Sabine Barbisch

Der Heldentenor aus Thüringen

September 2023

Sein Talent fürs Singen entdeckten und förderten die Eltern von Michael Heim früh. Ursprünglich Kulturjournalist, singt der 52-jährige Thüringer seit 24 Jahren als seltene Tenorstimme in den Opernhäusern dieser Welt. 

Die Familie war es, die das musikalische Talent von Michael Heim entdeckt und gefördert hat. „Dafür bin ich ihnen unendlich dankbar. Denn eigentlich sollte ich ja einen ganz anderen Beruf erlernen“, erzählt der heute 52-Jährige: Er ist mit seinen Eltern Herta und Ernst und seinen Geschwistern in Thüringen aufgewachsen – dort hat die Familie eine renommierte Metzgerei geführt und Michael Heim sollte Metzger werden. Doch bereits den Vater zeichnete eine wunderschöne Tenorstimme aus: „Wenn ich als Kind auf seinem Schoß saß und er mir ‚Mamatschi‘ vorgesungen hat, hatte ich Tränen in den Augen. Von da an wusste ich, ich will Sänger werden.“ Der Weg zum professionellen Opernsänger war mit viel Arbeit, Disziplin und Konsequenz verbunden, Heim selbst nennt es „ein Wunder“ – das Talent habe er vom Vater bekommen, die Eigenschaften, die man für diesen Beruf brauche von der ganzen Familie, von Freunden und Förderern: „Niemand macht eine Karriere allein.“ 
Beruflich hat er sich als junger Mann die ersten Sporen als Pressesprecher seiner Musicalcompany WAMCO verdient, danach war Heim zehn Jahre als Redakteur und Kulturjournalist in Vorarlberg tätig. Seit 1999 singt der Thüringer, ein seltener Tenor, in den Opernhäusern dieser Welt. „Ich bin sehr glücklich, ein Tenor zu sein. In der Natur kommt auf etwa tausend Sopranstimmen ein Tenor. Das ist ein Vorteil. Der wird dann aber natürlich im Beruf kleiner, denn man muss sein Handwerk auch als Tenor beherrschen, wenn man zum Beispiel den ‚Siegfried‘ von Wagner singen will, die schwerste Partie, die es für einen Tenor gibt.“ Das sei im Moment seine absolute Lieblingsrolle; im vergangenen Jahr hat Heim mit ihm im Passauer Ring debütiert – und dann gleich in beiden Opern, in „Siegfried“ und in der „Götterdämmerung“. 
Der passionierte Opernsänger erklärt: „Wagner war ja selbst eine umstrittene Person, aber seine ‚Ring‘-Vision eines künftigen Menschengeschlechtes, das den Verführungen des schnöden Mammons widerstehen kann und in erster Linie nach humanistischen Werten lebt, das ist ja hochaktuell. In der ‚Götterdämmerung‘, der Schlussoper des Rings, müssen dazu fast alle sterben. Hoffen wir, dass wir glimpflicher davonkommen, um dieses Ziel irgendwann mal zu erreichen.“
So sehr er von Wagner fasziniert ist, schätzt er die Vielfalt anderer Werke; bis heute hat er über 40 Operetten gesungen und fast so viele Opern und er liebt es, auf dem Konzertpodium zu stehen. Im September debütiert der 52-Jährige unter dem Dirigat von Neeme Järvi neben Kollegen wie Thomas Hampson und Anne Schwanewilms mit Mahlers „Symphonie der Tausend“ im estnischen Tallinn. 

Nerven aus Stahl
Diese Aussicht freut ihn sehr, wurden die potenziell größten Highlights seiner jüngeren Karriere doch aufgrund der Covid-19-Pandemie abgesagt; etwa die Osterfestspiele Baden-Baden, die Debüts mit den Berliner und Münchner Philharmonikern, Gastspiele an den Staatsopern Hamburg, Frankfurt und Stuttgart. „Aber wir kämpfen weiter und die Zwangspause hatte ja auch was Gutes: Meine Frau, eine fantastische Sopranistin, und ich konnten Rollen lernen, die wir sonst so schnell nicht gelernt hätte, wie zum Beispiel den Siegfried und die Brünnhilde.“ 
In der Schule sei er nicht strebsam gewesen, habe nur gelernt, wenn es wirklich notwendig war: „Darum hat mich Gott mit einem Beruf ‚gestraft‘, in dem ich dann doch das Lernen zu lieben gelernt habe. Wir lernen jeden Tag mehrere Stunden; wenn keine Proben angesetzt sind, oft den ganzen Tag lang, denn Wagner-Opern gehen bis zu fünf Stunden und mehr. Für solche Rollen braucht man Jahre, um sie wirklich zu beherrschen.“ Dazu kommen die herausfordernden Proben, täglich acht Stunden singen, über acht bis zu zehn Wochen lang. „Das kostet mächtig Energie und Konzentration, bis alle Komponenten, Regie, Orchester, Bühne zusammenpassen. Aber der Lohn einer erfolgreichen Premiere ist jede Anstrengung wert“, sagt Heim, der „dankbar ist für den Weg“, den er gehen darf, auch wenn es viel Arbeit bedeute. 
„Was ich zunehmend merke, je älter ich werde, ist, dass mein Beruf viel Nerven kostet. Man braucht auf der Bühne Nerven aus Stahl.“ Das Thema Nervosität sei ein ständiger Begleiter, geheime Rituale, die die Zeit bis zur ersten Note überbrücken, habe jeder in der Branche, „weil dann ist die Nervosität schlagartig weg. Seelischen Ausgleich, die Erdung sozusagen, finde ich bei meiner geliebten Familie, das sind die engsten Verwandten und auch Freunde. Ich bin kein Eigenbrötler, sondern ein Herdentier“, ergänzt der Tenor lachend. 

Überall Liebe, überall Hass
Der Lebensmittelpunkt des Opernsängers befindet sich in Berlin, vor zwei Jahren ist er zu seiner Frau Peggy Steiner gezogen: „Die Stadt selbst ist mir, ehrlich gesagt, zu laut, zu verrückt. Unsere Familie ist das zwar auch, aber die liebe ich! Der schönste Platz ist für mich – und wir es immer bleiben – meine Heimat Vorarlberg.“ Aus diesem Grund suche er auch hier ein Feriendomizil in den Bergen, denn „bis jetzt hat mir aber leider noch niemand eines vererbt“, ergänzt der Künstler. 
Michael Heims Leben als Opernsänger besteht aus unzähligen Facetten, vielen verschieden Menschen, Orten und Werken und Bühnen. Es überrascht umso mehr, als er im Interview sagt, dass es Internationalität für ihn gar nicht gibt: „Äußerlich ja, aber innerlich ticken wir Menschen doch alle gleich. Liebe ist überall Liebe und Hass überall Hass. Darin sind sich alle Menschen einig. Wir sind eine große Familie.“

Lebenslauf

Michael Heim, *28.11.1971, ist in Thüringen aufgewachsen, nach dem Besuch der Musikhauptschule hat er die Matura und danach die PÄDAK Feldkirch, Schwerpunkt Musik, besucht. Zwischen 1989 und 1999 war er Journalist bei den „Vorarlberger Nachrichten“. Seit über zwanzig Jahren ist Michael Heim freischaffender Opernsänger, aktuell als Heldentenor im Passauer Ring. Mit seiner Frau Peggy Steiner lebt er in Berlin, seine Geschwister Petra Tschofen und Stefan Heim leben in Vorarlberg. 

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