Daniela Grabovac

* 1978 in Spittal an der Drau, ist Juristin und Leiterin der Antidiskriminierungsstelle sowie der Extremismuspräventionsstelle Steiermark mit Sitz in Graz. 

„Denn das Schweigen nutzt den Tätern“

September 2022

Daniela Grabovac, (44) Leiterin der Antidiskriminierungsstelle Steiermark mit Sitz in Graz und Initiatorin der europaweit ersten App zum Melden von Hass-Postings, sagt im Interview, dass sich Wut und Hass im Netz immer weiter ausbreiten. Ein Gespräch mit der Juristin über den tragischen Fall der Ärztin Kellermayr, über Anführer und Mitläufer – und über die Angst der Betroffenen.

Frau Grabovac, Sie haben jüngst gesagt, der Hass im Netz sei in den vergangenen beiden Jahren immer massiver geworden. Sie haben auch gesagt, dass noch einiges folgen werde. 
Der Wegfall sozialer Kontakte und die Unsicherheit der Menschen, wie es weitergehen wird, haben sich in der Pandemie in deutlich mehr Wut und mehr Hass im Netz niedergeschlagen. Und es zeichnet sich bereits ab, dass der hohe Hass-Level in diesen wirtschaftlich unsicheren Zeiten weiter zunehmen wird. Waren zu Beginn und im Verlauf der Pandemie vor allem jene Menschen betroffen, die in den Augen ihrer Gegner den Staat und den Staatsapparat repräsentieren, werden nun bestimmte Gruppen wieder stärker diskriminiert. Auch nehmen die Fälle von Verhetzung wieder stark zu. 

Wird’s also immer schlimmer? Immer bösartiger? 
Die Sache hat extremistische Züge angenommen. Hassposter kennen in ihrer Absicht, jemanden gezielt fertigmachen zu wollen, keine Grenzen mehr – und fühlen sich dabei auch noch im Recht. Wobei die Antreiber ganz genau wissen, wie sie Algorithmen für sich nutzen können und auf welche Emotionen sie setzen müssen, damit Mitläufer ihren Hass und ihre Hetze im Netz weiterverbreiten. Vor allem in der Pandemie konnten wir sehr gut beobachten, wie solche Anführer das Netz für ihre Zwecke zu nutzen wissen.

Der Fall der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr hat auf tragische, auf dramatische Weise gezeigt, wohin Hass im Netz führen kann …
Ja. Der traurige Fall zeigt, wie es Menschen gehen kann, die von Hass im Netz betroffen sind. Betroffene berichten sehr häufig, dass sie – wenn sie das Haus verlassen – denken, dass auch die Nachbarn davon wissen und dass alle Menschen die Meinung der Hassposter teilen, dass also sozusagen das Virtuelle zur Realität geworden ist. In dem Moment, in dem man diese Postings liest, in dem Moment, in dem man registriert, was über einen und gegen einen geschrieben wird, da fühlt man sich wie im Mittelalter am Pranger. Man denkt, dass sich die Welt gegen einen verschworen hat und man vollkommen allein ist.
Wird Hass im Netz zum größten Teil anonym – oder unter falschem Namen – verbreitet?
Nachdem Facebook mittlerweile die Preisgabe der Identitäten verlangt, hat sich das geändert. Aber unter ihrem Klarnamen posten in der Regel nur Mitläufer, während Anführer, die den Hass im Netz schüren, weiterhin verdeckt agieren. Es ist schwer, diese Köpfe zu finden. Und deswegen wäre es ja so wichtig, dass die Ermittlungsbehörden mehr Ressourcen bekommen. Auch müssen die internationalen Kooperationen ausgeweitet werden, um jene Täter im Ausland ermitteln zu können, die ihren Hass bei uns verbreiten.

Sie sind die Initiatorin von ,BanHate‘, der europaweit ersten App zum Melden von Hasspostings, und verfügen mit über 12.000 gesammelten Posts mittlerweile über das umfangreichste Datenmaterial in Österreich zum Thema Hass im Netz. Auf welchen Plattformen, in welchen Foren ist Hass im Netz das größte Problem?
Auf Facebook. Über 80 Prozent der bei ,BanHate‘ gemeldeten Hass-Postings wurden auf Facebook veröffentlicht. Auf Facebook kann man sehr viel öffentlich machen, man kann sehr viele Menschen anziehen. Und gelöscht wird nur wenig.

Auch dieses Zitat stammt von Ihnen: ,Unserer Erfahrung nach kommt es gerade bei politischen Diskussionen in den Foren der Zeitungsmedien verstärkt zu Online-Hass.‘
Das ist definitiv so. Es sind ja nicht nur Hass-Poster, die in diesen Foren schreiben, da sind auch politische Player mit dabei, die anstacheln, weitertreiben, eskalieren und die Debatten in ihrem Sinn moderieren. Da wird gezielt politisch aufmunitioniert. Wobei das Kommunikationsplattformengesetz bei den österreichischen Zeitungsforen sehr gut gewirkt hat: Wird die Löschung eines Postings beantragt, wird sehr schnell gelöscht.

Trotzdem: In den Leitartikeln wird bestürzt gegen Hass im Netz angeschrieben, in den Zeitungsforen darunter wird Hass verbreitet. Das ist doch bizarr …
Ja. Das ist es. Auf der anderen Seite hoffe ich, dass nach dieser tragischen Geschichte, nach so einem Suizid, die Verantwortlichen dieser und anderer Foren darüber nachdenken, wie besser moderiert und noch besser gelöscht werden könnte. 

Ein Zitat von Ihnen lautet: ,Früher hätte ich als Juristin auf das klassische Strafrecht gepocht, aber angesichts der Spaltung, die wir seit Beginn der Pandemie erleben, braucht es neue Wege.‘ Wie ist das zu verstehen?
Ich war anfänglich sehr überzeugt davon, dass man strafrechtlich gegen Hass im Netz vorgehen muss, habe dann aber gemerkt, dass Mitläufern oft nicht ganz klar ist, bis zu welchem Punkt sie ihre Meinung überhaupt äußern dürfen. Manche haben sich sogar verfolgt und diffamiert gefühlt, von sogenannten Gutmenschen. Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Dieses rein strafrechtliche Vorgehen kann auch das Gegenteil von dem bewirken, was es eigentlich bezweckt: Erstens werden Märtyrer geschaffen, zweitens interpretieren bestimmte Menschen dieses Vorgehen als Beweis, dass es tatsächlich keine Demokratie mehr gebe und tauchen ab in nicht öffentliche Foren. Und dort, in diesen geschlossenen Gruppen, werden sie nur noch radikaler. Ich aber …

Ja bitte?
Ich will Dialog statt Hass, um eine weitere Spaltung der Gesellschaft zu verhindern. Gerade deswegen bin ich ein großer Fan des österreichweiten Projekts „Dialog statt Hass“, das der Verein „Neustart“ erfunden hat. Man muss Mitläufern klarmachen, warum es so wichtig ist, Grenzen der Meinungsfreiheit im Sinne aller einzuhalten und nicht zu überschreiten. Ein solcher Dialog aber lässt sich in einem Schlichtungsverfahren weitaus besser führen als nach einer Verurteilung in einem Gerichtsprozess. 

Sie unterscheiden da allerdings zwischen den Mitläufern und den Anführern.
Ein solcher Ausgleich ist in meinen Augen nur bei Mitläufern zu suchen, nicht bei den Anführern. Diese Täter müssen strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden. 

Sind Sie selber schon Ziel solcher Hass-Nachrichten geworden?
Ja. Ich habe Hass-Postings, Drohanrufe und Drohbriefe bekommen. Die ganze Palette. Wenn man sich zu verschiedenen sensiblen Themen öffentlich äußert, muss man damit rechnen, angegriffen zu werden. Wegen unserer App ,BanHate‘ haben wir eine Zeitlang Anrufe bekommen, in denen uns gedroht wurde, man werde in unser Büro kommen und uns alle abschlachten. Einen dieser Anrufer, der seine Drohung nicht zurücknehmen wollte, haben wir dann angezeigt.

Und wie geht man mit so etwas um?
Wie verarbeitet man das? 
Es ist definitiv nicht einfach. Wobei ich gemerkt habe, dass man noch besser damit umgehen kann, wenn man ,nur‘ beruflich beleidigt wird. Wird man dagegen privat bedroht, wird einem gedroht, man wisse, wo man wohne und werde vorbeikommen, dann ist das das Schlimmste. Ich habe so einen Drohbrief bekommen, an meiner Privatadresse. Ich hatte Angst, ich hatte schlimmste Befürchtungen. Das fährt einem durch Mark und Bein.

Was raten Sie Betroffenen?
Unbedingt und unverzüglich mit jemandem reden, im Familien- oder Freundeskreis! Ja nicht allein bleiben damit! Und wenn man so geistesgegenwärtig ist, sollte man unbedingt einen Screenshot des Posts machen, damit man die Beweise sichert. Und dann sollte man selbst, falls man die Kraft hat – oder ein Familienangehöriger, ein Freund, eine Freundin –, die Sache bei den Meldestellen melden. Wir merken aber, dass Betroffene sehr zurückhaltend sind, dass sie sich eher schämen, sich zu äußern. Aber …

Ja bitte?
Ich habe ein paar Personen des öffentlichen Lebens, die selbst auch Opfer geworden sind, gefragt, ob sie mit ihrem jeweiligen Fall nicht an die Öffentlichkeit gehen wollen. Doch niemand wollte das. Aber als Sie mich zuvor gefragt haben, ob ich selbst schon einmal Opfer von Hass im Netz geworden bin, da habe ich gemerkt, was diese Frage in einem auslöst: Man nimmt dazu ungern Stellung. Man will das runterspielen. Man traut sich nicht, man schämt sich. Man wird nahezu mundtot gemacht. Das habe ich jetzt gemerkt. Also danke für die Frage. Denn das Schweigen nutzt nur den Tätern.

Vielen Dank für das Gespräch!

Hass-Postings melden! 
Weitere Informationen finden sich unter folgender Adresse:  
www.banhate.com

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