschaftliche Effekt, den wir in die CO2-freie Energieversorgung investieren, beschränkt sich auf ein paar Wind­räder und etwas Photovoltaik für die Stromversorgung. Stattdessen werden die Regierungen und die Klimaaktivisten nicht müde, unser Konsumverhalten, unseren Lebensstil ändern zu wollen.

Wir sind einem epochalen Missverständnis erlegen – wir versuchen ein technologisches Problem durch sozialpolitische Maßnahmen zu lösen, letztlich durch einen neuen idealen Menschen, der mit weniger Wohlstand zufrieden ist und ein ökologisch-ethisch richtiges Leben führt. Dass der dazu notwendige Verzicht auf fossile Brennstoffe etwas mehr bedeutet als die Aufgabe von Ferienflug­reisen und der spritfressenden SUVs, das wird ausgeblendet – wir müssten unser Verhalten dem bescheidenen vortechnischen Lebensstandard um 1850 anpassen, mit allen sozialen und politischen Folgen, wenn wir auf diese Weise die Klimakrise bewältigen möchten!
Hier berührt sich unsere Corona-Erfahrung mit dem Klima. Dank des Lockdowns der Wirtschaft reduzierte die Pandemie den CO2-Ausstoß. Flugzeuge standen am Boden, Autos in der Garage, energieintensive Massenveranstaltungen fielen aus. Der erzwungene Verzicht auf zivilisatorische Güter verschaffte der Umwelt eine willkommene Atempause, die CO2-Emissionen gingen substanziell zurück. Und schon melden Weltverbesserer, dass darin „die Chance auf eine bessere Welt“ liegt (Der Spiegel, 18.4.2020). Klimaaktivisten predigen den notwendigen Systemwechsel – als ob eine Wirtschaft jenseits vom freien Markt die Bürde der hohen Ansprüche der Gesellschaft tragen könnte. War uns nicht bukolisch wohl in den erzwungenen „Ferien“ mit gemeinschaftlichen Balkonkonzerten? Es ging doch auch so … selig wer’s glaubt.

Verhalten kann man ändern, Corona zeigte uns schmerzhaft wie: Durch einen rigiden Zwang zu Notstandsmaßnahmen, die wir aus Angst vor dem tödlichen Virus akzeptierten. Diese Gefahr sollten wir auch bezüglich der Klima­krise beachten. Immerhin haben wir dort etwas mehr Zeit, um die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Was, wenn wir die Billionen, welche unsere Wirtschaft für die Bekämpfung der Corona-Krise aufwenden musste, vorsorglich in eine technologische Offensive für CO2-freie Energieversorgung investiert hätten? Zugegeben, eine dumme Frage – bei Corona hatten wir keine andere Wahl. Doch der wirtschaftliche Verlust des Lockdowns zeigt auch die enorme Kraft, welche die liberale Marktwirtschaft zur Lösung von auftretenden Problemen mobilisieren kann.
Unsere Behandlung der Klimakrise dürfte sich als die Gretchenfrage der liberalen Demokratie erweisen.

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